Rentenlücke: Selbst ist der Sparer
Wie viel Geld brauche ich im Alter, wie viel sollte ich monatlich zurücklegen? Was sagt mir die offizielle Renteninformation, was ist noch wichtig? €uro am Sonntag hilft.
von Martin Reim, Euro am Sonntag
Endlich mal gute Nachrichten für Rentner: Im kommenden Jahr wird es voraussichtlich ein sattes Plus geben. Das Institut für Weltwirtschaft hat in der vergangenen Woche Zahlen veröffentlicht, wonach die gesetzlichen Altersbezüge im Westen um 2,8 Prozent und im Osten um 3,3 Prozent steigen werden — unter anderem wegen der hohen Lohnabschlüsse.
Wer noch nicht im Ruhestand ist, sollte sich von solchen Zahlen allerdings nicht in Sicherheit wiegen lassen. Für viele Bundesbürger wird die gesetzliche Rente nicht ausreichen, um ihren Lebensstandard im Alter zu halten. So kommen auch Besserverdienende ins Grübeln, wenn sie sich fragen, ob sie denn ausreichend vorgesorgt haben.
Dabei ist die Sache theoretisch ganz einfach. „Eine Lücke besteht insofern, als die regelmäßigen Einnahmen im Alter nicht die laufenden Ausgaben decken“, sagt Michael Huber von der Beratungsgesellschaft VZ VermögensZentrum. Seiner Meinung nach sind für eine Bestandsaufnahme drei Punkte entscheidend: Wie groß ist meine Einkommenslücke im Ruhestand? Wie viel Kapital benötige ich zum Zeitpunkt der Pensionierung, um die Lücke zu schließen? Und: Wie viel muss ich heute sparen, um das notwendige Kapital dann zur Verfügung zu haben? Welche Summen für Sie relevant sind, können Sie anhand der Tabellen auf dieser und der übernächsten Seite selbst kalkulieren.
Der Teufel steckt im Detail
Allerdings steckt der Teufel im Detail, wenn es um konkrete Beträge geht. „Die Antworten hängen stark von der familiären Situation, dem Beruf und den allgemeinen Lebensumständen ab“, erklärt Barbara Sternberger-Frey in ihrem Buch „Altersvorsorge richtig planen“, das von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen herausgegeben wird.
Wer alleinstehend ist und das bleiben will, hat nur sich selbst zu versorgen. Wer eine Familie gründen will oder dies schon getan hat, sollte auch Lebenspartner und Kinder im Blick haben. Bei berufstätigen Paaren ist die entscheidende Frage, was jeder zur gemeinsamen Alterskasse beitragen kann. Auch die Art des Zusammenlebens spielt eine große Rolle: Witwen- oder Witwerrente kann nur beziehen, wer mit dem verstorbenen Partner verheiratet war. Unverheiratete sind nach einem solchen Verlust auch finanziell alleingelassen.
Das erreichbare Versorgungsniveau und der sich daraus ergebende Bedarf für eine zusätzliche private Altersvorsorge werden entscheidend vom Arbeitsverhältnis bestimmt. Dieses gibt in der Regel vor, ob und in welcher Form und Höhe später mit einer Grundversorgung gerechnet werden kann.
Wie viel vom Staat zu erwarten ist, verrät die Renteninformation, die alle gesetzlich Versicherten über 27 Jahre einmal im Jahr erhalten (siehe unten). Keinesfalls sollte man sich mit den genannten Zukunftswerten trösten. Denn ob es in kommenden Jahrzehnten Rentensteigerungen geben wird und wie sie ausfallen, weiß heute niemand. „Weniger Beitragszahler müssen für mehr Leistungsempfänger aufkommen“, urteilt der Münchner Rentenwissenschaftler Axel Börsch-Supan in einer Studie über die langfristigen Aussichten für die gesetzliche Rentenversicherung.
Schon heute ist es nicht gerade viel, was die Bürger einplanen können. Zahlen des Bundesarbeitsministeriums für die alten Bundesländer zeigen, dass ein Mann im Durchschnitt nur 1.052 Euro erhält, wenn er Alters- oder Erwerbsminderungsrente bezieht. Bei Frauen sind es sogar lediglich 521 Euro. Diese Geschlechterlücke schließt sich nur langsam, wie das Deutsche Institut für Altersvorsorge errechnete.
Zur gesetzlichen Rente hinzu kommen staatlich geförderte Investments — allen voran Betriebs-, Riester- und Rürup-Renten und alle sonstigen Vermögensbestandteile inklusive vermieteter Immobilien. „Abzuziehen ist ein pauschaler Betrag für Kranken- und Pflegeversicherung sowie Steuern“, erklärt Barbara Sternberger-Frey.
Knackpunkt für die weitere Rechnung: Man muss schon heute abschätzen, wie lange das Geld reichen soll. Nun weiß natürlich niemand, wie alt er wird. Und kaum jemand möchte das Risiko eingehen, einst ohne Rentenzubrot dazustehen.
