Christian Lindner: "Die Dosis an Liberalität erhöht"
Der Bundesvorsitzende der FDP über die Lösung der Flüchtlingskrise, längst überfällige Steuersenkungen und die Sehnsucht der Liberalen nach einer Rückkehr in den Bundestag.
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von Lucas Vogel, €uro am Sonntag
Es spricht viel für ein Comeback: Nach bisherigen Umfrageergebnissen schafft die FDP bei der Bundestagswahl den Sprung über die Fünfprozenthürde. Das Jahr 2013, als die Liberalen nach desaströsem Ergebnis (4,8 Prozent) erstmals seit 1949 den Einzug ins Parlament verpassten, wird Christian Lindner wohl nie vergessen. Auf die größte Schlappe in der FDP-Geschichte folgten für den Parteichef vier harte Jahre Opposition - außerhalb des Parlaments. Lindner über die Lehren aus der Niederlage, den Wandel klassischer liberaler Positionen und seine Vorstellung von Regierungsverantwortung.
€uro am Sonntag: Herr Lindner, Sie sagen sinngemäß, Flüchtlinge sollten sich an Deutschland anpassen und nicht umgekehrt. Braucht Deutschland überhaupt Zuwanderung?
Christian Lindner: Wir brauchen auf jeden Fall mehr qualifizierte Zuwanderung und dafür ein Einwanderungsgesetz mit klaren Regeln und Kriterien. Hier schläft die Bundesregierung, obwohl wir gerade eine große Chance haben. Denn seit der Brexit-Entscheidung und der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten stehen zwei begehrte Zuwanderungsländer nicht mehr so hoch im Kurs.
Ein modernes Einwanderungsgesetz könnten Sie wahrscheinlich mit vielen Parteien umsetzen, fast alle sind dafür. Mit welcher würden Sie es am liebsten nach der Bundestagswahl realisieren?
Wir legen uns nicht vorab auf Koalitionen fest. Auf Landesebene regieren wir in Rheinland-Pfalz in einer Ampel mit SPD und Grünen, in Schleswig-Holstein in einer Jamaika-Koalition mit der CDU und den Grünen und in Nordrhein-Westfalen nur mit der CDU, also Schwarz-Gelb.
Das klingt nach Beliebigkeit und Machtpolitik.
Nein, das ist eigenständig. Wo wir unsere Inhalte umsetzen können, wo ein echter Politikwechsel möglich ist, gehen wir Koalitionen ein. Wo wir das nicht können, verzichten wir - so wie in Baden-Württemberg, wo wir die Einladung zur Regierungsbildung abgelehnt haben.
Und auf Bundesebene?
Entscheidend ist, dass wir inhaltliches Profil zeigen können. Klar ist: In der Wirtschafts- und Finanzpolitik haben wir mit der Union immer noch die größte Schnittmenge. Es stimmt die Richtung, wenngleich nicht das Tempo und die Vehemenz. Bei SPD und Grünen stimmt nicht einmal das: mehr Bürokratie, mehr Umverteilung, der maßlose Etatismus, das Misstrauen gegenüber wirtschaftlicher Freiheit - da sehe ich wenig Anschlussfähigkeit.
Sie halten eine Fortführung der
Großen Koalition für sehr wahrscheinlich. Was, wenn es doch für Schwarz-Gelb reichen würde? Unter welchen Voraussetzungen würden Sie eine Koalition eingehen?
Die Voraussetzungen sind die gleichen: Es müsste eine liberale Handschrift erkennbar sein. Prinzipienfestigkeit, Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit setzen wir nicht erneut aufs Spiel. Das ist die Lehre aus 2009 (die Koalitionsverhandlungen mit der CDU waren ein Grund für den späteren Absturz der FDP, die Redaktion).
Konkret: Haben Sie schon Punkte für einen Koalitionsvertrag, die nicht verhandelbar sind?
