Theo Waigel: Euro muss erzogen werden
Auch der Euro braucht ordentliche "Erzieher", ist der ehemalige Bundesfinanzminister Theo Waigel überzeugt. Im Interview erzählt er, was er über EZB-Chef Draghi und eine Vergemeinschaftung von Schulden denkt und wo er die Währungsunion in 20 Jahren sieht.
von Andreas Hohenadl, Euro am Sonntag
€uro am Sonntag: Herr Waigel, Sie sind einer der Geburtshelfer des Euro. Haben Sie in den vergangenen Jahren manchmal gezweifelt, ob der Euro noch das Erwachsenenalter erreicht?
Theo Waigel: Ich habe mir nur manchmal gedacht: Wenn jemand in der Erziehung ist, dann braucht er ordentliche Eltern oder Erzieher, die sich selber an ihre Maximen halten. Es hat mich geärgert, dass Deutschland die Regeln, die das Land zusammen mit den anderen Stabilitätsländern vorgegeben hat, selbst verletzt hat. Und dann sind auch noch die Regeln, nämlich der Stabilitäts- und Wachstumspakt, abgeändert worden. Das hat Vertrauen gekostet und uns in der Krise geschadet. Und natürlich hätte ein Land wie Griechenland nie aufgenommen werden dürfen. Das lag daran, dass die Politiker des Landes mit falschen Zahlen gearbeitet haben. Das lag aber auch daran, dass die europäischen Institutionen zu wenig kontrolliert haben. Das waren zwei interne Gründe. Der andere Grund, der manchmal vergessen wird, ist der, dass wir in den vergangenen Jahren immerhin die größte Finanzkrise seit 1929 hinter uns bringen mussten. Und daran ist nicht der Euro schuld, sondern eine falsche Finanzmarktpolitik und eine zu laxe Geldmengen- und Zinsentwicklung in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Die Krise hat sich seit dem Bekenntnis von EZB-Chef Draghi zum Euro wieder deutlich beruhigt. Darf die Europäische Zentralbank Ihrer Meinung nach eine derart zentrale Rolle bei der Krisenbewältigung spielen?
Ich hätte mir gewünscht, dass von Anfang an die Staatsmänner der Luxusklasse, also die Regierungschefs erklären, wir stehen zum Euro. Eine Währung muss man verteidigen. Die Europäer haben zu lange gedacht, das ist ein Selbstläufer. Nein, der Euro ist ein Instrument, aber die Finanzpolitik muss von den Ländern gemacht werden. Die Krise musste von den Ländern bewältigt werden. Die Staaten haben die Banken gerettet oder jedenfalls einen Teil der Banken und haben dafür viel Geld aufgewendet. Danach hat sich die Frage gestellt: Und wer rettet jetzt die Staaten? Das hat zur Krise in Europa geführt, und es hat zu lang gedauert, die Dinge in Angriff zu nehmen. In der Situation hat Draghi gehandelt. Und entgegen aller Kritik, die ihm auch in Deutschland entgegengebracht wurde, denke ich, dass das zu dem Zeitpunkt notwendig war. Wobei die Ankündigung der EZB nicht die Politik ersetzt. Das heißt: Nicht die EZB löst die Probleme, sondern die Staaten müssen ihre Probleme lösen und müssen auf dem Weg der Konsolidierung und der Strukturreformen weiter vorangehen. Aber die Ankündigung von Draghi hat ohne Zweifel die Märkte gedreht, war ein starkes Signal, weil die Märkte nicht mehr auf ein Zerbrechen des Euro gewettet haben. Dieses Blatt hat Draghi gewendet, ohne bisher eine einzige Anleihe auf dem Sekundärmarkt aufkaufen zu müssen.
Befürchten Sie, dass er das noch muss?
Es wäre mir lieber, er müsste es nicht. Aber er musste es so aussprechen – unlimitiert –, weil es nur dann seine Wirkung auf die Märkte erzielt. Und jetzt ist es schon erstaunlich, dass selbst das politische Patt in Italien die Märkte nicht über Gebühr aufregt, weil man sich sagt, irgendwie werden sie das schon lösen. Viel anders war die Situation noch nie in den vergangenen 20 Jahren in Italien.
Denken Sie, dass die Länder ohne den Druck der Märkte tatsächlich handeln?
Beides ist notwendig: der Druck Europas und der Verträge, die geschlossen worden sind, und der Druck der Märkte. Nur der Druck der Märkte hat dazu geführt, dass Mitterand seine falsche Politik von 1979 bis 1982 geändert hat. Der Druck der Märkte war es, der Jospin und Dominique Strauss-Kahn dazu gebracht hat, den Stabilitätspakt doch zu akzeptieren. Und der Druck der Märkte ist es auch, der die Italiener und auch Hollande dazu bringen wird, nicht gegen den Markt zu agieren. Wobei auch Märkte irren können. Das haben die vergangenen Jahre bewiesen, dass Übertreibungen stattfinden können. Und wenn solche Übertreibungen stattfinden, dann muss man auch dagegen handeln.
Sie haben einmal gesagt, dass Sie dem Euro eine ähnlich lange Lebenszeit geben wie dem römischen Denar, der 400 Jahre lang Geltung hatte.
