Euro am Sonntag-Interview

Christian Lindner: Sehe keine gemeinsame Basis für FDP und SPD

aktualisiert 08.07.13 15:49 Uhr

FDP: Der Vizechef der Liberalen, Christian Lindner, über die „Alternative für Deutschland“ (AfD), die Steuerpläne der Opposition und seine Unzufriedenheit mit der CDU/CSU.

von Mario Müller-Dofel, Euro am Sonntag

Nach jüngsten Wahlumfragen müssen CDU/CSU und FDP weiter um eine Fortsetzung ihrer Koalition nach der Bundestagswahl am 22. September bangen. Das liegt vor allem an der FDP, die zurzeit laut den Umfragen mit der Fünf-Prozent-Hürde für den Wiedereinzug in den Bundestag kämpft. Ob es für die FDP und damit für die schwarz-gelbe Koalition reicht, wird auch davon abhängen, ob die Liberalen Stimmen an die neue Partei AfD verlieren, die gegen die Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung rebelliert. FDP-Vize Christian Lindner sieht das zwar anders, hält die AfD aber für gefährlich. Und nicht nur die, wie er im Interview erklärt. €uro am Sonntag hat den 34-Jährigen im Landtag von Nordrhein-Westfalen am Düsseldorfer Rheinufer getroffen.

€uro am Sonntag: Herr Lindner, die Partei „Alternative für Deutschland“ wird von vielen Medien und Politikern als europafeindlich bezeichnet. Von Ihnen auch?
Christian Lindner:
Diese Formation ist — neben der politischen Linken — die zweite schlechte Alternative für Deutschland. Ihre Politik läuft auf Europas Spaltung hinaus, was sie in Forderungen nach einer Parallelwährung oder dem freiwilligen Euroaustritt Südeuropas ausdrückt.

Wird die FDP bei der Bundestagswahl im September deutlich Wähler an die AfD verlieren?
Das sehe ich nicht. Wir stellen die AfD sachlich und erlauben ihr nicht, sich in eine Märtyrerrolle zu flüchten.

Umfragen zufolge bekäme die AfD nur rund drei Prozent der Wählerstimmen. Ist das nicht harmlos?
Eher gefährlich, weil die Wähler der AfD das Gegenteil dessen befördern, was sie wollen — sollte am Ende eine Koalition links der Mitte regieren. Dazu wird es die FDP aber nicht kommen lassen.

Die AfD sagt, sie sei ein Korrektiv zu den bisherigen Konzepten zur Eurorettung. Was hat diese Partei im Denken der FDP bewirkt?
Nichts. Wir hatten ja als einzige Partei keinen Nachholbedarf. Die FDP hat bereits Ende 2011 in einem internen Mitgliederentscheid über die Europolitik abgestimmt. Da wurden Ideen, die von der AfD heute proklamiert werden, bei uns bereits intensiv diskutiert. Aber wir haben uns mehrheitlich für eine andere, inzwischen ja auch erfolgreiche Strategie entschieden.

Woran machen Sie das fest?
Um nur Beispiele zu nennen: Alle ­Eurostaaten müssen die Schuldenbremse in ihre nationalen Verfassungen aufnehmen, der Internationale Währungsfonds sieht Fortschritte in Griechenland, in Portugal fallen die Lohnstückkosten und Irland stabilisiert sich.

Das nach wie vor krisengeschüttelte Griechenland ist ja wohl ein schlechtes Beispiel.
Natürlich ist dieses Land noch nicht so weit, wie wir uns das wünschen würden. Aber die Einsparungen dort — hochgerechnet auf deutsche Verhältnisse geht es um 300 Milliarden Euro — würden auch bei uns zu Protesten führen, wenn sie überhaupt durchsetzbar wären. Dennoch haben reformorientierte Parteien Mehrheiten erzielt.

Aber noch immer müssen Griechenland und Co höhere Zinsen auf Staatsanleihen bezahlen als Deutschland.
Vor der Euroeinführung haben diese Staaten teilweise deutlich höhere Zinsen gezahlt. Die Marktbewertungen haben unsolide Staatshaushalte entlarvt — und nicht die europäischen Statistikbehörden. Italiens Regierungschef Berlusconi haben steigende Zinsen und Risikoprämien für Italien gezeigt, dass er kein Vertrauen mehr genießt. Ich plädiere ganz klar für den Markt. Er sollte nicht dämonisiert werden, aber klug geordnet sein.

Wo liegt derzeit die größte Gefahr für den Euro?
Die Politik des französischen Präsidenten François Hollande besorgt mich sehr. Ich hoffe, dass unsere französischen Nachbarn und Partner ihren Kurs bald ändern. Deren Wettbewerbsfähigkeit leidet unter hohen Steuern und staatlicher Kommandowirtschaft. Bemerkenswert ist, dass diese Politik eine Blaupause für SPD und Grüne zu sein scheint. Frankreich wird zum Patienten. Deutschland würde mit Peer Steinbrück und Jürgen Trittin Ansteckungsgefahr drohen — zum Beispiel durch deren Steuerpolitik.

