Targobank-Chef: Immenser Wandel bei Anlageberatung
Der Chef der Targobank, Franz Josef Nick, kämpft an allen Fronten: Entschädigung von Lehman-Opfern, Ausmerzen von Beratungsmängeln. Zudem soll das Geschäft breiter werden. Gleichzeitig bläst der Wettbewerb zum Großangriff.
von Wolfgang Ehrensberger, Euro am Sonntag
Rund 50.000 Kleinanleger in Deutschland hatten Zertifikate der Pleitebank Lehman Brothers, verkauft unter anderem von der Citibank. Die hat sich nach der Übernahme durch die französische Großbank Credit Mutuel inzwischen in Targobank umbenannt. Vorstandschef Franz Josef Nick ist angetreten, um unter neuem Eigentümer, neuem Namen und neuem Beratungskonzept das Geschäftsmodell auf eine breitere Basis zu stellen und das Image aufzupolieren.
€uro am Sonntag: Die Targobank hat für Lehman-geschädigte Kunden einen
freiwilligen Hilfsfonds eingerichtet. Plagt Sie ein schlechtes Gewissen?
Franz Josef Nick: Natürlich bedauere ich, dass unsere Kunden Geld verloren
haben. Aber für die Insolvenz ist das Lehman-Management verantwortlich,
nicht die Sparkassen und Banken in Deutschland. Wir haben auch unsere Kunden
nicht falsch beraten. Das bestätigen die meisten Gerichtsurteile. Den
Hilfsfonds haben wir mit der Verbraucherzentrale NRW eingerichtet, um den
Kunden, die am härtesten von Lehman betroffen waren, schnell und
unbürokratisch auf dem Kulanzweg zu helfen.
Welche Kunden haben Sie bislang entschädigt?
Von den 27 Millionen Euro sind bis heute 22 Millionen an rund 3800
Kunden ausbezahlt worden, das waren rund 25 Prozent aller geschädigten
Kunden. Je nach Risikoneigung wurden zwischen 20 und 80 Prozent des Schadens
erstattet. Darüber hinaus konnten die Kunden die Lehman-Papiere behalten. Da
ist ja noch was drin, mit einer Nullquote im noch laufenden
Insolvenzverfahren rechnet niemand.
Die Kunden werfen der Bank zu Unrecht falsche Beratung vor?
Über 1000 unserer Kunden haben Klage eingereicht. Rund 80 Prozent der
bisherigen Gerichtsverfahren haben wir in der ersten Instanz gewonnen.
Außerdem haben wir vor den Oberlandesgerichten bisher alle Fälle gewonnen.
Nach Ansicht der Richter haben wir in der Beratung offenbar nicht so falsch
gelegen. Selbst die deutsche Bankenaufsicht BaFin hat bis zum Schluss
geglaubt, dass die US-Behörden eine mögliche Insolvenz von Lehman Brothers
nicht zulassen werden. Für Kunden, die viel Geld verloren haben, ist das
natürlich kein Trost.
Was ist mit den 20 Prozent der Verfahren, die sie verloren haben?
In den Fällen, in denen etwas falsch gemacht wurde, haben wir das
Verfahren auch verloren. Individuelle Fehler passieren, es kommt immer auf
den konkreten Einzelfall an. Es gibt da kein Schema.
Rechnen Sie damit, dass die Verfahren jetzt in die nächste
Instanz gehen?
Als gelernter Jurist rechne ich damit, dass einige Verfahren – ob von
einer Sparkasse oder einer Bank - am Ende vor dem Bundesgerichtshof landen
werden.
Die Stiftung Warentest hat der Targobank schlechte
Beratungsqualität attestiert. Wie wollen Sie aus dieser Ecke rauskommen?
Wir haben viele Dinge geändert. Jetzt müssen wir im konkreten
Beratungsgespräch besser werden und alles tun, um das Vertrauen unserer
Kunden zurückzugewinnen. Wir haben uns dafür Werte gegeben: einfach,
zuverlässig, leistungsstark und auf Augenhöhe.
Was heißt das konkret?
Bei dem von Ihnen genannten Test haben wir inhaltlich nichts verkehrt
gemacht, sondern Formalien nicht eingehalten: So hätten wir in den Fällen,
in denen wir über ein Wertpapier beraten haben, ein Beratungsprotokoll
aushändigen müssen. Das haben wir nur in einem Fall getan – das darf künftig
nicht mehr passieren. In vier Filialen gab es aber überhaupt keine
Wertpapierberatung mehr, dort wurden Sparprodukte, Sparbriefe und
Versicherungen empfohlen – sehr konservative Anlageempfehlungen. Das ist ein
immenser Wandel, dass Berater – aus Ihrem Selbstverständnis als
Vermögensberater heraus – nicht mehr nur Wertpapiere oder Fonds empfehlen,
sondern klassische Spar- und Versicherungsprodukte.
