Kunstmarkt

Milliardengeschäft mit der Kunst: Der letzte Schrei

17.02.13 03:00 Uhr

Kunst um der Kunst willen – und als Ware. Wie der Kunstmarkt funktioniert und warum sich daraus ein Milliardengeschäft mit immer neuen Rekorden entwickelte.

von Andrea Maier, €uro Magazin

Die Stimmung im Saal ist angespannt. Alle Blicke sind auf den Auktionator gerichtet. Nach einer gefühlten Ewigkeit, die tatsächlich nur Sekunden dauert, nickt der Mittelsmann am Telefon dem Auktionator zu, der alsdann das aktuelle Gebot verkündet: 107 Millionen Dollar. Nach zwölfeinhalb Minuten ist die Versteigerung vorbei, und Edvard Munchs vierte Version der Zeichnung „Der Schrei“ geht als teuerstes je versteigertes Werk in die Geschichte ein.

Das i-Tüpfelchen auf der Rekordsumme sind stattliche zwölf Millionen Dollar, die der Käufer dem Auktionshaus zusätzlich als Aufgeld zahlen muss. So geschehen Anfang Mai 2012 bei Sotheby’s in New York. Doch ganz egal, ob es sich um Versteigerungserlöse oder Besucherzahlen auf Kunstmessen handelt — die Tendenz ist eindeutig: Interesse und Preise steigen stetig, die Kunstwelt scheint von Finanzkrisen wenig zu spüren. Aber stimmt das tatsächlich? Und wie funktioniert dieser Markt eigentlich?

Das kreative System.
Das grundlegende Element sind natürlich die Künstler. Sie gelten zwar oft als Grenzgänger und schwierige Zeitgenossen, doch setzen sie ihre Ideen kreativ um und bilden damit das Fundament des Kunstbetriebs.

Damit sie sich in Ruhe ihrem Schaffen widmen können, suchen sie sich eine Galerievertretung — im besten Fall Namen aus der Oberliga wie etwa Krinzinger, Thaddaeus Ropac oder Hauser & Wirth (siehe Ranking Seite  143). Der Galerist genehmigt sich in der Regel 50 Prozent von den Erlösen der Werke und bietet dem Künstler im Gegenzug eine Ausstellungs- und Marketingplattform.

Die Crème de la crème.
Idealerweise beinhaltet diese Vereinbarung auch, dass auf einer Kunstmesse ausgestellt wird. Auf den weltweit wichtigsten Messen wie etwa der Art Basel oder der Frieze in London und New York versammelt sich die Crème de la Crème der Kunstwelt. Neben Künstlern, Galeristen und Kunsthändlern treffen dort auch Sammler, Kuratoren, Kritiker, Kunstberater und Repräsentanten der Auktionshäuser aufeinander. Letztere erkunden die Kojen, um zu wissen, was auf dem Primärmarkt, also auf Messen und in Galerien, verfügbar ist. Im Unterschied dazu zählen Auktionen zum sogenannten Sekundärmarkt. Beide Märkte setzten laut der alljährlich im Frühjahr erscheinenden Studie der Maastrichter European Fine Art Foundation im Jahr 2011 im Bereich Bildende Kunst insgesamt 46,1 Milliarden Euro um. Mit knapp 70 Prozent entfällt der Löwenanteil auf moderne und zeitgenössische Kunst.

Die Gegenwartskunst kam erst Mitte der 70er-Jahre in die Auktionshäuser, was damals zu einem regelrechten Boom führte: „Kunst wurde Kult und nebenbei ein knallhartes Geschäft. In den Boomzeiten der 80er-Jahre hatten die Galeristen das Sagen, die Künstler bekamen von ihnen die Vorgaben für Formate und Produktionsausstoß, die Sammler hatten dafür geradezu anzustehen. Die Preise stiegen in astronomische Regionen.“ So schilderte die im April 2012 verstorbene Kunstkritikerin Claudia Herstatt die Entwicklung.

Auch Dirk Boll, Geschäftsführer von Christie’s Europa, spricht von „steigenden Preisen, die unterdessen immer mehr Eigentümer zum Verkauf bewegten“. Daran änderte auch der Schwarze Montag, der Börsensturz vom 19. Oktober 1987, nichts. Kunst entwickelte sich zu einer alternativen Anlageform und stellte Anfang der 90er-Jahre in kürzester Zeit unglaubliche Rekorde auf: Im Mai 1990 erzielte Christie’s mit Vincent Van Goghs „Porträt des Dr. Gachet“ 82,5 Millionen Dollar — ein bis dahin unerreichter Auktionsrekord, aufgestellt vom japanischen Papierindustriellen Ryoei Saito. Der ersteigerte nur zwei Tage darauf bei Sotheby’s Pierre-Auguste Renoirs Gemälde „Bal au moulin de la Galette“ für 78,1 Millionen Dollar.