Wir werden vor der Bundestagswahl zehn Projekte definieren, die deutlich machen, was mit der FDP geht und was nicht. Dazu zählen eine Trendwende bei der Steuer- und Abgabenquote, ein Neustart beim Euro, eine gesteuerte Einwanderungspolitik und eine Offensive für Bildung und neue Technologien.
Im Wahlprogramm fordern Sie
mehr Geld für freie Schulen, höhere Löhne für Kindergärtner und Kindergärtnerinnen, Sprachförderung vor der Einschulung, mehr Stipendien und allein acht Milliarden Euro für Digitalisierung in Schulen. Woher soll dieses Geld denn kommen?
Nichts ist teurer für den Staat als schlechte Bildung. Ich investiere lieber heute, damit mehr Menschen über Bildung aufsteigen und ein gutes Einkommen erzielen können, als später über den Sozialstaat teuer zu reparieren. Es ist also eine Frage der Prioritätensetzung in der Politik. Das Geld ist da. Laut neuester Steuerschätzung nimmt der Staat allein bis 2021 über 145 Milliarden Euro mehr ein als zuvor erwartet. Davon sollte ein signifikanter Teil in die Köpfe investiert werden.
Zu den sprudelnden Steuereinnahmen haben ja alle Parteien gute Ideen - ob für Investitionen oder Steuersenkungen. Die FDP will die Steuern am stärksten senken. Um wie viel und vor allem wie?
Angesichts der zusätzlichen Steuermehreinnahmen sind 30 bis 40 Milliarden Euro Entlastung möglich. Das ist sogar noch bescheiden und wäre ein Gebot der Fairness. Mein Ziel ist eine Entlastung, die alle spüren: Rentner, Bafög-Empfänger, Hartz-IV-Empfänger und die fleißig arbeitenden Menschen in unserem Land. Deshalb planen wir mit einem Bündel an Maßnahmen: Wir wollen die Stromsteuer senken, den Soli abschaffen, die kalte Progression abbauen und die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Hartz-IV-Bezieher verbessern. Es muss eine neue Balance zwischen Bürger und Staat geben.
Ihr Programm beinhaltet klassische Forderungen der Liberalen: erleichterte Abschreibungen, Bürokratieabbau, Erleichterungen für Investoren in Start-ups und so weiter. Ist die FDP bei all der Runderneuerung der vergangenen Jahre doch die gute alte FDP geblieben?
Ich würde sagen, wir sind die bessere alte FDP. Wir haben uns erneuert und sind dazu an den Kern unserer Grundüberzeugungen gegangen. Im Ergebnis haben wir die Dosis an Liberalität im Programm erhöht. Wir sind keine Pro-Business-Partei, wie uns immer wieder vorgeworfen wird, wir sind eine Pro-Markt-Partei. Uns geht es um eine gute Marktordnung, in der es faire Wettbewerbsbedingungen gibt. Der Staat muss diese ordnen und dafür sorgen, dass der Wettbewerb funktioniert.
Die FDP hat sich über Jahrzehnte hinweg immer für das Motto "Leistung muss sich lohnen" eingesetzt. Wie passt das zusammen mit der Forderung, die Erbschaftsteuer für Ehepartner abzuschaffen, schließlich ist kein Einkommen so leistungslos wie das durch Erbschaft, oder sehen Sie das anders?
Hier geht es um den engsten Familienkreis. Und das Erbe ist zunächst einmal ein Eigentum, das in der Regel schon mehrfach besteuert wurde. Etwas Wertvolles an die nächste Generation übergeben zu wollen, ist ein natürlicher Wunsch. Daher bin ich prinzipiell kein Freund dieser Todessteuer. Wenn man sich an der Vermögensverteilung stört, sollte man mehr Menschen erleichtern, zu Eigentum zu kommen. Wir wollen dafür einen Freibetrag
bei der Grunderwerbsteuer von 500 000 Euro und eine Reduzierung der Baukosten durch maßvollere Baustandards.