Könnten Sie sich vorstellen, Honorarberatung einzuführen?
Ich glaube, in Deutschland gibt es weniger als 10000 Bankkunden gibt,
die bereit sind, für Beratung Honorar zu bezahlen. Wer 10000 Euro anlegen will,
wird nicht erst einige hundert Euro nur für die Beratung zahlen. Dafür gibt
es, gerade im Massengeschäft, keine Nachfrage.
Was soll denn durch ihr neues Beratungskonzept für die
Kunden besser werden?
Wir bieten unseren Kunden, als einzige Bank in Deutschland, bei
Investmentprodukten eine „offene Architektur“. Das heißt, wir empfehlen
ausschließlich Fonds von Drittanbietern und lassen sie extern von FERI und
Scope bewerten. Wir wollen außerdem gleiche Beratung für unsere Kunden, ob
in Flensburg oder Kempten. Dabei legen wir nicht nur Wert auf
Neukunden-Gewinnung, sondern als Tochter einer französischen
Genossenschaftsbank vor allem auf die Kundenbindung. Darauf ist unser
Anreizsystem für die Mitarbeiter angelegt, das auch den Einsatz eines
standardisierten Finanzplaners empfiehlt, der inzwischen in über 90 Prozent
der Fälle zum Einsatz kommt.
Beratung nach Schablone als Lösungskonzept?
Der Finanzplaner soll sicherstellen, dass unsere Kundinnen und Kunden
anleger- und anlagegerecht beraten werden. Unsere Anlage- und
Vermögensberater befragen die Kunden, aber das System empfiehlt die Produkte
und die Aufteilung der Anlage. Zur Beratung kommt das
Produktinformationsblatt, das so einfach wie möglich. Auf zwei Seiten sind
sämtliche Informationen enthalten, einschließlich Kosten und Risiken.
Finanzampeln signalisieren auf einen Blick die Chancen und Risiken. Ich will
nicht behaupten, dass das der Weisheit letzter Schluss ist. Aber unsere
Produktinformationen sind auf jeden Fall eine gute Diskussionsgrundlage für
ein Gespräch.
Wie kommen die Kunden damit klar?
Wir wissen aus Erfahrung, dass Kunden lange Texte kaum lesen. Wenn sie
aber eine grüne oder rote Ampel sehen, fragen sie nach. Die Visualisierung
hilft auf jeden Fall.
Was sagen Ihre Berater dazu?
Unsere Berater wissen, dass wir uns ändern wollen. Wir brauchen keine
„Mini-Kostolanys“, die sich den ganzen Tag mit den Börsen beschäftigen,
dafür haben wir das Research. Die Beratungssituation ist auch so komplex
genug, wir brauchen Leute, die sich mit den Produkten auskennen, den Kunden
zuhören, die Kundenbeziehungen pflegen und die Anlageempfehlung begründen
können. Die Mitarbeiter sehen das ein und ziehen mit.
Wie viel Mitarbeiter haben im Zuge der Neuausrichtung die
Bank verlassen?
Im Gegensatz zu anderen Banken und Sparkassen haben wir keine Stellen
abgebaut, sondern wollen sogar weiter wachsen, gerade auch in der
Vermögensberatung. Aktuell suchen wir bundesweit alleine rund 50 Anlage- und
Vermögensberater.
Wie hoch ist die Fluktuation?
Die Fluktuation bei uns liegt im mittleren einstelligen Bereich. Damit
sind wir zufrieden. Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir ein anstrengendes
Jahr hinter uns haben. Da waren die Turbulenzen an den Finanzmärkten und die
Folgen der Lehman-Insolvenz. Außerdem haben wir unsere IT in mehreren
Schritten auf unseren neuen Eigentümer Crédit Mutuel umgestellt. Parallel
auch noch ein neues IT-Kernbanksystem implementiert - das war für alle nicht
einfach.
Wie hat sich die IT-Umstellung bemerkbar gemacht?
Wir haben die IT in den vergangenen eineinhalb Jahren auf eine
komplett neue Grundlage gestellt. In den Filialen behindert das erst einmal
die Beratung, das haben wir nachhaltig gespürt. Nach der Implementierung
sehen wir jetzt im zweiten Halbjahr, dass es wieder in die richtige Richtung
geht. Nächstes Jahr wird der Wettbewerb vor einigen IT-Problemen stehen, wir
haben diese dann hinter uns.