Deshalb gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man schließt eine Rentenversicherung ab. Die zahlt, ob staatlich unterstützt oder ungefördert, garantiert bis ans Lebensende. Oder man kalkuliert bei anderen Investments eine Auszahldauer ein, die deutlich über der statistischen Lebenserwartung liegt. Nach aktuellen Zahlen beträgt sie im Westen Deutschlands für einen 60-jährigen Mann 82,4 Jahre und für eine gleichaltrige Frau sogar 86,7 Jahre. Wer ganz auf Nummer sicher gehen will, wählt die ewige Rente (siehe Tabelle unten). Dann lebt man nur von den Erträgen des Vermögens; das Kapital bleibt unangetastet und kann später vererbt werden.
Wohnen als zentrales Thema
Die Ausgabenseite wird durch die Ansprüche an das Leben im Ruhestand bestimmt. Vor allem die eigenen Wohnbedürfnisse und die Frage, wann ein Arbeitnehmer seinen Job an den Nagel hängen will, beeinflussen die Ausgaben. Wer ein Eigenheim bauen oder kaufen will oder dieses Ziel bereits erreicht hat, sollte die nötigen Kredite bei Rentenbeginn möglichst getilgt haben. Ist Wohneigentum kein Thema, werden Miete plus Nebenkosten im Alter wahrscheinlich die größte laufende Ausgabenposition sein.
Doch hier ergibt sich ein weiteres Problem: Die konkrete Höhe der Miete lässt sich langfristig nicht verlässlich kalkulieren. Tendenziell dürfte die Mietbelastung jedoch wachsen, da die Inflation regelmäßig auch die Mieten in die Höhe treibt. Und auch die Mietnebenkosten dürften zulegen. Um die Höhe der Ausgaben für den Ruhestand richtig herzuleiten, empfiehlt es sich, die heutigen Ausgaben zu analysieren und zu überlegen, inwieweit sich die einzelnen Posten im Ruhestand verändern. Doch was ist die richtige Maßgröße? „Eine Faustregel besagt, dass man im Ruhestand einen rund 30 Prozent niedrigeren Finanzbedarf hat als während der aktiven Berufszeit“, meint Sternberger-Frey.
Ihr Argument: Manche Ausgaben reduzieren sich im Alter. Die Ausbildung der Kinder ist abgeschlossen, die wichtigsten Ausgaben sind getätigt. Und wer nicht mehr täglich ins Büro muss, spart an Kleidung. Auch das Auto kann kleiner ausfallen, zumindest muss nicht regelmäßig ein Neu- und Zweitwagen her. Allerdings mahnt der Heidelberger Finanzplaner Arndt Stiegeler: „Einsparpotenzial besteht hier nur durch Konsumverzicht.“
Eine wichtige Größe sollte man bei seinen Kalkulationen ebenfalls nicht außer Acht lassen: die Inflation (siehe Tabelle unten). Sie hatte in den letzten 50 Jahren in Deutschland immerhin im Durchschnitt knapp drei Prozent betragen. „Auf den ersten Blick erscheint ein solcher Preisanstieg vernachlässigbar, doch haben solche Raten bei längeren Zeitperioden große Auswirkungen“, sagt Finanzberater Huber, der mit seinem Kollegen Tom Friess zwei Bücher über Finanzplanung verfasst hat.
Um auf Nummer sicher zu gehen, sollten Sparer Einnahmen und Ausgaben getrennt mit Preissteigerungsraten durchrechnen und für die Einnahmen eine niedrigere Rate annehmen als für die Ausgaben, rät Huber: „Versorgungslücken werden erfahrungsgemäß eher zu klein als zu groß eingeschätzt.“ Er sieht zwei Grundregeln, um die Vorsorgelücke konsequent zu schließen: regelmäßig sparen und früh anfangen.
Flexibel bleiben
Doch wie früh sollte man definitive Pläne machen, wie die Versorgungslücke zu schließen ist? Der unabhängige Versicherungs- und Rentenberater Peter Sammer rät zur Gelassenheit. „Heutzutage wird ja schon manchmal Auszubildenden empfohlen, sich über ihre Altersvorsorge Gedanken zu machen. Das ist viel zu früh, weil sie nicht einmal ansatzweise wissen können, wie ihr Lebensweg verläuft.“
Insbesondere in jüngeren Jahren sei es naheliegender, zuerst Risiken abzuwenden, die existenziell bedrohlich sind — insbesondere durch Versicherungen gegen Haftpflichtschäden und Berufsunfähigkeit, außerdem Risikolebenspolicen bei Familienernährern.
Generell hält Sammer es für vorteilhaft, angesichts der möglichen Wechselfälle des Lebens, flexibel zu bleiben: „Die beruflichen, gesundheitlichen und familiären Umstände können sich anders entwickeln als gedacht.“ Auch sei die gesamtwirtschaftliche Entwicklung über lange Zeiträume kaum vorherzusagen, „und die hat starken Einfluss auf die Höhe der gesetzlichen Rente“.
