Interview Exklusiv

Altersvorsorge: Was berufsständische Versorgungswerke leisten

09.12.12 03:00 Uhr

Der Sachverständige für Versicherungsmathematik, Peter Schramm, über die mangelnde Transparenz ­berufsständischer Vorsorgeinstitutionen und die Konsequenzen für viele Freiberufler.

von Martin Reim, Euro am Sonntag

Die Probleme sind bekannt: Die gesetzliche Rente ist gefährdet, weil immer weniger Beitragszahler auf immer mehr Rentner treffen. Und die privaten Versicherer leiden unter den niedrigen Zinsen an den Finanzmärkten. Was nur wenige wissen: Dieselben Herausforderungen gelten für berufsständische Versorgungswerke — Institutionen mit immerhin knapp einer Million Einzahlern und Rentnern. €uro am Sonntag hat sich über deren Schwierigkeiten mit dem Experten Peter Schramm unterhalten. Der 56-Jährige ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Versicherungsmathe­matik. Er hat sein Büro in Eschborn bei Frankfurt.

€uro am Sonntag: Müssen sich Ärzte, Apotheker und Rechtsanwälte um ihre Rente sorgen?
Peter Schramm:
Sie sollten sich zumindest vor Augen führen, dass sie weniger bekommen könnten als sie meinen. Und dass zusätzliche Vorsorge möglicherweise sinnvoll ist.

Warum ist das so?
Wenn Versorgungswerke ihr Geld investieren, sind sie den Kapitalmärkten genauso unterworfen wie andere Anleger. Und bei festverzinslichen Papieren, die den Hauptteil des Portfolios ausmachen, sind die Renditen erheblich gesunken. Zweitens leiden sie unter der Alterung der Gesellschaft. Es ist bei vielen Versorgungswerken Teil des Systems, dass die Jungen für die Alten mitzahlen — ähnlich wie in der gesetzlichen Rentenversicherung. Und die Menschen werden immer älter, bei Freiberuflern ist dieses Phänomen sogar noch ausgeprägter als beim Rest der Gesellschaft.

Wie groß sind die Probleme?
Das ist schwer zu beurteilen, weil man als Außenstehender nur unzureichende ­Daten von den einzelnen Institutionen bekommt. Allerdings glaube ich nicht, dass es aktuell irgendwo eine akute Schieflage gibt. Vielmehr findet ein schleichender Prozess statt. Falls ein Versorgungswerk nicht mehr so viel Rendite erwirtschaftet wie nötig wäre, wird es anfangs seine ­Reserven angreifen und die Rentenerhöhungen mindern. Falls das nicht genügt, werden die Anwartschaften auf künftige Renten gekürzt und der Beginn der Rentenauszahlung nach hinten verlegt. Und erst dann kommen die aktuellen Renten dran.

Was passiert, wenn jemand explizite Berechnungen verlangt?
Dann wird er sie nach meinen Erfahrungen oft nur unzureichend oder auch gar nicht bekommen. Das ist kein böser Wille — die Verwaltungen sind nicht immer darauf ausgerichtet, und es gibt auch keinen gesetzlichen Anspruch auf solche individuellen Kalkulationen.

Das klingt so, als ob die Versorgungswerke schuldlos an der Misere wären.
Keineswegs. Man könnte schon mal die Begriffe besser erklären, beispielsweise den Rechnungszins. Der beträgt bei vielen Versorgungswerken für die meisten Anwartschaften noch vier Prozent, was beeindruckend klingt. Er zeigt aber nur, dass Einzahlungen und Renten auf dieser Basis kalkuliert sind. Liegt die Rendite der Kapitalanlagen darunter, muss nachjustiert werden. Bei privaten Versicherungen ist hingegen der Rechnungszins garantiert. Außerdem zeigen die privaten Versicherer ihren Kunden, welche Rente bei unterschiedlichen Zinsszenarien herauskommt. Das könnten auch die Versorgungswerke in ihre Standmitteilungen ­hineinschreiben. Sie müssten generell keine Furcht vor Transparenz haben, weil ihre Klienten in keinem Fall abwandern würden — es handelt sich ja um Zwangsmitgliedschaften.

Was läuft sonst noch schief bei den Versorgungswerken?
Mein Hauptvorwurf an die Versorgungswerke lautet: Viele Verantwortliche erwecken den Eindruck, dass bei ihnen alles bestens laufe. Immer wieder tauchen Aussagen nach dem Motto auf: „Wir kriegen es besser hin als die gesetzliche Rente.“ Das mag auch so sein. Aber dennoch kann bei Mitgliedern eine Versorgungslücke entstehen, weil sie sich in zu großer Sicherheit wiegen und einfach mit dem weiterrechnen, was sie bisher in Aussicht gestellt bekommen haben.

Warum? Die Anbieter behaupten, dass sie kostengünstiger arbeiten als private Versicherer.
Das ist wohl auch richtig. Aber man sollte nicht alle Eier in einen Korb legen. Zudem sollte man sich bewusst sein, dass Versorgungswerke im Schnitt risikoreicher anlegen und weniger vorsichtig kalkulieren als private Versicherer. Sie dürfen das, weil sie — wie bereits erwähnt — keine Auszahlungen garantieren müssen. Deshalb ist der Aktienanteil an den Investments um einiges höher. Das vergrößert die Chancen, aber auch die Risiken.

800.000 Einzahler und 200.000 Rentner
Versorgungswerke gibt es für viele Berufsgruppen. Manche offerieren lediglich eine Zusatzrente, etwa für Schornsteinfeger, Bäcker und Journalisten. Einen Komplettschutz bieten sogenannte berufsständische Versorgungswerke. Hier müssen alle Freiberufler einzahlen, die einer Kammer angehören — beispielsweise Ärzte, Apotheker, Architekten und Steuerberater. Ihre Versorgungswerke ersetzen die gesetzliche Rente und bieten außerdem Absicherung bei Berufsunfähigkeit und im Todesfall. Was für deren Mitglieder tatsächlich herauskommt, hängt zum Gutteil von der Rendite der Kapitalanlagen ab. Doch wie die einzelnen Branchenvertreter aktuell wirtschaften, bleibt zumindest für Außenstehende weitgehend im Dunklen. Die rund ­ 90 berufsständischen Versorgungswerke sind in ihren ­Anlageentscheidungen autonom. Auch die ungefähr 800.000 Einzahler und 200.000 Rentner haben kaum ­Aussichten, umfassende, aktuelle und verständliche ­Informationen zu erhalten.
Doch Transparenz täte not. Die letzten exakten Gesamtzahlen stammen von 2009. Aus ihnen errechnet sich eine Rendite von 5,2 Prozent. Immerhin steckten damals gut zwei Drittel der 125 Milliarden Euro in festverzinslichen Papieren, und der Marktzins ist seitdem stark gesunken — beispielsweise bei Neuanlage in zehnjährigen Bundes­anleihen von 3,4 auf 1,5 Prozent. Laut Angaben des Branchenverbands ABV ist die — nach spezieller Verbands­methodik errechnete — durchschnittliche Rendite von 2009 bis 2011 auf etwa vier Prozent gesunken. Für 2012 deuten Tendenzaussagen einzelner Versorgungswerke darauf hin, dass wiederum derselbe Wert erreicht wird.