Krankenkassen-Test: Die Qual der Wahl
Seit Jahresbeginn unterscheiden sich Krankenkassen nicht nur bei der Leistung, sondern auch beim Preis. Wie Sie jetzt die richtige Kasse finden.
von Markus Hinterberger, €uro Magazin
Politiker und Turner haben in der Regel wenig gemein. Doch die Rolle rückwärts beherrschen beide. Aber während Athleten bei dieser Übung - sofern sie gelingt - Beifall vom Publikum bekommen, wird bei politischen Volten selten applaudiert. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) ist das allerdings herzlich egal. Er hat den einheitlichen Beitragssatz bei der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) rückgängig gemacht. So zahlen nun Millionen gesetzlich Versicherte weniger, viele aber auch mehr.
Im Detail sieht das wie folgt aus: Seit Anfang des Jahres verlangen Krankenkassen einen Mindestbeitrag von 14,6 Prozent. Der Anteil, den der Arbeitgeber zahlt, liegt bei 7,3 Prozent. Weitere 7,3 Prozent zahlen die Versicherten. Und die 0,9 Prozent, die zum bis Ende 2014 gültigen "Einheitssatz" von 15,5 Prozent fehlen, dürfen die Kassen je nach ihrer Finanzlage von den Versicherten erheben.
0,1 Prozentpunkte Zusatzbeitrag bedeuten maximal 4,13 Euro pro Monat. Basis dieser Berechnung ist der Höchstbeitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung. Wer im Monat weniger als 4125 Euro brutto verdient, zahlt entsprechend weniger Zusatzbeitrag. Zwei Krankenkassen verlangen derzeit keinen Zusatzbeitrag (siehe Tabelle). Aber es geht auch andersherum: Die Brandenburgische BKK verlangt von ihren rund 10 000 Mitgliedern 1,3 Prozent extra, sodass deren Gesamtbeitrag seit Januar bei 15,9 Prozent liegt.
Im Durchschnitt verlangen die in Deutschland aktiven Krankenkassen 0,8 Prozentpunkte Zusatzbeitrag. Für viele wird die Krankenversicherung also insgesamt erst einmal günstiger. Doch die neue Freiheit der Kassen bei den Beiträgen sorgt bei Branchenkennern eher für Sorgenfalten: "Die Spanne der Beitragssätze wird sich schon im kommenden Jahr deutlich vergrößern", sagt Wolfgang Greiner, Inhaber des Lehrstuhls für Gesundheitsökonomie an der Uni Bielefeld.
Bald wird es teuer. Denn viele Kassen können derzeit nur dank ihrer Reserven den Zusatzbeitrag niedrig halten. Dieses Pulver wird bald verschossen sein. Zudem will der Bund die gesetzliche Krankenversicherung weniger alimentieren als bislang. Da der Arbeitgeberbeitrag bis auf Weiteres festliegt, wird es dann die Versicherten treffen. Maximilian Gaßner, oberster Aufseher der Krankenkassen, teilte Ende Februar mit, dass den Krankenkassen bis zum Jahr 2020 gut 25 Milliarden Euro fehlen werden. Der Chef des Bundesversicherungsamts geht davon aus, dass die Zusatzbeiträge in den kommenden fünf Jahren im Schnitt auf 2,2 Prozent steigen werden. Das wären auf Basis der heutigen Zahlen fast 58 Euro mehr Beitrag - pro Monat.
Kassenpatienten sollten aber nicht nur auf den Preis schielen, sondern auch auf die Leistung achten. Zwar sind 96 Prozent der Leistung der Kassen vom Gesetzgeber festgelegt, doch bei den übrigen vier Prozent gibt es enorme Unterschiede, die in Zukunft wohl eher größer als kleiner werden. Deswegen vergleicht Gesundheitsökonom Greiner die Zukunft der GKV mit dem Lebensmitteleinzelhandel. Dort gibt es Vollsortimenter und Discounter. "Die Präferenzen der Versicherten sind dagegen sehr unterschiedlich, was die Bereitschaft angeht, für einen umfassenderen Versicherungsschutz oder mehr Service auch mehr zu bezahlen."
