Euro am Sonntag-Interview

ZEW-Chef Fuest: "Die griechische Regierung hat keinen Plan!"

29.06.15 03:00 Uhr

ZEW-Chef Fuest: "Die griechische Regierung hat keinen Plan!" | finanzen.net

Der Chef des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung bezieht Stellung zur Griechenland-Krise und zu den konjunkturellen Aussichten Deutschlands.

von Dieter Fischer, Euro am Sonntag

Mannheim, ZEW, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest ist angespannt: Den ganzen Vormittag klingelt sein Telefon, die Griechenland-Krise ist immer präsent und viele suchen den Rat des 46-jährigen Wissenschaftlers. Doch beim Interview mit €uro am Sonntag ist Fuest schon wieder gelöst, entspannt, souverän. Er bietet Wasser an, bestellt sich eine Tasse Cappuccino und das Gespräch beginnt.

€uro am Sonntag: Herr Fuest, Griechenland ist fast pleite, dennoch gibt es dauernd Treffen auf höchster politischer Ebene. Wann hört das auf?
Clemens Fuest:
Ich bin der Meinung, dass die letzten Stationen nur einige unter vielen waren. Die griechische Regierung hat keinen Plan, wie die Wirtschaft wieder auf die Beine kommen soll - und daran ändern die jetzt zugesagten Maßnahmen nichts. Die griechische Regierung hat die Reformauflagen stark verwässert, sodass sie kaum noch sichtbar sind. Ich halte dies für sehr problematisch, da sich für die Zukunft die Frage stellt, ob die Hilfen für die anderen Eurostaaten an wirklich ernsthafte Reformen gekoppelt sind.

Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger und ebenfalls Ökonom, unterstützt in ­Teilen die sture Haltung der griechischen Regierung …
… und damit liegt er daneben. Es handelt sich nicht um den vorübergehenden Einbruch einer Wirtschaft, sondern um das Ende eines auf Pump finanzierten Wirtschaftsmodells. Das haben die Vertreter solcher Ansichten nicht verstanden: Griechenland hat über seine Verhältnisse gelebt.

Helfen neue Schulden?
Dagegen kann man nicht mit neuen Schulden anfinanzieren, sondern man muss sich anpassen. Griechenland steht vor der Frage, ob es zu einem Konsumniveau zurückkehren kann, das es selbst erwirtschaften kann. Das Falscheste, was man jetzt tun kann, ist, diese Konsumblase mit neuen Schulden aufrechtzuerhalten. Griechenland braucht keine neuen Schulden. Was Griechenland braucht, sind Reformen, die zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum führen.

Die griechische Regierung hat vor der Wahl etwas anderes versprochen als neue Strukturreformen. Das müsste sie jetzt komplett kassieren?
Versprechen, die man nicht halten kann, muss man kassieren. Erstens, es geht nicht nur um Strukturreformen, sondern auch um Preisanpassungen. Länder wie Griechenland sind zu teuer, sie müssen also ihre Löhne anpassen.

Das ist ein schmerzhafter Schnitt …
… aber notwendig, um wettbewerbsfähig zu werden. Man kann natürlich auch besser werden, wenn man zu teuer ist, aber das dauert seine Zeit. Zweitens sollte über die Frage gesprochen werden, ob die Schulden in Griechenland nachhaltig sind. Wir haben bereits mehrere Schuldenschnitte in Griechenland gehabt - offene und versteckte. Im offenen Teil war der private Sektor bereits dabei. In versteckten Schuldenschnitten haben die staatlichen Kreditgeber die Zinsen für Griechenland gesenkt und die Laufzeiten verlängert.

Kann sich Griechenland aus eigener Kraft erholen?
Gemessen am Bruttoinlandsprodukt ist der Schuldendienst in Griechenland niedriger als der in Portugal. Eine wirtschaftliche Erholung ist also möglich. Und solange die Aussicht besteht, dass sich ein Land erholt, sollte man sich ­einer Debatte über Schuldenerleichterung nicht verschließen. Wenn aber eine vernünftige Wirtschaftspolitik, sprich Reformen, nicht möglich ist, sondern das Gegenteil passiert - Unternehmen werden verstaatlicht und der öffentliche Sektor ausgeweitet -, dann hilft ein Schuldenschnitt nicht.

