EZB: Euro-Banker unter Spannung
Die EZB steht vor der Herausforderung, die ultraexpansive Geldpolitik graduell zurückzuführen und dabei negative Effekte auf Kapitalmärkte und Volkswirtschaften zu vermeiden. Was auf Anleger zukommt.
von Frank Engels, Gastautor von Euro am Sonntag
Am 26. Juli jährte sich die "Whatever-it-takes-Rede" von Mario Draghi zum fünften Mal. Im Angesicht von Deflationsgefahr und Spekulationen auf einen Zerfall der Währungsunion werde man alles tun, so der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), um den Euro zu erhalten. Seitdem hat die EZB mit ultraexpansiven Maßnahmen die Geldpolitik bis an die Grenzen ihres Mandats gelockert. Heute ist klar: Der Einsatz hat sich gelohnt. Das Gespenst der Deflation ist verschwunden, die Wirtschaft brummt.
Dafür steht die Notenbank nun vor einer neuen Herausforderung. Im Spannungsfeld zwischen anziehender Konjunktur, nach wie vor niedriger Inflation und institutioneller Schranken sollte sie beizeiten einen Weg aus dem geldpolitischen Krisenmodus finden. Denn der Patient Eurozone bedarf nicht länger einer "geldpolitischen Notbeatmung".
Eine der zentralen Bezugsgrößen internationaler Geldpolitik seit Ausbruch der Finanzkrise war und ist die Stimulierung von Wachstum beziehungsweise Verhinderung von Deflation. Läuft die Konjunktur schlecht, legen die Zentralbanken eine Lockerungsschippe drauf und stützen die Wirtschaft.
Zum ersten Mal seit der Krise ist die gegenwärtige weltwirtschaftliche Lage wieder durch einen synchronen konjunkturellen Aufschwung aller wichtigen Regionen gekennzeichnet. Das nützt dem stark in den globalen Handel integrierten Euroraum, der zudem die ersten Früchte der Reformanstrengungen der letzten Jahre (speziell in den ehemaligen Krisenländern Irland, Spanien und Portugal) erntet. Und selbst in Italien und Griechenland mehren sich die Anzeichen eines Aufschwungs.
Das Limit für Anleihekäufe
durch die EZB rückt näher
Im Ergebnis legt das Wachstum in der Breite zu. Wir rechnen für die Eurozone in den Jahren 2017 und 2018 mit einem Plus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von jeweils 1,8 Prozent - ein sehr ordentlicher Wert für den "alten Kontinent", der über dem Potenzialwachstum des Währungsraums liegen und damit helfen sollte, die Arbeitslosigkeit weiter abzubauen. Von dieser Warte her ist es notwendig, dass die EZB erste Schritte aus der ultraexpansiven Geldpolitik unternimmt.
Weniger eindeutig ist der Befund hingegen bei der Inflation. Zur Erinnerung: Das Mandat der EZB besteht in der Sicherstellung von Preisstabilität für den gesamten Euroraum, verstanden als Inflationsrate von nahe (aber unter) zwei Prozent. Davon ist die Währungsunion noch weit entfernt. In Deutschland ist die Inflation zwar im Juni auf 1,6 Prozent geklettert, dabei spielten aber schwankungsanfällige Komponenten wie Nahrung oder Reisen eine treibende Rolle. Sieht man von diesen Bestandteilen ab, ist die Entwicklung weiter moderat - und dabei ist die Bundesrepublik noch ein Mitgliedsland mit relativ hohen Preissteigerungen.
In der Währungsunion als Ganzes lag die Inflationsrate nur bei 1,3 Prozent im Jahresvergleich und damit klar unter dem EZB-Ziel. Zudem beträgt die sogenannte Kerninflation, die von schwankungsanfälligen Lebensmittel- und Rohstoffpreisen abstrahiert, sogar nur 1,1 Prozent. Für die Währungshüter ist diese Entwicklung zweischneidig. Speziell für die Geldpolitik ist es ein Erfolg, dass die Deflationsgefahr gebannt ist. Es bedeutet aber auch, dass die EZB nun abwägen muss, ob - angesichts des nachhaltigen Konjunkturaufschwungs - die aktuell moderate Inflation in der näheren Zukunft stärkeren Preissteigerungen weicht.