Die ersten Vorboten dieses Trends zeigt der große Leistungs-Check, den €uro jährlich gemeinsam mit dem Portal kassensuche.de durchführt. So landet die Techniker Krankenkasse unter den bundesweit geöffneten Kassen mit Filialen vor Ort seit vier Jahren zum ersten Mal nicht auf Platz 1. Im Gegenzug hat sie als Einzige der drei größten Kassen mit mehr als fünf Millionen Mitgliedern den Beitrag gesenkt. Es scheint, als wolle Deutschlands größte Krankenkasse so ihre Marktführerschaft ausbauen.
Der Preis-Leistungs-Check. In diesem Jahr setzt €uro erstmals Preis und Leistung ins Verhältnis - und zwar in der Relation 30 zu 70. In diesem Ranking schaffte die Hanseatische Krankenkasse (HEK) den Spitzenplatz. Ihre Mitglieder zahlen 0,1 Prozentpunkte weniger Beitrag als 2014. Dabei schlägt die HEK in Sachen Leistung nur eine Kasse, die Securvita. Die Direktkasse mit Sitz in Hamburg ist in Sachen Leistung nach wie vor top. Doch das hat seinen Preis: Securvita-Mitglieder zahlen 2015 keinen geringeren Beitrag. Kassenchef Thomas Martens hat bereits im vergangenen Jahr angekündigt, sich nicht in einen ruinösen Preiskampf zu stürzen. "Leistung ist wichtiger als ein Zehntelprozentpunkt weniger beim Beitragssatz."
Thomas Adolph, Inhaber des Portals kassensuche.de, begrüßt, dass endlich Bewegung in die Branche kommt. "Versicherte, denen ihre Gesundheitsversorgung und auch der Preis wichtig ist, haben nun mehr Optionen", meint der Experte. Der Wettbewerb wird auch deshalb funktionieren, weil GKV-Versicherte anders als Privatversicherte ohne große Probleme ihre Kasse wechseln können.
So lesen Sie die Tabelle
Damit Sie aus den 95 für die Allgemeinheit geöffneten Kassen (92 davon haben wir getestet) schnell und einfach die für Sie passende Krankenkasse finden, haben wir diese in drei große Gruppen eingeteilt: bundesweit aktive Kassen mit Geschäftsstellen in ganz Deutschland; bundesweit tätige Direktkassen betreuen ihre Mitglieder telefonisch und online in ganz Deutschland; regionale Kassen sind in einem oder mehreren Bundesländern aktiv.
Bewertet haben wir die Kassen in sechs Bereichen (siehe unten). Mit diesen sechs Kategorien ist eine aussagekräftige Bewertung möglich. Die Daten (Stichtag: 27. Februar 2015) stammen von dem Onlineportal www.kassensuche.de
Bonus-/Vorteilsprogramme: Es wurde für insgesamt 14 Bonusbereiche abgefragt, ob in diesen jeweils ein (finanzieller) Bonus für Aktivität gewährt wird (etwa Mitgliedschaft im Sportverein). Für jeden Bereich gab es einen Punkt, maximal also 14 Punkte (100 %). Zudem wurde gefragt, wie hoch der maximale Bonus in Euro ist, den Erwachsene und mitversicherte Kinder je Jahr erzielen können. Die reinen Geldprämien wurden in einen Prozentwert umgerechnet (Erwachsene > 299 € = 100 %, Minderjährige > 199 € = 100 %). Höhere Geldprämien wurden auf 100 % gedeckelt. Bei den Vorteilsprogrammen für kostenbewusstes Verhalten wurde für vier Bereiche abgefragt, ob es finanzielle Vorteile gibt. Je Bereich gab es einen Punkt, also maximal vier Punkte. Schließlich wurden die erreichten Prozentwerte addiert und durch vier geteilt.