Blick auf Gleichgestellte
Der Berater favorisiert eine regelmäßigere Bestandsaufnahme (siehe Tabelle unten) und empfiehlt, Art und Umfang der Vorsorge je nach Ergebnis zu modifizieren. „Meine Philosophie lautet: Auf Sicht fahren, Änderungen von den persönlichen Lebensumständen abhängig machen, spätestens alle fünf Jahre den Status überprüfen und, soweit notwendig, anpassen.“
Sammer orientiert sich, wie auch viele andere Experten, an absoluten Größen — also dem, was Sparer jetzt und später in Euro und Cent zur Verfügung haben. Eine andere Sicht auf die Rentenlücke hat Andreas Hackethal, Finanzprofessor an der Frankfurter Universität: „Ich empfehle bei finanziellen Dingen den Blick auf die Gruppe von Gleichgestellten.“ Viele Untersuchungen zeigten, dass für die meisten Menschen nicht ihr Konsumniveau in absoluten Zahlen wichtig ist, sondern relativ zu anderen.
Beispiel: Angenommen, ein Rentner bekommt 2.000 Euro im Monat. Andere, die ansonsten gleichgestellt sind, erhalten 3.000 Euro. Dann sei dieser Pensionär wohl unglücklicher, als wenn er und andere mit einheitlich 1.800 Euro auskommen müssten, meint Hackethal. Die unorthodoxe Konsequenz des Wissenschaftlers: „Wer fürs Alter vorsorgen will, sollte aktiv nachfragen, was gleichaltrige Nachbarn und Freunde unternehmen, und das in sein Kalkül einbeziehen.“
Welches Vermögen welche Rente bringt (pdf)
Checkliste für die Versorgungslücke (pdf)
Die Renten- information
Allgemein
Alle Jahre wieder
Schwarz, grau, weiß, beidseitig bedruckt — die
jährlich verschickte Renteninformation kommt schmucklos daher. Das Schreiben der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zeigt dem Beitragszahler, was er auf seinem gesetzlichen Rentenkonto angespart hat und was er erwarten kann. Hier wichtige Angaben und was sie tatsächlich bedeuten:
Im Detail
Nach allen Seiten offen
„Höhe Ihrer künftigen Regelaltersrente“: Die erste Zahl zeigt, wie viel Rente überwiesen würde, wenn Sie ab sofort nicht mehr arbeiten und einzahlen. Ausgewiesen wird allerdings nur die sogenannte Rentenanwartschaft nach heutigem Recht. Sprich: Gesetzesänderungen können den Betrag verändern, nach oben oder nach unten. Die zweite Zahl zeigt eine Hochrechnung der möglichen Altersrente, wenn Sie bis zu Ihrem Rentenbeginn weiter so verdienen würden wie in den vergangenen fünf Jahren. Auch dieser Wert ist mit Vorsicht zu genießen. Schon kurze Zeiten der Arbeitslosigkeit können einen Strich durch die Rechnung machen.
Invalide Angaben
„Rente bei voller Erwerbsminderung“: Der Betrag zeigt den monatlichen Rentenanspruch, wenn Sie heute invalide würden und keine drei Stunden täglich mehr arbeiten könnten. Vorsicht: Bundesweit liegt die entsprechend ausgezahlte Rente durchschnittlich nur bei etwa 700 Euro. Deshalb sollte die Erwerbsminderungsrente mit einer privaten Berufsunfähigkeitspolice aufgestockt werden. Eventuell gar keine Rente gibt es für Jüngere unter 30 Jahren oder Beschäftigte, die erst kurze Zeit einzahlen.
Auf Punktejagd „Entgeltpunkte“: Der Wert ist gesetzlich garantiert; über ihn wurde der angegebene Wert der Regelaltersrente errechnet. Die Entgeltpunkte ergeben sich aus bezahlten Beiträgen und sonstigen Versicherungszeiten. Für jeden Punkt bekommt man derzeit in den alten Bundesländern 28,07 Euro und in den neuen 24,92 Euro Monatsrente. Der Staat kann diese Summen allerdings jederzeit ändern.
Lohn der Angst
„Rentenanpassung“: Was zusätzlich rausspringt, wenn die Löhne klettern. Die DRV versieht die genannten Summen mit Risikohinweisen — zu Recht. Denn die Rente kann zwar tatsächlich steigen, wenn die Bruttolöhne anziehen. Das jährliche Plus betrug aber allein seit 2004 viermal exakt null.
In der Rechenfalle
„Zusätzlicher Vorsorgebedarf“: Unten auf der ersten Seite findet sich ein Risikohinweis: Die Kaufkraft der Renten ist in 20 oder 30 Jahren voraussichtlich deutlich geringer als heute. Auf Seite 2 wird vorgerechnet, wie viel von 100 Euro nach einem Kaufkraftverlust von 1,5 Prozent zum Rentenbeginn übrig ist. Zum Vergleich: In den vergangenen 50 Jahren lag die deutsche Inflationsrate bei durchschnittlich knapp drei Prozent.