Euro Interview - Exklusiv

Müllkünstler HA Schult: Ich möchte Unsterblichkeit. Und die ist nicht käuflich

13.05.12 03:00 Uhr

Seit 50 Jahren hält der Umweltaktivist und Aktionskünstler HA Schult Menschen ihren Müll vor Augen. Ein Gespräch über Geld, sein Geschäftsmodell und faltbare Autos.

Das Interview führte €uro-Redakteur Mario Müller-Dofel.

€uro: Herr Schult, oder HA ... Wie spricht man Sie eigentlich an?
HA Schult: HA, einfach HA. Das reicht.

Und was bedeutet HA?
HA Schult: HA natürlich. Was sonst? So wie Otto halt Otto bedeutet. Aber HA ist Strategie: Als Künstler stellt man ja auch in Shows mit vielen anderen aus. Da haben Sie Glück, wenn Sie Antes, Beuys oder Christo heißen, weil dann der Katalog mit Ihnen anfängt. Oder Sie heißen Vostell oder Warhol, dann hört die Show mit Ihnen auf. Aber als Hans Jürgen Schult bin ich immer irgendwo mittendrin unter den Kunstsoldaten dieser Welt. Also habe ich ein HA vor Schult gestellt, rage dadurch aus der Mitte heraus und bleibe in den Köpfen des Publikums. Sie setzen sich ja auch mit dem HA auseinander (lacht).

HA, Ihre Themen sind Müll und Umwelt. Nach schönen Künsten riecht das nicht.
HA Schult: Was heißt „nicht schön“? Die Museen dieser Welt quellen über vor Müll! Nehmen Sie nur die römischen Scherben, die dort herumliegen. Das sind die zerbrochenen Cola-Dosen einer anderen Zeit. In den Museen steht der Müll verschiedener Epochen. Und ich mache meine Kunst mit dem Wohlstandsmüll der aktuellen Epoche.

„Wie kamen Sie auf Müll als Thema?
HA Schult: Ich habe Anfang der 60er-Jahre an der Kunstakademie Düsseldorf mit heutigen Malergrößen wie Gotthard Graubner, Sigmar Polke und Gerhard Richter Malerei studiert. Doch mir wurde schnell klar, dass ich nicht nur ein weiterer Pinselschwinger werden wollte, der an den Wänden der Vorstandsetagen zerschellt. Ich wollte etwas bewegen, das weit über den Bilderrahmen hinausgeht. Und dann sah ich damals bereits die Müllberge der Wohlstandsgesellschaft am Horizont auftauchen.

Konnte man damals schon Geld mit Müllkunst verdienen?
HA Schult:
Das ganz große Geld habe ich nie verdient. Zum Glück! Dadurch bin ich unabhängig geblieben.

Sie sind glücklich, weil sie weniger als andere verdienen?
HA Schult:
Es geht mir nicht ums Geld. Wäre ich Schrauben- oder Wurstfabrikant geworden, wären meine Produkte bei Obi oder Aldi im Regal gelandet. Wie könnte ich dort mein Leben ausdrücken? Als Künstler ist das anders, da bewege ich die Zeitgeschichte.

Konzernchefs und Politiker auch.
HA Schult:
Ach was! Wirtschaftsbosse kommen und gehen. Politiker auch. Letztere bleiben nur in den Köpfen, wenn sie verheerende Kriege anzetteln, Frieden bringen oder große Museen bauen. Künstler dagegen bleiben, weil Kunst unsterblich ist. Die Bilder von meiner Kunst überleben uns alle, weil sie um die Welt gehen, in den Köpfen der Menschen bleiben und sogar die Politik beeinflussen.