Wie sieht es mit der Abgeltungsteuer aus? SPD-Politiker wollen sie abschaffen und Kapitalerträge
wieder mit dem persönlichen Einkommensteuersatz besteuern.
Auch Finanzminister Schäuble hat darüber bereits laut nachgedacht.
Es wäre falsch, die Abgeltungsteuer einfach abzuschaffen. Wenn man die Besteuerung von Kapitaleinkünften neu regeln möchte, dann müsste dies mit einer deutlichen Erhöhung des Sparerfreibetrags einhergehen. Als einzige Partei bringen wir die Forderung in die Debatte ein, dass Verkaufserlöse von Wertpapieren nach einer Spekulationsfrist steuerfrei sein sollen.
Die meisten Deutschen bezahlen keine Abgeltungsteuer, weil sie nur in Sparprodukte fast ohne Rendite investieren. Selbst jahrelange Nullzinsen haben keine Anlegerkultur in Deutschland wecken können. Wie könnte man das ändern?
Die Menschen benötigen zunächst einmal mehr finanziellen Spielraum. Auch deshalb sind wir für Entlastung. Aktienbesitz darf auch nicht steuerlich bestraft werden. Und er muss fester Bestandteil der Altersvorsorge werden.
Wie müsste man die staatlichen
Anreize für private Altersvorsorge verbessern?
Betriebliche und private Altersvorsorge müssen attraktiver werden. Konkret wollen wir die Möglichkeiten ausweiten, auch in Infrastruktur, Aktien und andere Unternehmensbeteiligungen zu investieren. Und die Vorsorge darf nur teilweise auf die Grundsicherung im Alter angerechnet werden, damit sich Vorsorge immer auszahlt.
Solange er nicht in Aktien investiert, leidet der deutsche Sparer
unter der Niedrigzinspolitik der EZB. Sie fordern ein Ende der Nullzinspolitik. Wie soll das gehen?
Herr Draghi ist mit seiner Zinspolitik in die Bresche gesprungen. Er hat Europas Regierungen Zeit für Reformen erkauft - die sind aber größtenteils ausgeblieben, die Schulden gestiegen. Wir brauchen einen glaubwürdigen Neuanfang mit marktwirtschaftlicher Reformpolitik wie der Agenda 2010 in ganz Europa. Wenn es diese Umkehr aufseiten der Regierungen gibt, kann Herr Draghi aus seiner Zinspolitik aussteigen.
Apropos Neuanfang: Käme eine
Regierungsverantwortung für die FDP - auch angesichts der recht dünnen Personaldecke der Partei - nicht zu früh?
Das darf man sich nicht aussuchen. Wenn es die Möglichkeit eines Politikwechsels gibt, wäre es unverantwortlich, diese Chance nicht zu nutzen und es sich in der Opposition bequem zu machen. Die FDP ist eine Traditionspartei, in deren Organisation jahrzehntelange Erfahrung und Staatsklugheit gespeichert ist. Und auch die personellen Möglichkeiten sind vorhanden.
Mit steigenden Umfragewerten dürften Wähler zurückkommen, die der Partei in der Krise den Rücken gekehrt hatten. Auf wen kann man sich in der Politik verlassen?
Auf echte Überzeugungstäter, die uns in den letzten Jahren in vielfältiger Weise unterstützt haben. Selbst als es dafür nur Hohn und Spott gab.
Sie sind Hauptmann der Reserve der Luftwaffe. Was bringen Erfahrungen bei der Truppe auf dem Berliner Parkett?
Ohne Disziplin und Kameradschaft wären wir auf unserem Weg zurück in den Bundestag nicht schon so weit gekommen. Man braucht beides, gerade in der APO.
Was haben Sie in vier Jahren außerparlamentarischer Opposition gelernt?