Die Pläne der Grünen wurden heiß diskutiert. Selten ging eine Partei mit einem dezidierten Steuererhöhungsprogramm in den Wahlkampf. Wo liegt für Sie eine erträgliche Grenze der Besteuerung?
Ich beziehe mich auf die direkten Steuern: Hier ist der Halbteilungsgrundsatz für mich die Grenze. Mehr vom durch die individuelle Arbeitskraft erwirtschafteten Einkommen abzugeben, als man behalten darf, widerspricht meinem Verständnis von Leistungsgerechtigkeit. Summiert man die Steuererhöhungspläne von SPD und Grünen, ­ergeben sich für Familienunternehmen Steuersätze von bis zu 87 Prozent. Das ist ökonomisch falsch und ungerecht.

Wie sehen Sie die Abgeltungsteuer für Kapitalmarkterträge? Sie ist bei Anlegern extrem unbeliebt.
Ich habe seinerzeit bedauert, dass die Spekulationsfrist abgeschafft worden ist, weil die langfristige Aktienanlage dadurch weniger attraktiv geworden ist. Dennoch ist die Abgeltungsteuer ein großer Fortschritt gegenüber dem früheren Prinzip der Versteuerung nach individuellem Steuersatz und ein Beitrag zur Entbürokratisierung.

Aber die FDP setzt doch auf Eigenverantwortung — auch bei der Altersvorsorge. Sollte die Abgeltungsteuer nicht abgeschafft werden, um die Altersvorsorge zum Beispiel mit Aktien und Aktienfonds attraktiver zu machen?
Meine Priorität ist die Reduzierung der kalten Progression und das Abschmelzen des Soli-Zuschlags.

Welche weiteren Themen will die FDP bis zur Bundestagswahl in den Mittelpunkt stellen?
Die Entschuldung des Staatshaushalts für Geldwertstabilität und Generationengerechtigkeit. Zudem ei­ne gute Fachkräfteversorgung durch Investitionen in ein leistungsorientiertes Bildungssystem sowie durch eine moderne Zuwanderungspolitik. Und endlich mehr Marktwirtschaft in der Energiepolitik, damit wir auch die Kosten von alternativen Energien unter Kontrolle bekommen.

Was denken Sie über den Wahlkampf ihres Koalitionspartners, der Union?
Aus den von der Union ausgelobten milliardenschweren Wahlversprechen spricht kein klarer Kurs. In Europa fordern wir Stabilität, in Deutschland kommen Spendierhosen in Mode. Das nimmt auch Spielräume für Entlastungsschritte. Ich wünsche mir zudem, dass die Unionsparteien offensiver für die soziale Marktwirtschaft in der Tradition von Ludwig Erhard eintreten. Leider scheint es der CDU leichter zu fallen, über Mindestlöhne und Frauenquote zu sprechen als etwa über Markt und Wettbewerb in der Energiepolitik.

Geht die CDU in Richtung SPD?
Einen klaren Kurs in der Sache vermag ich nicht zu erkennen. Die Unionsparteien verlassen sich auf die Bundeskanzlerin. Ich bedauere beispielsweise, dass die Konservativen nicht — wie wir — vor der Politisierung der Lohnfindung warnen und die Grenzen der Umverteilung darstellen. Gewisse klassenkämpferische Parolen prägen daher viel zu oft das Meinungsklima, weil nicht entschieden genug widersprochen wird.

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist in der Bevölkerung mit Abstand die beliebteste Akteurin der deutschen Politik. Woran liegt das?
Bundeskanzlerin Merkel ist ohne Zweifel eine starke Persönlichkeit — und das über Deutschland hinaus. Ein Grund ist, dass sie beruhigend auf Konflikte wirken kann. Der Preis ist allerdings, dass dafür gerade marktwirtschaftliche Positionen der CDU schnell geopfert werden.

Können Sie sich eine Koalition mit der SPD vorstellen? Mancher Beobachter meint, die FDP hielte sich diese Option offen.
Ich sehe keine gemeinsame Basis zwischen FDP und SPD. Die SPD ist vor der Agendapolitik auf der Flucht. Der konservative Flügel der SPD, der Seeheimer Kreis, ist leider nur noch eine Sekte. Und Peer Steinbrück nutzt seine selbst geforderte „Beinfreiheit“ nur für das zielsichere Treten in Fettnäpfchen. Unser Partner bleibt die CDU/CSU.

Erfahrener
Youngster

Christian Lindner wurde am 7. Januar 1979 in Wuppertal geboren. In Bonn studierte er bis 2006 Politik, Öffentliches Recht und Philosophie. Von 1997 bis 2004 war Lindner Inhaber einer Werbeagentur. Der FDP gehört er bereits seit 1995 an. Von 2000 bis 2009 war er Abgeordneter im Landtag von Nordrhein-Westfalen (NRW), seit 2005 als Vize-Fraktionschef. Mit der Bundestagswahl 2009 wechselte Lindner in den Berliner Bundestag. Im Dezember 2009 wurde er Generalsekretär der FDP, gab dieses Amt aber Ende 2011 ab. Sein Bundestagsmandat gab er im Zuge der Landtagswahl in NRW im Juli 2012 auf, um Chef der FDP im Düsseldorfer Landtag und des FDP-Landesverbands NRW zu werden. Am 9. März 2013 wurde Lindner zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden der FDP gewählt. In seiner Freizeit liest der 34-Jährige gern historische Romane, hört elektronische Musik und geht segeln.