Muss Griechenland aus dem Euro, um wettbewerbsfähiger zu werden?
Nein, das würde ich nicht sagen. Es wäre eine Möglichkeit, durch eine eigene Währung abzuwerten und wettbewerbsfähig zu werden. Aber Griechenland würde dazu erst einmal einen Vertrauensvorschuss von Investoren benötigen. Wenn aber niemand der Währung vertraut, droht hohe Inflation. Daher bin ich der Meinung, dass nur aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit kein Austritt nötig ist. Es ist natürlich für ein Land nicht leicht, seine Preise zu senken. Mit der nötigen Entschlossenheit und Unterstützung der Bevölkerung und mit den nötigen Reformen kann Griechenland das jedoch schaffen.

Welche Reformen benötigt im Gegenzug die Währungsunion?
Es besteht in der Währungsunion ein Bedarf an mehr fiskalpolitischer Koordination und Zusammenarbeit. Was wir brauchen, ist deshalb ein Europa der zwei Geschwindigkeiten - das wird in Brüssel natürlich nicht gern gehört. Dennoch: Die Währungsunion sollte sich stärker integrieren, während der übrige Teil eher eine große Freihandelszone bleiben kann, wie von Großbritannien gewünscht.

Was muss sich denn innerhalb der ­Währungsunion ändern?
Innerhalb der Währungsunion brauchen wir mehr Integration, ich bin allerdings skeptisch, was eine zentrale Kontrolle der Fiskalpolitik angeht. Denn wenn die Entscheidungen über Schulden in Brüssel getroffen werden, brauchen wir dort ein Parlament mit demokratischer Legitimität. Auf der anderen Seite, wenn die nationalen Parlamente die Entscheider bleiben, müssen sie auch dafür geradestehen. Es kann nicht sein, dass dezentral entschieden und dann gemeinschaftlich gehaftet wird. Das funktioniert nicht.

Blicken wir stärker auf die deutsche Wirtschaft: Seit 2009 erleben wir in Deutschland einen konjunkturellen Aufschwung. Geht das so weiter?
Wir sehen aktuell am Rand eine Abflachung, welche natürlich mit der Unsicherheit über Griechenland zu tun hat. Im Grunde sieht das Bild aber sehr positiv aus. Wir profitieren in Deutschland von einer Reihe von Sonderfaktoren.

Welche sind das?
Die Zinsen sind extrem niedrig, die Währung ist gemessen an der deutschen Wettbewerbsfähigkeit unterbewertet und die Energiepreise sind niedrig, all das befeuert die Konjunktur. Das wird sich auch in das nächste Jahr ziehen und ich sehe die deutsche Konjunktur stabil. Die Frage ist natürlich, wie dauerhaft diese Entwicklung ist und wann sich langfristige Faktoren, die die Wirtschaftsentwicklung bremsen, durchschlagen werden. Mittelfristige Prognosen zeigen, dass das Wachstum des Produktionspotenzials sinkt, weil die Arbeitskräfte zurückgehen. Wir dürfen nicht vergessen: Wir sind mitten drin im demografischen Wandel.

Wie sieht es denn mit Steuersenkungen aus? Wäre das nicht ein Mittel, die Konjunktur langfristig zu beleben?
Bei guter Konjunktur ruhen sich die Politik und Wirtschaft tendenziell aus und fragen nicht, ob etwas getan werden muss, damit es so angenehm bleibt. Die Politik hat sich in den letzten Jahren stark der Umverteilung zugewendet: Wir ­haben den Mindestlohn und die Rente mit 63 bekommen. Diese Maßnahmen steigern nicht das Wirtschaftswachstum. Aktuell sehe ich aber eine Wende.

Inwiefern?
Die Diskussionen drehen sich vermehrt um das Thema: Sorgen wir durch das Investi­tionsverhalten genügend für die Zukunft vor? Schwierig ist dabei auch, dass viele Unternehmen eher in ihre Märkte in Asien und in den Schwellenländern investieren. Dazu haben wir in Deutschland ein Standortproblem: ­ Unser Steuersystem diskriminiert beispielsweise riskante Investitionen. Um innovative Unternehmen anzulocken, muss das Steuerrecht Verluste anerkennen und sich wachstumsfreundlich zeigen. Das Verrechnen von Verlusten wird in Deutschland vielfältig eingeschränkt - beim Verkauf von Unternehmen oder Anteilen an einer GmbH können Sie zum Beispiel Ihren Verlustvortrag verlieren.