Doch die Blase platzte: Spekulative Investoren zogen ihre Gelder ab, und auch viele kaufkräftige Kunden aus Fernost fielen in den 90er-Jahren aufgrund der Asien-Krise weg. „Durch Panikverkäufe verloren viele Anleger ihre Einsätze, Kunst war als Spekulationsgut längerfristig diskreditiert“, beobachtete Boll.

Während Impressionisten damals eine erste Abschwungphase hinnehmen mussten, blieb zeitgenössische Kunst hoch im Kurs und erlitt erst während der internationalen Finanzkrise 2008 einen herben Rückschlag. Boll zufolge gab es aber im Vergleich zur Krise der 90er-Jahre gravierende Unterschiede: „Auf dem Markt des 21. Jahrhunderts wird sehr viel selektiver und qualitätsbewusster gekauft. Durch das allgemein gestiegene Interesse an Kunst hat dieser Markt deutlich mehr Kunden — die großen Auktionshäuser schätzen, dass 2008 die Zahl von aktiven Bietern, die an Auktionen teilnahmen, 20-fach höher lag als noch 1988.“ Doch nicht nur das Auktionswesen hatte sich verändert, solche Entwicklungen wirken sich auf den gesamten Markt aus.

Klassische Künstlerkarriere.
Am besten nachvollziehbar ist die Entwicklung, wenn man den Weg eines Künstlers an die Spitze verfolgt: Hat er es erst einmal in eine namhafte Galerie geschafft, geht der nächste Schritt in Richtung Museum oder öffentliche Sammlung. Endgültig gewonnen ist der Kampf um die Anerkennung, wenn der Künstler Einzelausstellungen in großen Institutionen bekommt oder an Biennalen wie in Venedig oder der weltweit größten Kunstausstellung, der Documenta in Kassel, teilnehmen darf. Diese Leistung kann ihm niemand mehr streitig machen.

Der Weg dorthin gestaltet sich aber für die meisten Künstler mehr als schwierig, schrieb auch Claudia Herstatt: „In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Mechanismen des Kunstmarkts verändert. Künstler werden nicht mehr nur entdeckt und gefördert, sondern auch gemacht und wieder fallen gelassen. Und dahinter stehen die verschiedensten, oft im Hintergrund bleibenden Interessengruppen, die Geld in Galerien und schnell aufbaufähige Künstler pumpen. Ihre Strategien sind ebenso wenig durchschaubar wie der Finanztransfer.“ Auch Herstatt beschäftigte die Frage, wer den Durchblick im Kunstmarkt hat.

Marktmechanismen.
Trotz der Informationsflut durch das Internet versucht der Kunstmarkt so intransparent wie möglich zu bleiben. Auktionshäuser veröffentlichen zwar ihre Umsätze, allerdings nur selten die Namen der Käufer; Galerien geben ungern Preisauskünfte, und Kunst als Investmentstrategie ist häufig verpönt. Hier setzte auch Claudia Herstatt an und bestätigte, dass es „ein ewiges Rätsel bleiben wird, warum manche Künstler zu Höchstpreisen, andere unter Preis gehandelt oder vom Markt ignoriert oder erst ganz spät entdeckt werden. Was man aber sehr genau einschätzen kann, ist das jeweilige gesellschaftliche und ökonomische Umfeld, in dem Kunst produziert und vermarktet wird.“

Galeristen und Auktionshäuser legen zwar ihre Preise fest, wissen aber genau, wie es um den Absatzmarkt bestellt ist. Gerade Auktionshäuser ringen derzeit um Ware von hoher Qualität, deren Provenienz und Echtheit garantiert ist.

Wer wirklich in Kunst investieren will, sollte den internationalen Wettbewerb genau verfolgen. Investoren können sich unter anderem am Mei-Moses-Fine-Art-Index orientieren, der die Rendite zwischen Kauf und Verkauf von Kunstwerken misst. Darüber hinaus haben sich zur Anlageberatung etliche Zweige wie etwa das Art Consulting oder das Art Banking entwickelt. Investoren werden dort nicht nur beraten, sondern können auch zwischen verschiedenen Anlageformen, beispielsweise Aktieninvestitionen oder die auf mehrere Jahre angelegten Art Fonds, wählen.
„Kunstinvestitionen kann man wie sonstige Investmentfonds und systematisch aufgebaute Portfolios beurteilen. Im Vergleich zu Wertpapieren, ist bei Kunst allerdings nur schlecht eine Entwicklungsprognose erstellbar“, warnt Dirk Boll.

Deshalb sollten sich Anleger sehr gut informieren, auch im preiswerteren Segment. Denn laut Boll liegen rund 60 Prozent aller Kunstkäufe in Europa unter 4000 Euro und davon 40 Prozent sogar unter 2000 Euro.

Kunst als Ware zu definieren bleibt umstritten. Nur einer Handvoll Käufern weltweit ist es überhaupt möglich, einen Munch für insgesamt 119 Millionen Dollar zu ersteigern. Dass aber ein anderer Bieter bis kurz vor Schluss mit an Bord war, zeugt von der starken Nachfrage und einem Markt, in dem der nächste Rekord wahrscheinlich nicht lange auf sich warten lassen wird.