Wie hat sich das Geschäft 2010 entwickelt?
Bei den Einlagen haben wir bewusst auf Profitabilität geachtet und
durch Preisanpassungen das Volumen reduziert. In der Vermögensberatung ist
das Fondsvolumen 2010 gewachsen – wie in den beiden Jahren davor. Vor allem
Vermögensmanagementfonds sind gut gelaufen. Das Versicherungsgeschäft ist
ebenfalls deutlich besser als im Vorjahr gelaufen. Lediglich im
Kreditgeschäft haben wir einen leichten Rückgang verzeichnet.
Die gute Konjunktur kommt Ihnen nicht entgegen?
Doch, natürlich. Wir konnten die Zahl der Kreditkonten aufgrund der
sehr gut laufenden Absatzfinanzierung erhöhen. Und die Risikovorsorge
(2009: 435 Millionen Euro) wird 2010 um einen zweistelligen Millionenbereich
geringer ausfallen als im Vorjahr. Wir haben Kosten und Risiken unter
Kontrolle.
Was heißt das für das Ergebnis?
Trotz der Sonderbelastungen für die Umbenennung und die IT Anpassungen
in Höhe von rund 60 Millionen Euro erwarten wir 2010 ein höheres Ergebnis
vor Steuern als im Vorjahr (2009: 208 Millionen Euro).
Wie haben sich die Kundenzahlen entwickelt?
Wir rechnen zum Jahresende 2010 mit einem leichten Plus gegenüber dem
Vorjahr (3,4 Millionen Kunden).
Halten Sie am Ziel fest, die Zahl ihrer Kunden bis 2015 um
eine Million auf dann 4,4 Millionen zu erhöhen?
Ja, das Ziel eine Million mehr Kunden steht nach wir vor. Allerdings
werden wir das nicht innerhalb von fünf Jahren schaffen. Es geht auch nicht
um die reine Zahl. Wir wollen profitabel wachsen. Wir werden nicht mit
Kampfkonditionen in den Markt gehen, um Kunden zu gewinnen.
Weil der deutsche Privatkundenmarkt immer stärker umkämpft
ist?
Die spanische Großbank Santander hat die SEB-Filialen
übernommen und will wie wir auch das Anlage- und Beratungsgeschäft ausbauen.
Insgesamt entsteht dadurch ein gewaltiger Preis- und Margendruck. In unserem
angestammten Bereich, dem Kreditgeschäft, waren wir früher der Platzhirsch.
Dieser Markt wird uns jetzt von vielen streitig gemacht. Auch auf der
Anlageseite wird sich Santander mit SEB neu aufstellen, das werden wir zu
spüren bekommen.
Welches strategische Ziel haben Sie in diesem Umfeld?
Wir wollen Hausbank für unsere Kunden sein: vom Girokonto über
Anlageprodukte und Altersvorsorgelösungen bieten wir ein breites Spektrum
an. Gleichzeitig wollen wir in unserem Kerngeschäft, den
Konsumentenkrediten, unseren Marktanteil von momentan rund sieben Prozent
wieder auf über acht Prozent steigern. Das ist in diesem schwierigen
Marktumfeld schon sehr ehrgeizig.
Könnten sie sich vorstellen, im Kreditgeschäft neue Felder
zu erschließen?
Natürlich. Wir werden verstärkt neue Angebote und Produkte entwickeln.
Wir prüfen auch den Einstieg in die Autofinanzierung.
Wollen Sie insgesamt organisch wachsen oder auch über
Zukäufe?
Wir wollen vor allem organisch wachsen. Im neuen Jahr wollen wir an
ausgewählten Standorten neue Filialen eröffnen und das bestehende Filialnetz
modernisieren.
Die Targobank ist bislang ausschließlich in Deutschland
aktiv. Wie konkret sind Ihre Expansionspläne ins Ausland?
Darüber entscheidet einzig und allein unser französischer Eigentümer
Crédit Mutuel. Unseren neuen Namen Targobank können Franzosen, Italiener,
aber auch Osteuropäer problemlos aussprechen. Wir haben den Namen auch
europaweit schützen lassen. Ich will nicht ausschließen, dass wir irgendwann
damit auch andere europäische Märkte erschließen, darauf sind wir als
Targobank jedenfalls vorbereitet.
Franz Josef Nick
Targobank-Chef
Nick arbeitet seit 22 Jahren bei der Bank, die früher KKB hieß und von 1991 bis Ende 2009 Citibank, bevor sie von der französischen Genossenschaftsbank Crédit Mutuel übernommen wurde. Den Vorstandsvorsitz der Bank mit 6600 Mitarbeitern übernahm der 51-Jährige 2008.