Boom in Shanghai: Warum der Bio-Markt so stark wächst
Dauersmog, Fabriken als Dreckschleudern und Gift im Essen — die Chinesen machen sich Sorgen um ihre Gesundheit. Eine Reportage über den Bioboom im Land der Umweltskandale.
von Nina Trentmann, Euro am Sonntag
Hmmm! Wie das riecht!“ Yongshao Tan hält seine Nase tief in den Komposteimer. Er nimmt eine kleine Schaufel und belädt sie mit der braunen Masse. „Schnuppern Sie mal, ganz gesund!“ Natürlicher Dünger ist eines der Lieblingsprodukte des jungen Asiaten. „Damit wächst das Gemüse viel, viel besser“, sagt der 32-Jährige. Tan muss es wissen, betreibt er doch seine eigene Ökofarm auf der Insel Chongming in der Nähe der 24-Millionen-Stadt Shanghai.
Hier, auf dem Mahota-Hof, baut der Jungunternehmer 60 verschiedene Sorten Gemüse und Früchte an und hält 20.000 Schweine, deren Ausscheidungen er mit Biomasse mischt, die Grundlage für den Naturdünger. Chemikalien sind bei ihm tabu, alles muss natürlich sein.
Das Gemüse, das Tan anbaut, wird einmal pro Woche in sogenannten Veggie Packs an Shanghaier Haushalte geliefert. Zwölf Pakete kosten 2.000 Renminbi, umgerechnet 225 Euro. Für ein paar Karotten, Lauch und Reis ist das viel Geld. „Wir berechnen alle Kosten“, sagt Tan Yongshao, „auch die, die durch die Emissionen entstehen. Deshalb sind wir teurer als andere.“ Der Ökofarmer hat dennoch schon über 400 Kunden. Damit es noch mehr werden, wirbt er auf Messen wie der Eco Design Fair in Shanghai für seine Karotten und Kartoffeln.
Riesiger Wachstumsmarkt
Ökounternehmer wie Tan gibt es in China immer mehr. Laut Organic Food Development and Certification Center in Peking macht der chinesische Biomarkt bereits einen jährlichen Umsatz von über einer Milliarde Dollar. Schätzungen zufolge soll er bis 2015 auf bis zu sieben Milliarden wachsen. Dem Institut zufolge gaben Chinesen im Jahr 2010 im Schnitt weniger als einen Dollar für ökologisch erzeugte Lebensmittel aus. Zum Vergleich: In Amerika waren es 65, in der Schweiz 153 Dollar pro Person.
Auch Ming Wai Yun profitiert vom Ökoboom. Die 40-Jährige stammt aus Hongkong und hat vor drei Jahren in der Nähe von Shanghai ein Unternehmen gegründet: Fair Globe handelt mit Lebensmitteln, mit Kaffee, Tee und Schokolade. „Das Geschäft wird mit jedem Jahr besser, immer mehr Chinesen wollen ökologisch korrekt einkaufen“, sagt Ming Wai Yun.
Die Lebensmittel- und Umweltskandale der jüngsten Vergangenheit — zuletzt schwammen im März über 6.000 tote Schweine im Shanghaier Huangpu-Fluss — führen chinesischen Konsumenten vor Augen, wie wenig sie der Nahrungsmittelindustrie trauen können. „Den Menschen ist das heute sehr viel bewusster“, erklärt Ming Wai Yun, „viele wollen deshalb lokale Produkte konsumieren.“
Etliche Unternehmen haben diese Marktlücke inzwischen entdeckt und bedienen die Sehnsucht nach sauberen, gesunden und ökologisch hergestellten Produkten. In Shanghai, Peking und Guangzhou sprießen Märkte und Messen wie die Eco Design Fair aus dem Boden. Es gibt Kochkurse für gesundes Essen und Ökohotels, die nach umweltgerechten Standards gebaut werden und gleichzeitig Erholung in der Natur versprechen — ein Millionengeschäft.
Doch noch sind die Konsumenten vor allem Ausländer und gebildete Chinesen aus der Mittelschicht. „Für gesunde Ernährung und einen gesunden Lebensstil interessieren sich die Menschen erst ab einer gewissen Einkommensklasse“, weiß Fair-Trade-Verkäuferin Ming Wai Yun. Diese Erfahrung macht auch Kimberly Ashton.
Die Australierin lebt seit zwölf Jahren in China und hat vor knapp drei Jahren ihr Kochstudio Sproutworks eröffnet. Hier, im frisch modernisierten Innenhof in der ehemaligen französischen Konzession in Shanghai, gibt die 33-Jährige Kurse für gesundes Kochen, sie führt Gesundheitsberatungen durch und hält Vorträge über Ernährung und Glück. Weiße Regale, ein massiver Holztisch und ein Laubbaum liefern das passende Ambiente. „Natürlich spreche ich in erster Linie vermögende Chinesen an. Es sind Menschen, die sagen: Meine Ernährung ist eine Investition, ich gebe mein Geld für gute Lebensmittel aus“, erklärt Ashton.
