BlackRock-Chefstratege Koesterich: "Gold ist verwundbar"
Das Gehirn hinter den Investments des weltgrößten Vermögensverwalters, Russ Koesterich, erklärt, warum Gold schon bald weiter fallen dürfte.
von Alexander Sturm, Euro am Sonntag
Weitsicht kann Russ Koesterich wahrlich gebrauchen: Der 47- Jährige steuert als Chefanlagestratege des weltgrößten Vermögensverwalters, BlackRock, knapp 4,6 Billionen US-Dollar, eine Summe, die Deutschlands gesamte Wirtschaftsleistung bei Weitem übersteigt. Die New Yorker Investmentgesellschaft ist hierzulande vielen allenfalls über ihre Indexfonds-Tochter iShares bekannt, dabei zählt sie zu den mächtigsten Konzernen der globalen Finanzwirtschaft - und wird mitunter für ihre weitreichenden Verstrickungen kritisiert. BlackRock berät die US-Regierung, steht der EZB beim jüngst beschlossenen Kaufprogramm von Kreditverbriefungen zur Seite, bietet Firmen ein Risikomanagement in Billionenhöhe und hält Anteile an allen DAX-Konzernen - nicht selten als größter Einzelaktionär. Russ Koesterich muss entscheiden, in welche Anlageklassen und Länder der Welt dieser Finanzriese seine enormen Kundengelder lenkt.
Im Interview mit €uro am Sonntag wird Koesterichs Rundumsicht auf die globalen Finanzmärkte deutlich. Ob Schwellenländeraktien oder Chinas Börse, Frontier Markets, Bundesanleihen oder Hochzinspapiere, ob Geldpolitik oder Konjunktur: Der Amerikaner ist um keine Antwort verlegen, redet schnell, packt viele Zusammenhänge in wenige Sätze - und ist überrascht, was viele Investoren lange Zeit überhaupt nicht auf dem Radar hatten.
€uro am Sonntag: Herr Koesterich, der DAX hat seine Verluste im turbulenten August fast wieder aufgeholt, der S & P 500 knackt sogar neue Rekorde. Vertrauen Investoren wieder Aktien?
Russ Koesterich: Es sieht danach aus. Die niedrigen Zinsen, die geringe Inflation und die Wirtschaftserholung in den USA sprechen für Aktien. Wir haben eine klare Präferenz für Aktien und glauben, dass sie in den kommenden zwei bis drei Jahren besser abschneiden werden als andere Anlageklassen.
Die gestiegenen Bewertungen schrecken Sie nicht ab?
Nein, die Bewertung allein muss nicht zwangsläufig das Ende eines Bullenmarkts einläuten. Das Umfeld für Aktien ist günstig, da sind höhere Bewertungen sogar normal. Nur sollten gerade Käufer von US-Aktien niedrigere Renditeerwartungen haben, denn sie kaufen zu deutlich höheren Kursen als vor zwei Jahren.
Müssen wir alle bei der Geldanlage generell bescheidener werden?
Ja, ich glaube schon. Die allermeisten Anlageklassen sind wegen der lockeren Geldpolitik der Zentralbanken und der jahrelangen Hausse an den Börsen recht hoch bewertet. Zudem leben wir in einer Welt mit einem niedrigen globalen Wachstum und einer immer älter werdenden Bevölkerung in den Industriestaaten.
Welche Anlageklassen sind zu hoch bewertet? Von welchen gehen Gefahren aus?
Viele Renten sind teuer geworden und werfen kaum Rendite ab. Zudem glauben wir anders als viele, dass nicht in erster Linie Aktien, sondern Rohstoffe wie Gold sowie US-Anleihen mit kurzer bis mittlerer Laufzeit verwundbar sind.
Gerade die sicheren Anlagen? Was macht Sie so skeptisch?
Wir glauben, dass sowohl die US-Notenbank (Fed) als auch die Bank of England im ersten Halbjahr 2015 ihre Geldpolitik zu normalisieren beginnen. Gold hat in den vergangenen Jahren immens von der Erosion der Zinsen profitiert. Wenn die Realzinsen steigen, bekommt es Gegenwind, weil Anleger zunehmend auf Erträge bei Edelmetallen verzichten, sie bringen ja keine Rendite. Und wenn die Fed im Herbst wie erwartet ihre Anleihekäufe drosselt, dürfte der Dollar gegenüber anderen Währungen weiter steigen - auch gegenüber Gold. Und für Anleihen sind steigende Zinsen schlecht, weil Anleger aus alten Anleihen in neue, höher verzinste umschichten. Das setzt die Kurse unter Druck.
Müssten die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten Gold nicht in die Höhe treiben?
Auf den ersten Blick ist es überraschend. Doch wegen des Überflusses an billigem Geld sind die Schwankungen an den Märkten extrem gering. Die Panik, wie wir sie in der Finanzkrise erlebt haben, fehlt. Das reduziert die Nachfrage nach Gold.
Läuft Gold Gefahr, seinen Status als sicheren Hafen zu verlieren?