Gesundheitsförderung: Hier wird die Umstellung der Lebensweise auf ein gesundheitsbewussteres Verhalten unterstützt. Diese Gesundheitsförderung wird in Form von Schulungskursen erbracht. Leistung je Handlungsfeld: Maximal dürfen die Kassen im Jahr zwei Kurse von Fremdanbietern erstatten. Ist dies der Fall, gibt es 0,67 Punkte. Wird ein Kurs erstattet, sind es 0,33 Punkte. Zusätzliche 0,33 Punkte gibt es, wenn im jeweiligen Bereich auch ein zertifiziertes Onlineprogramm angeboten wird. Prozentuale Erstattung je Handlungsfeld: Bei 100 % gibt es 1,0 Punkte, bei Erstattung ≥ 90 %: 0,75 Punkte und bei Erstattung ≥ 80 %: 0,5 Punkte. Maximale Erstattung in Euro: 1 Punkt gibt es, wenn die Erstattungshöhe ≥ 250 Euro ist; 0,75 Punkte bei Erstattungshöhe ≥ 150 Euro, 0,5 Punkte bei ≥ 75 Euro.
Integrierte Versorgung: Das Ziel ist hier, Patienten mit klar definierten Krankheiten besser zu behandeln. Es wurden 59 Indikationen abgefragt. Wird im Versorgungsgebiet von der Kasse ein solcher Vertrag für eine Indikation angeboten, gab es einen Punkt, maximal also 59 (100 %).
Naturheilverfahren: Hier wurden 14 verschiedene Bereiche abgefragt. Wird in einem Bereich eine Leistung erbracht, gab es dafür einen Punkt; maximal gab es 14 Punkte (100 %).
Zahnversorgung: Zahnbehandlungen sind teuer; da ist es günstig, wenn die Krankenkasse möglichst viele Behandlungen zahlt. Übernimmt eine Kasse einmal im Jahr die kompletten Kosten einer professionellen Zahnreinigung (PZR), gab es vier Punkte. Gilt diese Übernahme nur für Teilnehmer bestimmter Versorgungsformen: zwei Punkte. Zahlt eine Kasse wenigstens einen Zuschuss für eine PZR, gab es einen Punkt. Für besonders viele Vertragspartner bei der PZR gab es weitere zwei Punkte. Werden besondere Versorgungsverträge für verbesserte Zahnmedizin angeboten, gab es einen weiteren Punkt. Wird die Möglichkeit eines einfachen Preisvergleichs für Zahnersatz angeboten: ein Punkt. Gibt es "Zahnersatz zum Nulltarif", etwa bei Regelversorgung und vollem Bonusheft: zwei Punkte. Wird Zahnersatz zu vergünstigten Konditionen angeboten: ein Punkt. Zahnmedizinischer Beratungsservice offeriert durch Fachpersonal brachte einen Punkt. Maximal waren 13 Punkte erreichbar (100 %).
Zusatzleistungen: Gesetzliche Krankenkassen bieten in einigen Bereichen oft auch Leistungen an, die in Art und Umfang über das vorgeschriebene Maß hinausgehen. Es wurden 13 verschiedene Bereiche betrachtet, wobei Haushaltshilfen darin zweimal vorkommen: in der Betrachtung für ältere Kinder und für den Fall, dass gar keine Kinder im Haushalt leben. Je Zusatzleistung, die im gesamten Versorgungsgebiet angeboten wird, gibt es 1,0 Punkte und je 0,5 Punkte bei regionalen Angeboten.
Das Gesamtergebnis: Hier flossen die sechs Bereiche mit folgender Gewichtung ein: Bonus-/Vorteilsprogramme: 20 %; ambulante Naturheilverfahren: 20 %; integrierte Versorgung: 10 %; Zusatzleistungen: 20 %; Gesundheitsförderung: 20 %; Zahnversorgung: 10 %.