Die APO ist ein wahrlich raues Geschäft: Es fehlt die Bühne Bundestag, und man bekommt wenig Medienaufmerksamkeit. Mir war schon im Dezember 2013 klar, dass es ein langer, schwieriger, steiniger Weg mit Widerständen und Rückschlägen werden würde. Wir sind jetzt eine wettergegerbte Partei, uns haut so leicht gar nichts mehr um.
Eine harte Nuss ist die Flüchtlingskrise. Sie schlagen unter anderem eine Verteilung der Menschen auf alle Staaten der EU vor. Das klingt gut. Die Praxis sieht allerdings so aus, dass alle Flüchtlinge nach Deutschland und Schweden wollen und niemand nach Polen oder Ungarn.
Das stimmt. Aber wer nach Europa kommt und Asyl beantragt, kann sich nicht einfach aussuchen, wo er hin möchte. Was die Unterschiede innerhalb der EU angeht: Bis zu einem gewissen Grad kann ich die Ablehnung der Visegrad-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, die Red.) verstehen. Historisch hat man dort keine Erfahrungen mit Zuwanderung machen können, das waren geschlossene Gesellschaften.
Wie wollen Sie Orban und Co überzeugen?
Ich schlage einen Deal vor. Bei der notwendigen Stärkung der europäischen Grenzpolizei sollen doch diese Staaten ein größeres Kräftekontingent stellen, und dafür sind die anderen Staaten bereit, mehr bei der Unterbringung von Flüchtlingen zu tun. Die wichtigste Aufgabe ist es allerdings, die Fluchtursachen zu bekämpfen und Kontrolle an der EU-Außengrenze herzustellen.
Wie wollen Sie das tun?
Ich denke an die Staaten Nordafrikas, die alle ein Interesse an mehr wirtschaftlicher Zusammenarbeit haben. Die wollen einen Marktzugang und brauchen den Tourismus. Ich sehe da Verhandlungspotenzial und halte das für lösbar. Bisher scheitert das am Widerstand der Grünen, die die Maghreb-Staaten nicht als sichere Herkunftsländer einstufen lassen wollen.
Aber ist das größte Problem nicht Syrien, ein Land im totalen Chaos? Mit wem wollen Sie da verhandeln?
Syrien braucht eine politische Lösung, damit die Menschen in ihre Heimat zurückkehren können. Die Lage ist durch die Parteinahme Russlands nicht einfacher geworden. Der erste Schritt wäre eine vollständige Waffenruhe. Danach muss es darum gehen, eine Übergangsregierung zu bilden. Das wäre die Grundlage für eine Befriedung des Landes.
Stellen Sie sich einen Moment lang vor, Sie wären Bundeskanzler mit absoluter FDP-Mehrheit. Was würden Sie als Erstes tun?
Das Erste wäre ein Bildungsreformgesetz, das dem Bund erlaubt, diese wichtigste Zukunftsaufgabe mitzufinanzieren und auch klare Standards im Bildungswesen zu setzen. Das Zweite wäre ein Digitalisierungsstärkungsgesetz, das den Ausbau des Glasfasernetzes durch den Verkauf von Post- und Telekom-Anteilen beschleunigt und die Modernisierung der Verwaltungen umfasst. Als Drittes käme ein Aufhebungsgesetz für den Solidaritätszuschlag.
Kurzvita
Christian Lindner (38)
wuchs in Wuppertal auf, gründete eine Werbeagentur und studierte Politikwissenschaft, Öffentliches Recht und Philosophie in Bonn. Mitte der 90er trat Lindner in die FDP ein, 1998 war er bereits Mitglied des NRW-Landesvorstandes. 2004 zog Lindner in den Landtag ein und wurde Generalsekretär in NRW. 2009 folgte die Wahl in den Bundestag, wenig später die Berufung zum Generalsekretär der FDP unter Guido Westerwelle. Einen Tag nach der historischen Schlappe der Partei bei der Bundestagswahl 2013 wurde Lindner zu ihrem Bundesvorsitzenden gewählt.
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Bildquellen: Werner Schuering/FDP
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