Krankenkassen und die Wechsel-Rechnung
Seit 1. Januar dürfen die Krankenkassen wieder unterschiedlich hohe Beiträge verlangen. €uro am Sonntag zeigt, wo gesetzlich Versicherte weniger zahlen und was Wechsler beachten sollten.
von Markus Hinterberger, Euro am Sonntag
Politiker und Turner haben in der Regel wenig gemein. Doch die Rolle rückwärts beherrschen beide. Der Unterschied: Während Athleten bei dieser Übung, wenn sie gelingt, Beifall vom Publikum bekommen, wird bei politischen Volten selten applaudiert. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) ist das herzlich egal, denn er hat den einheitlichen Beitragssatz bei der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) rückgängig gemacht. Die Folge: Seit diesem Jahr kann es für Millionen gesetzlich Versicherte günstiger, für viele aber auch teurer werden. Doch der Reihe nach.
Zwischen 2009 und Ende 2014 verlangten alle Kassen von ihren Mitgliedern 15,5 Prozent des Bruttoeinkommens. Die eine Hälfte kommt vom Arbeitgeber, die andere zahlt der Versicherte selbst - dazu kamen eventuell Zusatzbeiträge. Vor 2008 konnte jede Krankenkasse ihren Beitragssatz selbst festlegen. Das führte dazu, dass die Beiträge um knapp zwei Prozentpunkte variierten. Bei einem Angestellten mit 4.000 Euro brutto bedeutete das 40 Euro mehr oder weniger im Monat. Denn auch wenn der Unterschied zwei Prozentpunkte beträgt, entfällt auf das Kassenmitglied nur ein Prozentpunkt, denn eine Hälfte zahlt der Versicherte, die andere Hälfte sein Chef.
Diesen Wettbewerb beim Preis führt Minister Gröhe nun wieder ein: Seit Anfang des Jahres gibt es einen Mindestbeitrag von 14,6 Prozent. Der Arbeitgeberanteil liegt fest bei 7,3 Prozent. Weitere 7,3 Prozent zahlen die Versicherten. Und die 0,9 Prozent, die zum früher gültigen "Einheitssatz" von 15,5 Prozent fehlen, sollen die Kassen je nach ihrer Finanzlage erheben dürfen. 0,1 Prozentpunkte Zusatzbeitrag bedeuten maximal 4,13 Euro im Monat. Basis dieser Berechnung ist der Höchstbeitrag in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Wer im Monat weniger als 4.125 Euro brutto verdient, zahlt entsprechend weniger Zusatzbeitrag.
Seit Ende 2014 stehen die Zusatzbeiträge der Kassen fest. "Viele haben die 0,9 Prozent nur knapp unterboten", sagt Thomas Adolph, Inhaber des Portals Kassensuche.de. Kassen, die deutlich unter den 0,9 Prozent bleiben, haben ihren Zuschlag bereits Anfang Dezember werbewirksam veröffentlicht. Vier Krankenkassen haben den Zusatzbeitrag überboten. Allen voran die Brandenburgische BKK: Die Krankenkasse verlangt von ihren rund 10.000 Mitgliedern 1,3 Prozent extra, sodass der Gesamtbeitrag bei 15,9 Prozent liegt. Von Versicherten, die den Höchstsatz zahlen, werden fortan gut zwölf Euro mehr abgebucht. Die BKK Pfalz, die BKK Family und die IKK Südwest verlangen 1,2 Prozent Zusatzbeitrag. Insgesamt müssen über 900.000 gesetzlich Versicherte mehr zahlen als 2014.
Ab 2016 wird’s teurer
Branchenkenner Adolph ist sich sicher, dass die vier Kassen nächstes Jahr in guter Gesellschaft sein werden. "Einige müssen sich schon 2015 anstrengen, die 0,9 Prozent zu schaffen." An eine Massenflucht wie vor einigen Jahren, als manche Kassen monatlich bis zu zehn Euro extra kassierten, glaubt Adolph nicht. "Der neue Zusatzbeitrag wird mit dem Grundbeitrag eingezogen, das fällt viel weniger auf."
Wolfgang Greiner vom Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie der Uni Bielefeld glaubt auch nicht an Abwanderungswellen, wohl aber, dass die Versicherer den Wettbewerb spüren werden. "Wir werden wie bisher Fusionen von Kassen sehen, denn viele Betriebskrankenkassen sind noch immer sehr klein", erklärt Greiner. Mit Pleiten wie bei der City BKK, als sich 2013 plötzlich rund 150.000 Versicherte eine neue Kasse suchen mussten, rechnet er nicht. Aber er weiß auch: Wenn die Konjunktur schwächelt und weniger Versicherte weniger Beiträge zahlen, wird der Kampf um das Geld aus dem Gesundheitsfonds härter. Schon jetzt beginnen dessen Reserven dramatisch zu schmelzen. Und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will den Bundeszuschuss kappen. Statt wie bislang elf Milliarden Euro sollen es künftig nur sieben Milliarden sein.
Bei den Kassen ist die Botschaft offenbar angekommen: Thomas Martens, Chef der Securvita, einer der großen Direktkassen, hat bereits angekündigt, sich nicht in einen ruinösen Preiskampf zu stürzen. Leistung sei wichtiger als ein Zehntelprozentpunkt weniger beim Beitragssatz. Daher zahlen Securvita-Mitglieder so viel wie bisher.
Mehr Wettbewerb nützt den Versicherten. Aber wer richtig gut versorgt sein will, muss genau hinschauen. Angst, schlecht oder gar nicht versorgt zu werden, braucht niemand zu haben. "Jede Krankenkasse muss die Grundversorgung bieten." Und die ist im Vergleich zu unseren Nachbarstaaten gut. Dennoch lohnt es sich, nach Extras zu schauen. Hierbei helfen Portale wie Kassensuche.de oder die halbjährlichen Vergleiche des €uro-am-Sonntag-Schwestermagazins €uro.
Wechseltipps
Wer mit seiner Krankenkasse unzufrieden ist, kann mit einer Kündigungsfrist von zwei vollen Monaten problemlos wechseln - Gesundheitstests gibt es nicht. Einzige Einschränkung: Die Krankenkasse ist in der bestimmten Region nicht vertreten. Nach dem Wechsel sind Versicherte maximal 18 Monate an diese neue Krankenkasse gebunden. Somit können Versicherte Kassen auch "ausprobieren" - ein Plus gerade
für bereits kranke Menschen.
Führt eine Kasse einen "kassenindividuellen Zusatzbeitrag" neu ein oder erhöht sie einen bereits bestehenden Zusatzbeitrag, haben die Versicherten ein gesetzliches Sonderkündigungsrecht. Spätestens einen Monat, bevor der Zusatzbeitrag zum ersten Mal erhoben wird, muss die Kasse alle ihre Mitglieder anschreiben und sie auf das Sonderkündigungsrecht und eine Übersicht des GKV-Spitzenverbands zu den Zusatzbeiträgen hinweisen. Zudem muss sie die Höhe des sogenannten "durchschnittlichen Beitragssatzes" mitteilen, der jährlich vom Bundesgesundheitsministerium festgelegt wird. Überschreitet der Zusatzbeitrag der Kasse diesen "durchschnittlichen Zusatzbeitrag", muss auch auf die Möglichkeit des Wechsels in eine günstigere Kasse hingewiesen werden. Die Kündigung wird dann Ende des übernächsten Monats wirksam.
Was gesetzlich Versicherte 2015 zahlen (pdf)
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