Andere Umweltaktivisten haben eine grüne Partei gegründet. Warum sind Sie kein Grüner geworden?
HA Schult:
Ich war einer der Ersten, der das ökologische Ungleichgewicht unseres Planeten, den wir nur geliehen bekommen haben, zum Thema der Kunst gemacht hat — Jahre vor dem Club of Rome. Damals habe ich Politikern wie Willy Brandt, Horst Ehmke oder Raimund Jochimsen gesagt, dass eines Tages die Umwelt die Politik bestimmen wird — kümmert euch darum! Aber nein, in Bonn haben sie den Müll unter den Teppich der Verdrängung gekehrt. Und dann, in den 70ern, hat eine kleine Partei angefangen, -ihnen die grüne Butter vom Brot zu nehmen.

Haben die Grünen Sie umworben?
HA Schult:
Nein, nie. Meine Freunde in der SPD, CDU und FDP sagten immer: Komm bloß nicht zu uns, du kannst uns nur schaden. Geh zu den Grünen. Leute wie ich, die gern die Wahrheit sagen, sind bei vielen Politikern unbeliebt. Erst recht bei den Grünen.

Sie mögen die Grünen nicht, oder?
HA Schult:
Kommt drauf an. Mit Jürgen Trittin habe ich ein freundschaftliches Verhältnis. Und Claudia Roth mag ich auch, weil sie eine bodenständige Frau geblieben ist.

Und Joschka Fischer?
HA Schult:
Ich habe, wenn ich in Frankfurt war, um Hilmar Hoffmann oder Rainer Werner Fassbinder zu besuchen, manchmal in einer Kommune geschlafen. Da schlief auch schon mal ein Metzgersohn, der Taxi fuhr. Und wenn der da war und der Kühlschrank war morgens leer, hieß es: „War Joschka hier, wo ist das Nutella?“ Wenn ich sehe, wie dieser „Grüne“ heute im Grunewald lebt und Franz Josef Strauß in dessen bester Phase immer ähnlicher wird, dann ist das sehr weit weg von dem, was ich unter grün verstehe.

Sie sagten vorhin, dass Sie nie „das große Geld“ verdient haben. Neiden Sie es anderen Künstlern?
HA Schult:
Ich verstehe die Frage nicht.

Sind Sie neidisch auf Künstler, die für ein einziges Bild Millionen von Euro bekommen?
HA Schult:
Da drüben steht ein Bild von mir (zeigt auf eine Wand in seinem Loft) — allein das ist 1,2 Millionen Euro wert. Aber ich verkaufe es nicht. Mir gehört kein Haus, kein Maserati und ich habe auch kein anderes Auto im Besitz. Aber wenn, wie in diesem Jahr, 1000 meiner Trash People in Tibet stehen, kostet so ein Projekt rund eine Million Euro, die ich innerhalb von einigen Wochen auftreiben kann.

Was bedeutet Geld für Sie?
HA Schult:
Es ist die Währung der Alltäglichkeit, was in Ordnung ist. Ich aber möchte Unsterblichkeit. Und die ist nicht käuflich.

Seit 1999 ziehen Sie mit Ihren Trash People um die Welt. Wohin dieses Jahr?
HA Schult:
Wir planen ein Projekt im englischen Cornwall, eins in Jerusalem und eins in Qingdao. Das ist eine „kleine“ chinesische Stadt mit 8,5 Millionen Einwohnern. Und es steht auch Monschau in der Eifel dieses Jahr auf dem Plan.

Ein Provinznest?
HA Schult:
Sagen Sie nichts gegen Monschau! Das ist ein schöner Ort mit einer tüchtigen Bürgermeisterin. Ich habe die Müllmänner 2011 auch in dem 16 000-Einwohner-Städtchen Telgte bei Münster ausgestellt. Da kamen 60 000 Besucher binnen zehn Tagen. Natürlich sind es in Metropolen mehr: In Brüssel zum Beispiel haben meine Müllmänner von Donnerstag bis Montag eine Million Besucher angezogen. Die haben alle ein Bier getrunken, ein Würstchen gegessen oder ein T-Shirt gekauft. 20 Millionen Euro habe ich in die Stadt gebracht. Ich bringe Geld! Die Kunst ist meine Währung. Und: Provinz findet im Kopf statt!

