Euro am Sonntag-Meinung

LV-Wechsel: Verraten oder nur verkauft?

29.10.17 03:00 Uhr

LV-Wechsel: Verraten oder nur verkauft? | finanzen.net

Droht ein Drama für Altkunden in der Lebensversicherung, wenn Versicherungsgesellschaften ihre laufenden Verträge abwickeln? Keineswegs - wenn geltendes Recht eingehalten wird.

von Henning Kühl, Gastautor von Euro am Sonntag

Viel Arbeit kommt auf die Finanz­aufsicht Bafin zu, die ausdrücklich das Kundeninteresse zu wahren hat, nachdem mehrere Versicherer angekündigt haben, ihren Bestand an Lebensversicherungen zu verkaufen. Es besteht aber kein Grund zur Panik. Kunden von Ergo oder Generali befinden sich mit ihrer Police auf höchst reguliertem Terrain mit zahlreichen Schutz- und Kontrollmechanismen. Nichtsdestoweniger haben sie aber drängende Fragen.



Aktuelle Meldungen zeichnen mitunter Horrorszenarien: Von einer Massenflucht der Unternehmen aus ihrer Verantwortung, von "Müllkippen" und "Endlagern" für alte Lebensversicherungen war bereits die Rede. Und es gibt Warnungen vor sogenannten Run-off-­Gesellschaften, die als Zombie-Versicherer Kunden aus hochdotierten Verträgen drängen würden.

Kein Zweifel: Die Lage ist ernst für deutsche Versicherungsgesellschaften - niedrige Zinsen und strenge gesetzliche Regeln fordern die Manager. Alte ­Lebensversicherungspolicen verfügen über hohe Garantiezinsen. Für diese - in gebrauchter Form übrigens bereits als Investment gehandelten - attraktiven Verträge müssen Lebensversicherer ­besonders viel Kapital vorhalten. Der Verkauf der Altverträge verspricht hier Entlastung für die Bücher.


Wichtig mit Blick auf die klassische Lebensversicherung als Instrument der Altersvorsorge: Das Anlagerisiko liegt beim Versicherer, Garantien muss er in jedem Fall erfüllen. Hingegen sind bei hybriden Produktvarianten die Zinsrisiken zumindest teilweise, bei fondsgebundenen Versicherungen zu 100 Prozent Sache des Kunden. Bei der aktuellen Diskussion geht es um Versprechen der Vergangenheit.

Transparenzpflichten und
Gesetze gelten für alle

Viele fragen sich: Ist mein Vertrag sicher? Bekomme ich überhaupt noch Zinsen? Muss ich handeln, bevor ein mir gänzlich unbekanntes Unternehmen meine Beiträge verwaltet? Einige Experten verdächtigen die Run-off-Gesellschaften, den Kunden systematisch Geld vorzuenthalten, indem sie Überschüsse senken und damit möglichst wenig auszahlen. Der für laufende ­Verkaufserfolge so wichtige Nachweis guter Überschussbeteiligungen werde schließlich nicht mehr gebraucht. Die gute Nachricht: Altverträge besitzen hohe Garantien. Überschussbeteiligungen spielen damit bei der laufenden Verzinsung keine Rolle mehr, egal von wem die Police verwaltet wird. Durch Abwicklung dieser Altlasten gibt es für den Versicherer Spielräume in der Kapitalanlage. Das Neugeschäft kann so separat mit Überschüssen bedient werden, und die Altbestände bekommen im Exil weiter ihre bis zu vier Prozent.



Ein Renditecheck lohnt sich übrigens für alle betroffenen Kunden. Denn ­unabhängig von den jüngsten Plänen haben Generali und Ergo selbst die Überschüsse längst drastisch gekürzt. Kein Wunder, dass hier Abwickler wie Viridium Luft nach oben sehen. Bei den Verwaltungskosten verspricht sich das Unternehmen, das unter anderem die Verträge der untergegangenen Mannheimer Leben verwaltet, Einsparpotenzial von zehn Prozent. Nicht zuletzt deswegen, weil Abwickler komplett auf den teuren Vertrieb verzichten können. An diesen Gewinnen muss die Kundschaft dann übrigens beteiligt werden. Eine Beteiligung ist darüber hinaus gesetzlich ­vorgeschrieben für Erträge aus der Kapitalanlage wie auch Risikogewinne.

Bei den Schlussüberschüssen ergibt sich indes kein einheitliches Bild. Deren Höhe inklusive einer möglichen Beteiligung an den Bewertungsreserven schwankt und kann nicht garantiert werden. Versicherer wie Run-off-Gesellschaften unterliegen hier aber den strengen Regeln der Bafin. Was in entsprechenden Reservetöpfen liegt, muss auch an die ­Kunden ausgeschüttet werden. Die Bestandskunden müssen hier auch nicht mit Neukunden teilen, denen höhere Ansprüche aus Marketinggründen versprochen werden.

