Euro am Sonntag-Interview

Umweltphilosoph & Querdenker Braungart: Über den Unsinn der Nachhaltigkeit

aktualisiert 11.02.13 22:06 Uhr

"Nachhaltigkeit ist Unsinn", sagt Michael Braungart, Professor für Verfahrenstechnik. Statt auf „dummes Recycling“ setzt er auf sinnvolles Upcycling. Den Lifestylekonzern Puma hat er überzeugt.

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von Martin Blümel, Euro am Sonntag

Der groß gewachsene Mann mit dem verwuschelten Lockenkopf lehnt sich zurück in seinen Bürostuhl der Marke Steelcase. „Den kann man zu 99 Prozent recyceln“, sagt Michael Braungart und wippt vor und zurück. Seit 24 Stunden ist er auf den Beinen und hat gerade eine Flug­odyssee hinter sich: von Charlottesville in Virginia über Frankfurt nach Hamburg — verpasste Anschlüsse und Verspätungen inklusive.

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Jetzt sitzt er erstaunlich fit in seinem Büro im Institut für Umweltforschung EPEA im sechsten Stock des Hauses der Patriotischen Gesellschaft, das sich in der Hamburger Innenstadt befindet. Die Lehne des Recyclingstuhls biegt sich mal nach hinten, dann schnellt sie wieder nach vorn, während Braungart, der in den 80ern sieben Jahre für Greenpeace gearbeitet hat, ziemlich verstörende Sätze sagt wie: „Wir müssen alle Produkte neu erfinden“ oder „Verzicht ist das falsche Nachhaltigkeitskonzept. Das bremst die Kreativität, weil es mit einem schlechten Gewissen verbunden ist.“

In den USA oder auch in den uns ­benachbarten Niederlanden sind Braungart und sein wichtigster Mitstreiter, der US-amerikanische Architekt William McDonough, wegen solcher Aussagen weit bekannter als hierzulande. In New York und Los Angeles erzählt man sich, dass Steven Spielberg an einem Filmprojekt über Braungart arbeite, dass dessen erstmals 2001 veröffentlichtes Buch „Einfach intelligent produzieren“ zu Brad Pitts Lieblingslektüre gehöre und dass es in China von Deng Xiaopings Tochter 15 Millionen Mal gedruckt und den Parteikadern als Pflichtlektüre verordnet worden sei.

In diesem Buch finden sich ebenfalls Sätze, die das bisherige Verständnis von umweltschonendem Verhalten völlig über den Haufen werfen: Die sogenannte Nachhaltigkeit sei nur eine Minimierung von Umweltschäden. Es bringe nichts, wenn man der Natur nur „ein bisschen weniger“ schade. „Die Produkte müssen doch so sein, dass man sie nach Herzenslust verschwenden und wegwerfen kann, weil sie der Natur guttun. Sie müssen so sein, dass sie statt Abfall Nährstoffe sind“, sagt der Professor für Verfahrenstechnik im Recyclingstuhl. Der verstörende Braungart, so viel ist klar, hat eine Mission, er will ­einen Paradigmenwechsel, manche sprechen gar von einer industriellen Revolution: Er setzt dafür nicht beim Verbraucher an, sondern will die Unternehmen dieser Welt dazu bringen, von vornherein so schlau zu produzieren, dass intelligentes Recycling möglich ist. „Derzeit versucht man noch, Materialien wiederzuverwerten, die gar nicht dafür geschaffen sind.“ Daher sein Ruf nach neuen Produkten. Punkt 2 seiner Idee: Die Warenwelt soll letztlich nicht mehr gekauft, sondern nur noch „geliehen“ werden. Man soll für die Nutzung bezahlen, nicht mehr für das Eigentum.

Geliehene Sneakers in Naturweiß
Fantastereien? Vielleicht. Allerdings hat der Visionär gerade einen Coup gelandet: Puma bringt diese Woche als erster weltbekannter Hersteller populärer Konsumgüter eine Produktlinie auf den Markt, die ganz nach Braungarts Vorstellungen produziert wurde. Darunter ein Paar Sneakers namens Basket, Retrostil, naturweiß, roter Puma-Streifen. Und ein Polohemd, klassischer Schnitt, ebenfalls naturweiß, mit Logo auf der Brust. Auf den ersten Blick nichts Besonderes. Der Kniff ist aber folgender: Wenn die Sneakers einmal ausgelatscht sind und das Shirt abgetragen ist, kann sie der Käufer zurück in den Laden bringen und er bekommt als Anreiz einen Gutschein für den nächsten Einkauf. „Bring me back“ nennt Puma dieses Rücknahmeprogramm. Schuhe wie Shirt wandern zurück in die Puma-Fabrik, wo alle Bestandteile komplett zu neuen Tretern und neuen Klamotten verarbeitet werden. Was nicht mehr taugt, landet als giftfreier organischer Müll auf dem Kompost und wird zu Dünger.

Ein Marketing-Gag? Es sieht nicht danach aus. Die aktuelle Kollektion, zu der auch ein Rucksack, ein T-Shirt und eine Jacke gehören, soll nur der Anfang sein. Puma, so ist es tatsächlich geplant, will binnen zehn Jahren die gesamte Produktion nach Braungarts Idee umbauen. Revolutionär!