Öko hat seinen Preis
Diese Produkte haben ihren Preis: Ashton verkauft in ihrem Laden Mandeln für 118 Renminbi die Tüte, das sind umgerechnet etwa 15 Euro. Die Packung mit Chia-Samen — der Überlieferung nach die Kraftspender der Azteken in Südamerika — kostet 145 Renminbi, rund 18 Euro. Auch das Gesundheitscoaching ist nicht billig: Jede Sitzung dauert 70 Minuten und kostet 500 Renminbi (62,50 Euro), ein Coaching besteht aus acht Sitzungen. Für ihre Vorträge über Essen und Lebensglück verlangt Ashton 100 bis 200 Renminbi. „Der Preis ist schon eine Barriere“, gibt sie zu, „nicht jeder kann sich das leisten.“
Ein weiteres Problem: Den Kunden fehlt oftmals die Geduld. Viele Kunden erwarteten, dass sie nach nur einer Sitzung ihre Probleme — sei es Übergewicht, Haarausfall oder Akne — los seien. „Der Stressfaktor in Städten wie Shanghai ist groß“, sagt Ashton. „Die Kunden müssen viel arbeiten und dabei noch gut aussehen.“
Um gutes Aussehen geht es auch bei Jeni Saeyang. Die 39-Jährige verkauft mit ihrer Kette Eco & More chemiefreie Kosmetika — in erster Linie an Chinesen. „Ökoshampoo ist gerade total in.“ Fünf eigene Läden hat Eco & More inzwischen, auch Supermärkte werden bereits bedient. Saeyang verkauft ihre Produkte ebenfalls ziemlich teuer. So kostet eine Flasche Shampoo 85 Renminbi, etwa 10,70 Euro. Dahinter steckt nicht nur Marge, sondern auch Kalkül. „Wenn ich meine Kosmetika zu günstig verkaufe, denken meine Kunden: Das ist nicht echt.“
Kunden müssen vertrauen
Auf das Vertrauen der Kunden kommt es an. Mehrfach schon berichtete die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua über gefälschte und käufliche Ökosiegel. Inzwischen hat die Regierung reagiert. Vergangenen Juli wurden schärfere Regeln für die Lebensmittelproduktion und Verwendung von Ökosiegeln erlassen. Alle als ökologisch bezeichneten Lebensmittel müssen seitdem einen Barcode haben und im Internet auf ihre Echtheit überprüfbar sein.
Inzwischen hat eine Marktbereinigung stattgefunden, es sind aber vor allem die großen Firmen, die die gestiegenen Anforderungen erfüllen. „Viele kleine Hersteller sind aus dem Markt gedrängt worden“, sagt Christoph Angerbauer, der bei der Handelskammer in Shanghai für das Thema Lebensmittelimporte zuständig ist.
Hunderte von Milchproduzenten verloren nach dem Skandal um gepanschte Milch 2008 ihre Lizenz. „Seitdem ist das Interesse der Erzeuger gestiegen, saubere Lebensmittel zu produzieren“, sagt Angerbauer. Dennoch werde gerade bei Ökoprodukten viel betrogen, schließlich sind die Artikel um zehn bis 80 Prozent teurer als herkömmlich erzeugte Lebensmittel.
Auch Irving Steel will Ökogeld verdienen. Der Amerikaner hat mit mehreren chinesischen Freunden ein Unternehmen namens Original Life gegründet. Es produziert Lebensmittel mithilfe von Aquaponics, einer Technik, bei der Pflanzen und Fische in einem geschlossenen System leben und der Kot der Fische die Pflanzen düngt. „Lebensmittelproduzenten in China müssen mehr tun, um das Vertrauen ihrer Kunden zurückzugewinnen“, sagt der 26-Jährige. Er will seinen chinesischen Kunden zeigen, dass sie auch in der Stadt ihre eigenen Lebensmittel anbauen können.
Die Dachterrasse des Büros im Shanghaier Hongkou-Distrikt ist deshalb zur Anbaufläche umfunktio-
niert worden. 100.000 Renminbi, rund 12.500 Euro, hat die Stadtregierung an Fördergeldern gezahlt. „Man kann auch in der Stadt etwas ökologisch Sinnvolles tun“, sagt Irving Steel.
Delphine Yip ist dennoch aufs Land gefahren, um ihre Idee umzusetzen. Die 40-Jährige hat mit ihrem Mann ein Ökohotel gegründet. Bereits rund 60.000 Gäste hat Naked Retreats seit der Gründung 2011 beherbergt, 2012 machte das Hotel einen Umsatz von 6,5 Millionen Euro.
Knapp drei Stunden dauert der Weg von Shanghai nach Moganshan, wo das Hotel steht. Es wurde nach ökologischen Baukriterien entwickelt. So verbraucht Naked Retreats nach Aussagen der Betreiber rund 40 Prozent weniger Energie und 30 Prozent weniger Wasser als ein herkömmliches Hotel. Umgeben von Bäumen und Bergen, sollen die Gäste hier zur Ruhe kommen.
Bewusster übernachten
Victoria Hajjar leitet ein ähnliches Hotel mitten in Shanghai. Das URBN besteht zu 100 Prozent aus nachwachsenden oder recycelten Materialien und hat nur zwei Dutzend Zimmer. „Wir kaufen Emissionszertifikate und sind deshalb CO2-neutral“, sagt Hajjar. Damit punktet das Hotel vor allem bei chinesischen Gästen: „Die CO2-Bilanz interessiert unsere Kunden sehr“, erklärt die Hotelbesitzerin. Wenngleich nicht so dramatisch wie in der chinesischen Hauptstadt Peking, ist die Luftverschmutzung auch in Shanghai allgegenwärtig. Das URBN wirbt deshalb mit Speisen aus lokalen Zutaten, die keinen langen Transportweg haben. Auch dieses Paket hat seinen Preis: Eine Nacht im URBN kostet mindestens 160 Euro.
Noch beschränkt sich der Ökotrend in China vor allem auf die Mittel- und Oberschicht. Wenn es nach Peggy Liu geht, soll sich das bald ändern: Die Chinesin will die Massen zu einem gesünderen und nachhaltigeren Lebensstil bewegen. Dafür hat sie eine eigene Organisation gegründet. Warum sie an den Erfolg glaubt? „Hier in China kann man die Verschmutzung jeden Tag sehen, sie springt einen förmlich an.“