Wenn vonseiten der Politik nichts kommt, sollten zumindest private Anleger dann vermehrt zum Beispiel in Aktien investieren, um ihre Zukunft zu sichern?
Die Aktienkultur in Deutschland ist schwach ausgeprägt. In Zeiten niedriger Zinsen kann anhand des Sparbuchs das Problem der Altersversorgung nicht bewältigt werden. Meiner Meinung nach sollten wirtschaftliche Themen verstärkt in der Schule aufgegriffen werden. Kapitalanleger müssen zudem lernen, dass sie mit Risiken leben müssen und es die eine sichere Anlage nicht mehr gibt. ­Zudem sind viele Produkte in der Finanzbranche, wie Investmentfonds, manchmal zu teuer und kompliziert, sodass Anleger ihnen nicht trauen. Mit Produkten, die leicht verständlich sind, wie Indexfonds oder ETFs, sind viele Anleger nicht vertraut.

Im Zuge Ihrer neuen Aufgabe als Nachfolger von Hans-Werner Sinn als Chef des Ifo-Ins­tituts werden Sie nach München umziehen: Haben Sie sich schon mal mit dem dortigen Immobilienmarkt auseinandergesetzt?
Ja. Und das war sehr schmerzhaft. Ich kenne die britischen Verhältnisse durch meine Lehrtätigkeit in Oxford, aber München ist auch sehr teuer. Das zeigt die Attraktivität der Stadt, aber man muss sich fragen, ob die hohen Immobilienpreise auch zum Wettbewerbsnachteil für die Stadt werden.

Herr Fuest, was machen Sie denn, wenn Sie nicht forschen, lehren oder Vorträge halten?
Jetzt verrate ich mich natürlich: Ich bin passionierter Skifahrer - Alpin und Langlauf - sowie Bergwanderer. Das macht München für mich natürlich sehr attraktiv. Ansonsten gehe ich gern Laufen. Aber das ist ja kein Hobby.

Wenn Sie das oft genug machen, schon.
Gut, dann ist es ein Hobby. Ich laufe circa drei Mal pro Woche, zum Ausgleich für das viele Sitzen.

Ab 2016 sind Sie neuer Chef am Ifo-Institut. Das ist ein bisschen so, als würde Dortmunds Trainer zu den Bayern wechseln. Sie werden aber erst ab April 2016 in München erwartet. Trainieren Sie das ZEW bis zum letzten Spieltag?
Ich versuche, mich da genauso zu verhalten wie ein guter Trainer in der Bundesliga: Bis zum letzten Spieltag spiele ich für den Verein, das Team, bei dem ich bin. Aber Spaß beiseite, wie wir den Übergang gestalten, bestimmen natürlich die ZEW-Organe, denn die haben das Sagen.

Letzte Frage, ZEW oder Ifo: Welches Institut macht die besseren Konjunkturprognosen?
(lacht). Die beiden sind da ja komplementär. Wir am ZEW machen einen Finanzmarkttest, eine Umfrage unter Finanzmarktexperten, und da erhalten wir einen Eindruck aus den Finanzmärkten. Das Ifo-Institut befragt Unternehmen, also die Realwirtschaft. Wenn Sie also gut informiert sein wollen, lesen Sie beide.

Ökonom, Chef
und Berater

Clemens Fuest, geboren am 23. August 1968 in Münster, gehört zu den angesehensten deutschen Ökonomen. Er studierte Volkswirtschaft in Bochum und Mannheim, promovierte 1994 zum Thema "Eine Fiskalverfassung für die Europäische Union" und habilitierte 2001 zum Zusammenhang von Steuerpolitik und Arbeitslosigkeit. Seit 2003 gehört er auch dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium an. Seit März 2013 ist er Chef des ZEW in Mannheim. Im kommenden Jahr folgt er Hans-Werner Sinn als neuer Chef des Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung.

Bildquellen: Axel Griesch fuer Finanzen Verlag