Auch der rechtliche Rahmen und die damit einhergehende Umsetzbarkeit der Anleihekäufe rückt in den Fokus. Als "übernationale" Zentralbank ist der EZB die Staatsfinanzierung von Mitgliedsländern untersagt. Kritiker monieren, dass die Kaufprogramme gegen dieses Verbot verstoßen. Dem begegnet die Notenbank mit dem Verweis auf selbst gesetzte Grenzen, innerhalb derer sie den Erwerb zur Deflations- und Krisenvermeidung für akzeptabel hält. Unter anderem darf nur ein Drittel aller ausstehenden Anleihen eines Landes erworben werden. Die Aufteilung der Käufe soll zudem den Kapitalschlüssel der EZB abbilden, damit kein Land bevorzugt wird.
Das alles setzt der Notenbank Grenzen an "erwerbbarem Material" - und diese Grenze rückt nun auch bei den großen EWU-Staaten Deutschland und Italien in Sichtweite, nachdem sie bei kleineren Ländern wie etwa Portugal bereits erreicht ist. Denn alles in allem hat die Notenbank mittlerweile Papiere in Höhe von fast zwei Billionen Euro auf dem Buch.
Führt die EZB ihre Käufe in unverminderter Stärke fort, so wird sie spätestens zur Jahresmitte 2018 ihre Limits überschritten haben. Sie müsste das Programm dann vollständig einstellen oder aber Grenzen überschreiten, was rechtlich viele neue Fragen aufwerfen würde. Wahrscheinlicher ist daher eine schrittweise und über einen längeren Zeitraum angelegte Verringerung der Anleihekäufe ("Tapering").
Eine Anhebung der Leitzinsen lässt
noch lange auf sich warten
Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass die EZB im September einen genauen Plan für die graduelle Rückführung der Ankäufe ankündigen wird. Dieser sollte dann ab Januar 2018 umgesetzt werden.
Das wären gute Nachrichten, da hiermit die ersten Schritte aus dem geldpolitischen Ausnahmezustand in Europa erfolgen würden. Die Normalisierung der Zinspolitik wird aber weiter auf sich warten lassen: Am negativen Einlagenzins wird die EZB vermutlich noch eine ganze Weile festhalten - von Leitzinsanhebungen ganz zu schweigen.
Für die Börsen hält diese Entwicklung zwei wichtige Lehren bereit: Zum einen ist mit Turbulenzen rund um den Ausstieg aus den ultraexpansiven Maßnahmen zu rechnen. Bestes Anschauungsmaterial dazu liefert die amerikanischen Notenbank Fed, die bereits vor fast vier Jahren diesen Weg eingeschlagen hat. Die Europäer dürften genau zugeschaut haben, wie ihre US-Pendants den Ausstieg gemanagt haben und welche Spannungen an den Märkten (Stichwort "Taper Tantrum" im Frühjahr 2013) zwischenzeitlich zu beobachten waren. Zum anderen zeigt das Fed-Beispiel, wie langwierig der Weg zurück in die geldpolitische Normalität ist, denn die erste Zinserhöhung erfolgte im Dezember 2015 - also gute zweieinhalb Jahre später.
Kurzvita
Frank Engels,
Geschäftsführer
Union Investment Privatfonds
Dr. Frank Engels ist seit 2014 Mitglied der Geschäftsführung der Union Investment Privatfonds GmbH und leitet seit 2017 das Portfoliomanagement Multi Asset. Er ist eines von sieben stimmberechtigten Mitgliedern des "Union Investment Committee" (UIC). Das UIC formuliert auf monatlicher Basis die Kapitalmarktstrategie von Union Investment und setzt damit die Leitplanken für die taktische Steuerung der Fonds durch die einzelnen Portfoliomanager.
Zuvor leitete Engels fünf Jahre lang das Rentenfondsmanagement von Union Investment und war in dieser Funktion für gut 60 Mrd. Assets under Management verantwortlich. Als Head of Emerging Market Debt war Engels bereits von 2008 bis 2010 im Portfoliomanagement bei Union Investment tätig. Neben weiteren internationalen beruflichen Stationen arbeitete er auch bei der Europäischen Zentralbank sowie dem Internationalen Währungsfonds. Engels studierte Volkswirtschaftslehre an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz und war bis 1998 vier Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der WHU-Otto Beisheim School of Management in Vallendar tätig.
Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken und managt rund rund 300 Milliarden Euro für private und institutionelle Anleger.
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