Euro am Sonntag-Interview

Hong Kong Jockey Club: Rennclub der Superlative

02.07.12 03:00 Uhr

15 Jahre nach der Rückgabe sucht Hongkong seine Identität zwischen britischer Kolonie und chinesischer Finanzmetropole. Im Jockey Club, dem reichsten Verein der Welt, vermischen sich Werte beider Kulturen.

von Daniela Meyer, €uro am Sonntag

Etwa zwölf Milliarden Euro setzt der 1844 gegründete Hong Kong Jockey Club im Jahr mit Pferde- und Fußballwetten um. Winfried Engelbrecht-Bresges (56) ist Vorstandschef des reichsten Vereins der Welt. Sechs Jahre leitete der Diplom-Kaufmann den Bundesverband für Pferdesport und Pferdezucht.

Mit €uro am Sonntag spricht er über den Austernappetit der Klubmitglieder, die Wettleidenschaft der Chinesen und den politischen Wandel Hongkongs seit der Rückgabe an China vor genau 15 Jahren.

€uro am Sonntag: Im Hong Kong Jockey Club schlürft man pro Woche 10.000 Austern, an einem einzigen Renntag werden 2.500 Hummer durch die Kochtöpfe gejagt. Ist das normal für einen Rennklub?
Winfried Engelbrecht-Bresges:
Man kann den Jockey Club mit keiner anderen Rennbahn vergleichen. Wir sind ein Unternehmen mit über zwölf Milliarden Euro Umsatz pro Jahr und einem Anlagevermögen von sechs Milliarden Euro. An einem Renntag setzen wir 100 Millionen Euro um — weltweit der höchste Umsatz pro Renntag.

Wie viel wird denn auf deutschen Rennbahnen umgesetzt?
100 Millionen Euro Umsatz schaffen alle deutschen Rennbahnen gemeinsam in zwei Jahren. 2011 war unser Umsatz auch höher als der auf allen US-Rennbahnen zusammen.

Warum sind die Chinesen so aufs Wetten versessen?
Glücksspiel ist in China verboten. Wer wetten will, kommt nach Hongkong. Unser Kundenkreis besteht daher zu 90 Prozent aus Hongkong-und Festland-Chinesen und zu zehn Prozent aus Ausländern, von denen die meisten schon lange hier leben. Grundsätzlich sind Chinesen risiko­freudiger. Das gilt auch für In­vestitionen am Immobilien- und ­Aktienmarkt. Pferdewetten werden von vielen Leuten hier nicht als Glücksspiel betrachtet, sondern als Investment.

Inwiefern kann man Wetten und Investments denn vergleichen?
Jede der 38 chinesischen Zeitungen in Hongkong hat täglich vier bis acht Seiten über die Rennen. Da geht es darum, was ein Pferd gefressen hat, wie schnell es war und ob es in der Woche geschwommen ist. An den beiden Renntagen, die wir pro Woche veranstalten, geht die Auflage der Zeitungen um 30 Prozent hoch. Da gibt es Sonderbeilagen mit Analysteneinschätzungen.

Der Stadt bringen die Wettverrückten jedenfalls gute Einnahmen.
Ja, wir sind größter Steuerzahler Hongkongs und haben 2011 rund 1,5 Milliarden Euro gezahlt, 7,3 Prozent aller Steuereinnahmen der Sonderverwaltungszone.

Kein Wunder also, dass der Klub in Hongkong ein Monopol auf Pferde- und Fußballwetten sowie die Lotterie halten darf.

Winfried Engelbrecht-Bresges
Wenn man Glücksspiel kommerzialisieren würde, müsste man auch mit gesellschaftlichen Folgen rechnen — gerade hier, wo man eine höhere Risikobereitschaft hat. In Macau, dem chinesischen Glücksspielparadies, sind die Kasinos nur auf Gewinn ausgerichtet. Dort werden wahllos Kredite vergeben und dann brutalst eingetrieben. Bei uns kann man nur mit Bargeld wetten, Kreditkarten nehmen wir nicht an. Wer online spielt, muss bei uns ein Konto eröffnen und kann nur mit dem dort vorhandenen Geld wetten.

Das Wetten bei Ihnen birgt also keine Gefahren?
Man muss sich bewusst sein, dass ein Risiko besteht, deshalb haben wir auch ein Programm, das verantwortungsvolles Spielen und Wetten fördert. Wer Probleme mit Spielsucht hat, kann sich melden und bekommt Hilfe. Unsere Erfahrung zeigt, dass diese Kunden häufig auch illegal oder in Macao spielen und ihre Probleme von dort herrühren.

Mit welchem Geschäftsbereich ­erzielen Sie am meisten Gewinn?
Wir sind weltweit größter Buchmacher für Fußballwetten. 700 Millionen Euro haben wir 2011 damit eingenommen. Die Lotterieeinnahmen lagen bei mehr als 300 Millionen Euro und die Erlöse aus den Pferdewetten bei rund 1,4 Milliarden Euro. Ein Gesamtgewinn von 2,4 Milliarden Euro.

Was machen Sie mit dem Rest Ihrer Einnahmen nach Steuern?
Wir sind ein Non-Profit-Unternehmen. Was wir nicht an Steuern oder Gewinnen auszahlen oder reinvestieren, geht in unseren Wohltätigkeitsfonds. 2011 haben wir 160 Mil­lionen Euro gespendet.