In einem anderen Interview sagten Sie, Ihre Müllskulpturen seien die berühmtesten Deutschen, bekannter als die drei letzten Bundeskanzler. Übertreiben Sie da nicht?
HA Schult:
Im Gegenteil. In China wachsen die Kinder mit meinen Trash People in den Schulbüchern auf. Dort habe ich mit dem Auftritt der 1000 Skulpturen auf der Großen Mauer Ähnliches erreicht wie Christo in Deutschland mit der Verhüllung des Reichstags. Aber ich war auch in Moskau, in Kairo, in Rom, unter dem Matterhorn in 2800 Metern Höhe und im Salzstock von Gorleben in 880 Metern Tiefe. Soeben in der Arktis, jetzt auf dem Weg nach Lhasa.

Sie sagten auch, lediglich Franz Beckenbauer könne ihren Müllmännern in Sachen Weltruhm das Wasser reichen.
HA Schult:
So ist es. 1974, er war gerade Weltmeister geworden, stellte ich im Münchner Lenbachhaus aus. Zuvor war Gerhard Richter dort und hatte 3000 Besucher. Ich überlegte, wie ich das toppen könnte, und kam auf die Idee, den Müll des weltweit berühmtesten Deutschen auszustellen. Das war damals schon Franz Beckenbauer, vor Friedensnobelpreisträger Willy Brandt. Also klaute ich den Inhalt seiner Mülltonne vor seinem Haus in Grünwald und stellte ihn, auf schwarzem Samt gebettet, aus. Es kamen 12 000 Besucher — 9000 davon wollten wohl nur den Abfall des Kaisers sehen! (lacht)

Und dann kam der Müll in den Müll?
HA Schult:
Nein, ich habe ihn für 20 000 D-Mark an einen Kunstsammler verkauft.

Was hat Kaiser Franz dazu gesagt?
HA Schult:
Nachdem das Ganze vor 18 Millionen TV-Zuschauern bei Harry Valérien, mit Franz und mir, ausgebreitet wurde, rief am Montag darauf sein Manager Schwan bei mir an und fragte, wie es mit einer Beteiligung sei. Ich richtete ihm aus: weggeworfen ist weggeworfen. Daraufhin rief der Maier Sepp, wenn der Franz ins Taschentuch schniefte: „Wirf das nicht weg, es könnte Kunst sein!“

Im Jahr 2007 haben Sie den ersten internationalen Umweltpreis für die Mobilitätsindustrie initiiert, den ÖkoGlobe. Im Oktober 2012 wird er zum sechsten Mal vergeben. Was bringt dieser Preis?
HA Schult:
Mit dem Wettbewerb forciere ich das Umweltbewusstsein in der Automobilwirtschaft. Wenn diese Skulptur, die ich selbst gestaltet habe, im Besprechungszimmer eines Konzernvorstands steht, löst sie bei den Betrachtern Gedanken aus. Das funktioniert wie bei meinen Trash People. Die stehen in Anwaltskanzleien, Zahnarztpraxen oder Chefbüros — in Peking, Moskau, L. A. und sonst wo. Ich habe schon häufig gehört, dass meine Skulpturen das erste Gesprächsthema sind, wenn jemand irgendwo eine sieht.

Wie viele Müllmänner haben Sie bislang verkauft?
HA Schult: Mehr als 500.

Was kostet einer?
HA Schult: Inzwischen 8000 Euro.

Ganz schön viel.
HA Schult: Man kauft ja nicht den Müll, sondern die Aura.

Zurück zu den Autos: Wie wird ein Auto in 20 Jahren aussehen?
HA Schult:
Ganz anders als heute. Man wird sie zusammengefaltet herumtragen, in ein Zuggepäckfach schieben und per Strom aufladen können. Und wenn man am Bahnhof angekommen ist, steigt man hinein und fährt auf die Straße. In der Oper geben Sie das Auto einfach an der Garderobe ab.