Nein, das glaube ich nicht. In einem starken Aktienmarkt ist es kein Wunder, wenn Gold verliert. Die Investoren sind derzeit einfach nicht an sicheren Häfen interessiert. Das kann sich aber schnell ändern. Gold bleibt ebenso wie der Schweizer Franken oder deutsche Bundesanleihen eine Krisenwährung. Nur derzeit spricht wenig für steigende Goldpreise.
Wo können Anleger heute überhaupt gute Renditen verdienen?
Neben Aktien lassen sich mit manchen Renten relativ hohe Renditen verdienen, etwa mit amerikanischen Hochzinsanleihen oder Anleihen aus Schwellenländern in lokaler Währung. Ich sage bewusst "relativ". Auch dort gibt es keine leichten Gewinne, aber diese Renten werfen zumindest etwas höhere Erträge ab.
Ist das nicht zu riskant? Die letzte Krise der Schwellenländer war erst zu Jahresbeginn.
Ja, und seitdem haben Aktien aus den Emerging Markets besser abgeschnitten als Aktien aus den Industriestaaten. Schwellenländeraktien sind absolut gesehen nicht mehr billig, verglichen mit denen aus den Industriestaaten aber attraktiv.
Um ein aufstrebendes Land macht man sich oft besonders Sorgen: Chinas Wirtschaft, so die Befürchtung, könnte eine harte Landung erleben. Was glauben Sie?
Die Regierung hat bekannt gegeben, dass sich das Wachstum in den nächsten Quartalen um die sieben Prozent bewegen wird. Das ist zwar weniger als das offizielle Wachstumsziel von 7,5 Prozent in diesem Jahr, es bedeutet aber, dass nichts Dramatisches auf die Börsen zukommt. Eine harte Landung ist passé.
Wie sehen Sie chinesische Aktien angesichts der Rally in Shanghai?
Einige Länder Asiens, darunter Indien, Südkorea und eben China, sind interessant. Dort sind Aktien günstig bewertet, weil die Sorgen der Investoren, sei es um das Wachstum, sei es um den Schattenbankensektor, eingepreist sind.
Was halten sie von Japan? Der Topix-Index notiert auf Rekordhöhe.
Japan ist ein Sonderfall. Die Börse dort war immer sehr abhängig von Kapitalflüssen. Derzeit sind die Aussichten gar nicht schlecht: Die Börse ist gemessen an US-Aktien günstig bewertet, Reformen stehen an, staatliche Pensionsfonds haben den vermehrten Ankauf von Akten angekündigt, und die Bank of Japan dürfte erneut ihre Geldpolitik lockern.
Auch Europa ist krisengeplagt. Zu Jahresbeginn floss viel Geld in europäische Aktien, die Aussichten für einen Aufschwung schienen gut. Nun stagniert das Wachstum. Hat sich das Blatt gewendet?
Tatsächlich hat sich die Stimmung in Bezug auf europäische Aktien gedreht. Die Zuflüsse haben sich teils umgekehrt: Viel Geld floss zuletzt in US-Aktien, aber auch in die Schwellenländer. Viele Investoren haben sich aus Europa zurückgezogen, um abzuwarten, wie die EZB handelt. Stützt sie weiter die Märkte, können die Kurse auch dann steigen, wenn das Wachstum schwächelt.
Im Gegensatz zur EZB wird die Bank of England bald die Zinsen erhöhen. Könnte diese Maßnahme britischen Aktien schaden?
Das hängt vom wirtschaftlichen Umfeld ab. Steigende Zinsen sind tendenziell schlecht für Aktien, zieht aber zugleich die Konjunktur an - und danach sieht es aus -, sehe ich eher Rückenwind. Führten höhere Zinsen hingegen zu einem deutlich stärkeren Pfund, wäre das schlecht für die Börse, da es die Exporte britischer Firmen belasten würde.
Schon in wenigen Tagen könnten die Schotten die Abspaltung von Großbritannien beschließen. Welche Auswirkungen hätte solch
eine historische Entscheidung?
Die Folgen wären gewaltig, sowohl für die Börse als auch für das Pfund. Die Kurse würden zumindest zeitweise absacken, weil die Investoren anfingen nachzudenken, was eine Abspaltung für die britische Wirtschaft, den Staat und die Währung insgesamt bedeutet. Es ist faszinierend: Lange hat sich kaum jemand darüber Gedanken gemacht.
Krisengewinner
Als Blackrock 2009 in den Wirren der Finanzkrise die Vermögensverwaltung der britischen Bank Barclays kaufte, wurden die Amerikaner nicht nur über Nacht zum weltgrößten Vermögensverwalter, sondern kamen auch nebenbei zu ihrem heutigen Chefstrategen. Koesterich profitierte ebenfalls von dem Deal: Über eine Station bei Blackrocks ETF-Tochter iShares gelangte er auf seinen Spitzenposten. Beim Beurteilen der Märkte helfen ihm Abschlüsse in Jura und Geschichte sowie ein Master von der New Yorker Columbia Universität.
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