Muss ich Mitglied sein, um im ­Jockey Club wetten zu können?
Nein, von unseren 1,8 Millionen Wettkunden sind nur 23.000 Mitglieder. Wetten kann jeder. Der Mindesteinsatz liegt bei nur einem Euro.

Warum dann Mitglied werden?
Mitglieder können alle Veranstaltungen des Klubs besuchen und Gäste mitbringen. Zudem stehen ihnen unsere Klubhäuser zur Verfügung. Wir haben drei in Hongkong und ein Boutique-Hotel mit Klubhaus in Peking — alle auf Sechs-Sterne-Niveau.

Es geht also hauptsächlich ums ­Sehen und Gesehenwerden?
Pferderennen gehören hier zum Lebensstil. Mitglied bei uns zu werden ist Ziel vieler Geschäftsleute. Es ist sehr anerkannt, Freunde und Geschäftspartner in den Jockey Club einladen zu können. Das ultimative Prestigeobjekt ist ein eigenes Rennpferd — vor allem, wenn das Pferd große Rennen gewinnt. Die Preise für ein Rennpferd fangen bei 50.000 bis 80.000 Euro an, aber auch 1,5 Millionen Euro sind normal.

Der Jockey Club hat eine lange ­Tradition. Wie hat er sich seit Hongkongs Rückgabe an China vor 15 Jahren verändert?
Der Klub war immer schon ein Platz für schöne Feste und gute Umsätze. Aber die sportliche Seite war nur durchschnittlich. Heute haben wir 21 der weltweit 120 Spitzenpferde.

Reiten Sie selbst eigentlich auch?
Ich liebe Pferde, bin aber nie ein großer Reiter gewesen, mir gefällt eher die Zucht- und Rennsportseite.

Sie leben seit 14 Jahren in Hongkong. Welche Veränderungen ­haben Sie beobachtet?
Hongkong ist internationaler, seit der Rückgabe an China aber auch auf Identitätssuche. Chinesisch oder westlich — beide Ausrichtungen sind vorhanden, aber welche ist wichtiger? Ich hoffe, dass die Stadt ihre Offenheit und Rechtsstaatlichkeit behält und gleichzeitig in der Lage ist, sich als Teil Chinas zu etablieren. Diese Mischung macht Hongkong spannend und dynamisch.

Wie schätzen Sie die politische ­Entwicklung Hongkongs ein?
Hongkong hatte eine limitierte politische Kultur und ist nun auf dem Weg, diese auszubauen. Derzeit ist das System noch etwas diffus, einige Parteien haben nicht mal ein richtiges Programm. Aber Demokratie hat auch bei uns nicht über Nacht funktioniert. Die Diskussionen, was muss eine Regierung machen, wer ist das Volk, wie entstehen Gesetze und wie werden sie umgesetzt — das alles braucht Zeit.

Korruption scheint die politische Entwicklung immer wieder aus­zubremsen.
Grundsätzlich ist Hongkong keine korrupte Gesellschaft. Der Jockey Club vergibt oft riesige Aufträge, und ich habe nie erlebt, dass jemand versucht hätte, mich zu beeinflussen. Ich finde es allerdings auch normal, dass man sich gegenseitig zum Essen einlädt, um Geschäftsbeziehungen aufzubauen. Wenn ich mir die Regelungen einiger westlicher Firmen an­schaue, finde ich das oft auch übertrieben. Da wissen die Leute nicht mehr, ob sie sich zu einem Abend­essen hinsetzen dürfen oder nicht.

Derzeit wird vor allem wieder ­kritisiert, Peking nähme in Hongkong zu großen Einfluss. Stimmt das?
Ich glaube, die chinesische Regierung ist sehr vorsichtig, was Einmischung betrifft. Wenn das Modell „Ein Land, zwei Systeme“ in Hongkong scheitert, kann es auch in Taiwan nicht klappen. Das Ziel Pekings ist aber, eine chinesische Nation zu schaffen. Daher ist es wichtig, Stabilität zu wahren. Bei allen Krisen — der Asien-Krise, SARS, der Finanzkrise — hat China Hongkong unterstützt und für Wachstum gesorgt. Ich bin mir aber auch sicher, dass China sich eine Unabhängigkeitsbewegung nicht gefallen lassen würde.

zur Person:

Schlaflos in
Hongkong

1998 kam Winfried Engelbrecht-Bresges aus Köln als Renndirektor zum Hong Kong Jockey Club, 2007 wurde er Chef des Vereins. Aufs Pferd gekommen war er schon während seines Wirtschafts­studiums über die Familie seiner Exfrau, die das Gestüt Zoppenbroich betreibt. Vom Reitverein Neuss ging er zum Vollblutzucht-Direktorium in Köln. Heute kann sich der Ex-Drittliga-Fußballer und Vater dreier Kinder (aus erster Ehe) nicht vorstellen, wieder in Deutschland zu arbeiten. Seine Freizeit verbringt er mit seiner zweiten Frau, einer Chinesin, und beim Joggen – morgens um fünf Uhr. Denn schlafen müsse er „höchstens fünf Stunden pro Nacht“.