Dabei wurde in jedem Bereich berechnet, wie viel Prozent der maximal möglichen Punkte (= 100 %) die jeweilige Kasse erreicht. Dieser Prozentwert wurde nach einem bestimmten Schlüssel in die €uroNote umgerechnet. In diesem Jahr wurde der jeweilige Gesamtbeitrag (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil) rein informativ hinzugefügt. In der Tabelle "Gesamtwertung" (unten) wurde der Beitrag mit 30 Prozent ins Verhältnis zur Leistung (70 Prozent) gesetzt. Die angegebenen Ränge beziehen sich auf diesen Vergleich. Je besser der Rang, desto besser schafft die Kasse den Spagat zwischen Preis und Leistung.
Um die Notenbereiche besser zu diffe- renzieren, wurden den Noten Nachkom- mastellen gegeben, das Notenspektrum sieht daher folgendermaßen aus:
100,00% - 91,66%: 1,0 (sehr gut)
91,65%-85,01%: 1,1-1,5 (sehr gut)
85,00% - 68,33%: 1,6 - 2,5 (gut)
68,32-51,66%: 2,6-3,5 (befriedigend)
51,65%-35,0%: 3,6-4,5 (ausreichend)
34,99%-18,33%: 4,6-5,5 (mangelhaft)
18,32%-0,00%: 5,6-6,0 (ungenügend)
Mithilfe der interaktiven Suchfunktion auf kassensuche.de lassen sich die wichtigsten Leistungen abfragen, die passenden Kassen werden angezeigt.
Die Ergebnisse
Gesamtübersicht
Die Kassen mit den höchsten Leistungen über alle sechs Teilbereiche (PDF)
Nach Kategorien
Bonus-/Vorteilsprogramme und Integrierte Versorgung (PDF)
Naturheilverfahren und Zahnversorgung (PDF)
Gesundheitsförderung und Zusatz-Leistungen (PDF)
Kassenwechsel: Abschied leicht gemacht
Seit 1996 können gesetzlich Versicherte ihrer Krankenkasse jederzeit den Rücken kehren und zu einer günstigeren oder leistungsstärkeren Kasse wechseln. Für die schriftliche Kündigung gilt lediglich eine Frist von zwei Monaten zum Monatsende. Interessenten können unter allen Anbietern wählen, die sich in dem Bundesland, in dem sie wohnen oder arbeiten, der Allgemeinheit geöffnet haben. Ablehnen darf eine Kasse Wechsler nicht. Auch Gesundheitsprüfungen wie bei anderen Versicherungen gibt es keine.
An ihre neue Kasse sind Wechsler 18 Monate lang gebunden - außer die Kasse erhöht den Beitrag, fordert einen Zusatzbeitrag oder senkt ihre Beitragsprämie. Dann gilt ein Sonderkündigungsrecht - auch für diejenigen, die noch keine 18 Monate dabei sind. Länger warten müssen Mitglieder, die sich in einen Wahltarif für Krankengeld eingeschrieben haben. An diese Tarife sind Kunden drei Jahre lang gebunden. Für alle anderen Wahltarife gilt seit 2011 das normale Kündigungsrecht. Ein Risiko, für einige Wochen unversichert zu sein, besteht nicht. Wer keine neue Kasse findet, bleibt automatisch in seiner bisherigen. So stellt der Gesetzgeber sicher, dass der Wechsler immer versichert bleibt.
Privatversicherte können nur sehr eingeschränkt zurück ins gesetzliche System. Versicherte unter 55 Jahren, die sich wieder gesetzlich versichern wollen, müssen ein Bruttojahreseinkommen unter der aktuellen Versicherungspflichtgrenze von 54 900 Euro nachweisen. Privatversicherte, die älter als 55 Jahre sind und in den vergangenen fünf Jahren mehr als zweieinhalb Jahre privat versichert waren, können nicht in die GKV zurück - auch nicht, wenn sie Arbeitslosengeld beziehen.
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