Baumgart nennt seine Art des Produzierens „C2C“, die Kurzform für „Cradle to Cradle“, was übersetzt so viel heißt wie: von der Wiege zur Wiege. Ein anderes Prinzip als das bisher übliche von der Wiege zur Bahre, also zur Müllhalde. Braungart, der es mit Kompagnon McDonough erfunden hat, möchte damit erreichen, dass Rohstoffe nach ihrer Verwendung in Kreisläufen nutzbar bleiben — oder wenigstens als Wurmnahrung dienen. Der Faktor Rückgabe an den Hersteller spielt eine wichtige Rolle, weil damit die Vernichtung wertvoller Rohstoffe in Verbrennungsanlagen vermieden wird. „Die Hersteller müssen zu Rohmaterialbanken werden“, so Braungart. Im Gegensatz zum herkömm­lichen Recycling kommt es bei der Braungart’schen Wiederverwertung auch nicht zu einem massiven Qualitätsverlust. „Die Menschheit sollte doch schlauer sein und mehr aus recycelten Rohstoffen zustande bringen als lediglich Pressparkbänke und Schallschutzwände“, findet er. Der Plan: Die Industrie soll weg­kommen vom schlichten „Downcycling“, durch das einst hochwertige Produkte zu höchst minderwertigen „abgewirtschaftet“ werden.

Braungart legt drei, vier, fünf, sechs Visitenkarten auf den Tisch. Er hat Lehraufträge an der Universität Twente, an der Uni Delft, an der Erasmus-Universität Rotterdam, an der Leuphana-Uni in Lüneburg, und er ist wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Umweltinstituts. Zusammen mit McDonough betreibt er das Unternehmen MDBC in Char­lottesville, wo 250 Mitarbeiter neue C2C-taugliche Materialien entwickeln. Außerdem ist der Chemiker und Professor für Verfahrenstechnik Chef des EPEA-Instituts, das er bereits vor 25 Jahren gegründet hat. Die Environmental Protection Encouragement Agency ist Teil seiner Idee, Unternehmen bei der Entwicklung neuer Produktionsverfahren zu helfen. Finanziert wurde die EPEA ursprünglich allein von Greenpeace. Doch es folgten weitere Sponsoren, Friends of the Earth etwa, und immer mehr auch die Industrie, die das pekuniäre Potenzial der Produktionsidee erkannt hat — gerade in Zeiten teurer Rohstoffe.

Und Braungart liefert den Unternehmen die Ideen. „Ich habe sieben Jahre lang bei Greenpeace protestiert, bin in der Nordsee geschwommen, habe Schiffe aufgehalten und Abwasserrohre von Zellstofffabriken zugemacht. Irgendwann war es dann an der Zeit, auch mal Lösungen zu entwickeln“, sagt er.

Beton und essbare Buntstifte
Mit dem Baustoffkonzern HeidelCement hat er einen Feinstaub bindenden Beton entwickelt, mit Steelcase, einem der weltweit größten Hersteller von Büromöbeln, den so herrlich wippenden, recylingfähigen Drehstuhl Think, mit Trigema ein kompostierbares T-Shirt, mit Schwan-Stabilo einen — zumindest theoretisch — essbaren Stift. Zudem berät er Unternehmen wie Ford, BASF, VW, Unilever, Alcoa, Procter & Gamble, Philips und Elektronikhersteller in Taiwan. Die Niederlande wollen dank Braungart den kompletten Einkauf der öffentlichen Hand mit einem Budget von 40 Milliarden Euro auf C2C-Beschaffung umstellen. Und sogar in China laufen Projekte: So stellt Goodbaby, der weltgrößte Hersteller von Kinderprodukten, seine Fabriken gerade im Sinne Braun­garts um. Highlight ist aber sicher das Puma-Projekt, das wegen der drastischen Umbaupläne des Herstellers darauf schließen lässt, dass die neuen Produkte nicht nur als Feigenblatt für den Nachhaltigkeitsbericht herhalten sollen.

Mit Puma scheint es also besser zu laufen als zuletzt mit Philips. Mit dem Elektrokonzern hat Braungart einen Fernseher entwickelt, der dank des Verzichts auf PVC kaum mehr Schadstoffe in den Wohnraum abgibt. Zudem spart er zwei Drittel Strom gegenüber herkömmlichen Geräten. Und weil er so entwickelt wurde, dass er leicht zerlegt werden kann, sind sogar die Produktionskosten niedriger. Doch was tut Philips? „Die schrei­ben ‚Eco Nova‘ drauf und machen ihn 200 Euro teurer, weil sie die Entwicklungskosten sofort drinhaben wollten. Die haben es nicht zu Ende gedacht, haben die Geschäftsidee nicht verstanden, nur die Nutzung des Fernsehers zu verkaufen.“
Ein Rückschlag? Nicht doch. Braungart hat genügend andere Projekte. Und so sitzt der Mann fröhlich wippend am Schreibtisch.

zur Person:

Weltreisender schwäbischer
Tüftler in Hamburg

Michael Braungart wurde 1958 in Schwäbisch Gmünd geboren. Der Chemiker entwickelte in den 90er-Jahren das Produktionskonzept „Cradle to Cradle“, das „dummes Recycling“ weiterentwickelt zu „schlauem Upcycling“. Wie das geht, macht Puma vor — mit dem brandneuen Sneaker Basket. Braungart ist unter anderem Gründer des EPEA-Instituts in Hamburg. Er ist mit Monika Griefahn verheiratet, einst Niedersachsens Umweltministerin. Das Paar hat drei Kinder.

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