Dass der Kundenbetrieb von Run-off-­Plattformen wie Frankfurter Leben, ­Viridium und anderen reibungslos läuft, liegt in deren eigenem Interesse. Denn laut Branchenexperten winkt Neugeschäft mit Altbeständen, die einen Wert im dreistelligen Milliarden­bereich haben - die aktuellen Ankündigungen sind damit erst der Beginn einer Entwicklung. Imageprobleme wirken hier direkt geschäftsschädigend. Und je mehr Volumen ein Unternehmen verwaltet, desto rentabler ist schließlich das Business.

Beim Versicherer verhält es sich genau umgekehrt. Für ihn kann es heilsam sein, den Ballast loszuwerden. Es ist falsch zu glauben, dass Versicherer die Kunden besser behandeln als die Aufkäufer.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Deswegen wacht die Bafin über sämtliche Prozesse. Die Auffanggesellschaft muss laut Versicherungsaufsichtsgesetz die gleichen Anforderungen wie der Versicherer erfüllen - inklusive jährlicher Berichte über die Zahlungsfähigkeit (die sogenannte Solvenz), vierteljährlicher Meldung der Solvenzquoten und öffentlicher Auskünfte über die Ertragslage. In einem jährlichen Bericht muss auch der verantwortliche Aktuar darlegen, wie künftige Verpflichtungen erfüllt werden können. Der Kunde darf im Prinzip nicht merken, dass sein Vertrag von einem anderen Unternehmen verwaltet wird.

Der Run-off bei LV-Policen
kann schon bald Routine sein

Frank Grund, Chef der Versicherungsaufsicht bei der Bafin, hat jüngst erklärt: "Die Bafin wird die Belange der Versicherten wahren, und das kann für die Übernehmer teuer werden." Wieso sollte die Bafin ihr Ansehen mutwillig aufs Spiel setzen, wenn sich ernsthafte Interessenten für die mehr als zehn Millionen Verträge finden, die aktuell in der Diskussion sind. Für ausländische Investoren gelten bei Verträgen mit Überschussbeteiligung besonders strenge Regeln. Sie dürfen Versicherungsbestände nicht ins Ausland übertragen und müssen sich an alle Regeln halten. Bis dato hat sich kein Interessent öffentlich bekannt.

Dass in der aktuellen Diskussion der Paragraf 314 VAG angeführt wird, ist reine Panikmache. Dieser erlaubt der Versicherungsaufsicht im Insolvenzfall, Leistungen zu kürzen und vorzeitige Vertragskündigungen zu untersagen. Bevor ein Versicherer oder eine bereits intern abgespaltene Gesellschaft oder eine Run-off-Plattform in diese Situation kommt, so die kaum gewagte Prognose, zeichnet sich die Situation in entsprechenden Solvenzberichten ab, und die Bafin hat den Kandidaten längst in Manndeckung genommen.

Vieles deutet darauf hin, dass Run-off in absehbarer Zukunft Routine ist und dabei für sämtliche Beteiligten von Nutzen. Die Policen-Direkt-Gruppe hat mit einem Bestandsvolumen von knapp einer Milliarde Euro als größter institutioneller Versicherungsnehmer wie alle Bestandskunden größtes Interesse daran, dass Garantien von Ergo und Generali - wie übrigens sämtlicher weiterer im internen Run-off stillgelegter Bestände klassischer Lebensversicherungen - zuverlässig bedient werden. Unerlässlich ist es, sich ein eigenes Bild vom Markt zu machen und Kennzahlen wie Finanzdaten der Versicherer im Blick zu haben. Die Sicherheit der Garantieversprechen wiegt bei Versicherern wie Run-off-Plattformen gleich schwer.

Die Nachricht, dass ein Vertrag ­womöglich bald abgewickelt wird, stellt daher aktuell keinen hinreichenden Grund dar, die Police vorzeitig zu beenden. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, warum die Lebensversicherung nicht auch im Endlager sicher sein sollte. Wenn dringend Geld benötigt wird, kann sich die einzelne Bewertung ändern. Hier empfiehlt sich der Verkauf der Lebensversicherung, der schnell und sicher Mehrwert gewährleistet. Eine Kündigung dagegen ist mit größeren Verlusten verbunden, ein Widerruf ist zeitintensiv.

Kurzvita

Henning Kühl, Chefaktuar
der Policen- Direkt-Gruppe

Der Diplom-Versicherungsmathematiker ist Mitglied der Deutschen Aktuarvereinigung und seit 2005 bei Policen Direkt verantwortlich für die Bewertung von Lebensversicherungen. Jährlich prüft er mehrere Tausend Verträge.
Policen Direkt ist Anbieter für Investments in Zweitmarkt­policen und sieht sich als Marktführer im ­Ankauf deutscher Lebensversicherungen.

Bildquellen: Zadorozhnyi Viktor / Shutterstock.com, Manuel Dorn Fotografie