Ja, wenn die Europäer vernünftig sind. Ich hoffe, dass die Menschen aus der Vergangenheit gelernt haben. Und wenn das so ist, dann glaube ich in der Tat, dass eine europäische Währung mit dazu dient, Europa überhaupt einen entsprechenden Platz in der Welt zu sichern. Die meisten Kritiker stellen sich ja überhaupt nicht vor, was die vergangenen Jahre gewesen wäre, wenn wir 30 verschiedene Währungen gehabt hätten. Und was würden wir tun, wenn innerhalb der nächsten fünf Jahre die chinesische Währung voll konvertibel wird, und wir der Macht des Dollar und des Renminbi 30 verschiedene Währungen entgegensetzen würden. Glaubt eigentlich noch jemand, dass eine D-Mark zur Stütze und zum Anker für 29 andere europäische Währungen werden könnte? Mit welchem Preis würden wir das bezahlen, mit welcher Aufwertung? Man denke nur an die Schweiz.
Sie sehen die großen Währungsräume, gegen die Europa ein entsprechendes Gegengewicht setzen muss?
Absolut. Denn die Kraft Europas wird nachlassen, seine Bevölkerungszahl wird nachlassen. Wir werden allein von der Größe her auf Dauer auch nicht mit den aufstrebenden Wirtschaftsmächten China, Indien oder Brasilien konkurrieren können. In einem solchen Zusammenhang nur eine Nischenexistenz zu führen, ist keine Lösung.
Auf welche Rolle muss sich Deutschland in Europa einstellen? Werden wir der Zahlmeister sein, wie viele befürchten?
Bisher waren wir nicht Zahlmeister, bisher waren wir Profiteur. Ich beneide den deutschen Finanzminister, zu welchen Bedingungen der sich momentan finanziert. Wenn ich mir vorstelle, während der Wiedervereinigung habe ich Zinsen von sechs bis acht Prozent bezahlt. Der gegenwärtige Finanzminister zahlt für seine Schulden fast nichts. Insofern ist Deutschland kein Zahlmeister. Was wir gegeben haben, sind Garantien, Hilfe zur Selbsthilfe. Und bisher kam selbst im Fall Griechenland mehr zurück, als wir unmittelbar geben mussten. Nein, wir haben bisher profitiert. Und wenn man überlegt, was uns eine 20- bis 30-prozentige Aufwertung kosten würde, was das bedeuten würde für die Arbeitsplätze, das Wachstum und den Bundeshaushalt, dann sind wir eindeutig die Profiteure. Wir haben zu Beginn der Währungsunion unseren komparativen Vorteil der niedrigen Zinsen gegenüber anderen verloren. In der zweiten Hälfte der Währungsunion, das zeigt nicht zuletzt auch das Ergebnis der Agenda 2010, sind wir wettbewerbsfähiger geworden, haben die Produktivität erhöht, haben mit vernünftigen Tarifabschlüssen mehr Stabilität erreicht als andere und haben jedes Jahr eine reale Abwertung gehabt, die uns immense Wettbewerbsvorteile in Europa und der Welt eingebracht hat. Wir sind die eindeutigen Gewinner in dieser Situation. Und das bringt es auch mit sich, dass wir eine Führungsverantwortung in Europa haben wie nie zuvor in den letzten 150 Jahren. Das ist eine tolle Chance, aber auch eine riesige Verantwortung. Natürlich schauen alle auf uns und erwarten, dass wir uns in der Führung mit anderen bewähren. Das erfordert Vernunft, Augenmaß, Demut und ein großes Maß an außenpolitischem Geschick.
Einige Euroländer fordern eine Vergemeinschaftung von Schulden. Wird sich Deutschland weiterhin gegen dieses Ansinnen stemmen können?
Die No-Bailout-Klausel war richtig und ist auch in Zukunft richtig. Es führt kein Weg daran vorbei, dass in absehbarer Zeit die Regierungen wichtige Dinge in ihren Ländern selbst durchsetzen müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein europäischer Finanzminister in der Lage wäre, in Griechenland ein Sparprogramm umzusetzen. Soll er auf die Akropolis gehen und eine Rede ans Volk halten? Ich bin für Hilfe zur Selbsthilfe, für Garantien und Strukturhilfen, auch für gezielte Programme gegen Jugendarbeitslosigkeit. Aber Schulden vergemeinschaften, so dass man für sein eigenes Handeln nicht mehr eintreten muss, das geht nicht.
Wie sieht Ihrer Vorstellung nach die Eurozone in 20 Jahren aus?
Ich bin da Realist. Früher habe ich mir Europa mal ähnlich vorgestellt wie die Vereinigten Staaten von Amerika. Doch es werden eher die Vereinigten Staaten in Europa sein. Dazu werden die gehören, die sich vertraglich stärker binden und bereit sind, auf dem Weg voranzuschreiten.
Sind noch alle Nationen dabei, die heute in der Eurozone sind?
Es werden jedenfalls nicht weniger Nationen sein, es werden eher welche dazukommen. Wenn das eine oder andere Land aber austreten möchte, dann werden es die bayerischen Gebirgsjäger nicht daran hindern.
Wenn Sie noch einmal die Chance hätten, den Euro einzuführen, würden Sie etwas anders machen?
Nein.