Momentan geht der Trend allerdings zu Autos, die in kein Gepäckfach passen: zu Geländelimousinen, sogenannten SUVs.
HA Schult:
: Mutanten sind das, total verrückt, ein letztes Sichaufbäumen einer vergehenden Autoepoche. Früher war der Jaguar E-Type eine Art Penisverlängerung, heute sind das SUVs. Gegen so etwas trete ich als Künstler an — und habe Gleichgesinnte gefunden. Wir müssen Geduld haben, es gibt bereits Pläne für ganz andere Autos.

Wer sind Ihre Gleichgesinnten?
HA Schult:
Zum Beispiel Ferdinand Dudenhöffer, der bekannte Automobilprofessor an der Universität Duisburg-Essen, und seine Studenten. Einmal im Jahr trommle ich Hunderte Studenten in einer großen Halle zusammen. Und dann diskutieren wir die Zukunft des Autos.

Und die verstehen Ihre Visionen?
HA Schult:
Ich sage vor meinen Vorträgen: Wer das nicht versteht, kann wieder gehen. Doch die bleiben immer alle. Und können dann mal das Verrücken der Realität erleben. Das Schöne ist, dass diese jungen Leute meine Visionen mit in die Zukunft nehmen und daran arbeiten.

Was für ein Auto fahren Sie, HA?
HA Schult:
Ich nutze ein Auto von Ford.

Ford sponsort auch die Bundesligafußballer des 1. FC Köln.
HA Schult:
Aber nur bis zur Stadtgrenze. Dahinter steigen diese Schwachköpfe in ihre Porsches, Maseratis oder Ferraris um. Und wenn dann eine Boulevardzeitung ein Foto von einem geblitzten Fußballprofi zeigt, fliegt das Ganze auf. Ich dagegen werde immer in einem Ford geblitzt.

Es gibt sogenannte grüne Kapitalanlagen. Was halten Sie davon?
HA Schult:
Sehr viel. Ich lege all mein Geld darin an: also in meiner Kunst. Das ist die sicherste Kapitalanlage der Welt.

Börsennotierte Kapitalanlagen waren gemeint. Handeln Sie an der Börse?
HA Schult:
Nein. Aber ich freue mich, dass es Leute gibt, die damit reich werden. Denn wenn sie wieder ein paar Millionen gemacht haben, können wir Künstler Ihnen Ideen verkaufen, die helfen, die Welt zu verändern.

Vielen Dank für das Gespräch.


Vita
HA Schult wurde am 24. Juni 1939 als Hans-Jürgen Schult in Parchim (Mecklenburg) geboren. Von 1958 bis 1961 studierte er Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf. Danach thematisierte er als Künstler vor allem Müll und -Autos. So entstand 1991 sein goldenes „Flügelauto“ (ein Ford), das auf dem Dach des Kölnischen Stadtmuseums steht. Durch seine Aktionskunst wird er seit Jahrzehnten auch weltweit beachtet, zum Beispiel wegen der Trash People („Schrottarmee“), die der politisch denkende Schult in Metropolen und Kleinstädten weltweit ausstellt. Er lebt mit seiner vierten Ehefrau, der aus Moskau stammenden Violinistin Anna Zlotovskaya, in Köln.

Der ÖkoGlobe

ÖkoGlobe: Medienpartner der diesjährigen ÖkoGlobe-Verleihung am 17. Oktober ist der Finanzen Verlag
Der ÖkoGlobe ist der erste internationale Umweltpreis für die Mobilitätsbranche. Er wurde 2007 von HA Schult initiiert und wird durch die DEVK Versicherungen und den ACV Automobil-Club in Zusammenarbeit mit dem ÖkoGlobe-Institut der Universität Duisburg-Essen verliehen. Schirmherr ist Bundesumweltminister Norbert Röttgen. Medienpartner der diesjährigen ÖkoGlobe-Verleihung am 17. Oktober ist der Finanzen Verlag, in dem €uro, €uro am Sonntag und das Magazin ArtInvestor erscheinen.

Bildquellen: HA Schult