Starker Mann, schwache Institutionen

15.04.25 09:59 Uhr

Nicht ohne Überraschung hat der rechtspopulistische Daniel Noboa, 37-jähriger Sohn des Bananenmagnaten Álvaro Noboa, die Stichwahl um das ecuadorianische Präsidentenamt für sich entschieden. Mit über 5,8 Millionen gültigen Stimmen erreichte er 55,6 Prozent und setzte sich damit deutlich gegen seine linksnationalistische Herausforderin Luisa González von der correistischen Partei durch, die auf 44,4 Prozent kam.Während beide Kandidaten im ersten Wahlgang mit jeweils rund 44 Prozent der Stimmen nahezu gleichauf gelegen hatten, konnte Noboa, der erst seit weniger als eineinhalb Jahren im Amt ist, in der Stichwahl über eine Million Stimmen mehr auf sich vereinen als seine Konkurrentin. Das Ergebnis widerlegte nicht nur sämtliche zuvor veröffentlichte Umfragen, die ein knappes Rennen oder sogar einen Sieg von González prognostiziert hatten, sondern begräbt zugleich die Hoffnungen des Correismus nach mittlerweile drei verlorenen Stichwahlen auf eine Rückkehr ins Präsidentenamt.Die Gründe für Daniel Noboas überraschend deutlichen Wahlsieg sind vielfältig – einer erfolgreichen Regierungsführung in den eineinhalb Jahren seiner Amtszeit kann er jedoch kaum zu verdanken sein. Im Gegenteil: Die wirtschaftliche, soziale und sicherheitspolitische Krise in Ecuador hat sich unter seiner Regierung weiter verschärft. Das von Noboa im Wahlkampf 2023 propagierte Nuevo Ecuador ist heute ärmer, ungleicher und wirtschaftlich schwächer als zuvor. Besonders deutlich zeigt sich das am Arbeitsmarkt: Der Anteil formeller Beschäftigungsverhältnisse sank zwischen 2023 und 2024 von 35,9 auf 33 Prozent. Fast 60 Prozent der Ecuadorianerinnen und Ecuadorianer arbeiten mittlerweile im informellen Sektor – ohne Sozialversicherung und häufig unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns von 470 US-Dollar im Monat.Die Wirtschaftsleistung Ecuadors sank im Jahr 2024 um 2,5 Prozent, unter anderem infolge einer monatelangen Stromkrise, die tägliche Stromausfälle von bis zu 14 Stunden mit sich brachte. Auch bezüglich des für viele Ecuadorianerinnen und Ecuadorianer wichtigsten Themas, der grassierenden Gewalt, fällt die Bilanz der zugegebenermaßen kurzen Amtszeit Daniel Noboas ernüchternd aus.Mit einer Mordrate von 38,8 pro 100 000 Einwohner bleibt Ecuador das gewalttätigste Flächenland des Kontinents.Mit einer Mordrate von 38,8 pro 100 000 Einwohner und insgesamt 6 986 Tötungsdelikten bleibt Ecuador das gewalttätigste Flächenland des Kontinents. Zudem fungiert es weiterhin als zentraler Umschlagplatz für den Drogenexport, insbesondere von Kokain, in Richtung Europa. Zwar gelang es Noboa, den exponentiellen Anstieg der Mordraten mit der Ausrufung eines „internen bewaffneten Konflikts“ im Januar 2023 zunächst zu stoppen. Doch der damit legitimierte militärische Zugriff auf kriminelle Gruppen, die als Terrororganisationen eingestuft wurden, zeigte nur kurzfristige Wirkung. Der erhoffte Durchbruch blieb aus. Allein in den ersten 50 Tagen des Jahres 2025 wurden bereits 1 300 Morde verzeichnet. Gleichzeitig schreitet die Zersplitterung der Banden weiter voran, begleitet von einer zunehmenden Brutalisierung der Gewalt. Die Unsicherheit ist so allgegenwärtig wie nie zuvor im Alltag der ecuadorianischen Bevölkerung.Ohne erkennbare Strategie und klare Führung durch die Regierung geraten Polizei und Militär bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität zunehmend aneinander. Statt koordiniert vorzugehen, stehen sie sich vielfach antagonistisch gegenüber – und wirken zunehmend überfordert. Seit der Ausrufung des „internen bewaffneten Konflikts“ durch Präsident Noboa mehren sich zudem Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte, insbesondere durch das Militär. Allein in der Küstenregion, dem Epizentrum der Gewalt, gelten für das Jahr 2024 insgesamt 42 Personen nach Militäreinsätzen als vermisst. Darunter befinden sich auch vier afroecuadorianische Jugendliche im Alter von nur 11 bis 15 Jahren, deren Leichen Wochen nach ihrer auf Video dokumentierten Festnahme durch eine Militärpatrouille nur durch Druck der Zivilgesellschaft auf einer Mülldeponie gefunden wurden. Wie eine Mehrzahl der Verbrechen bleibt im politisch abhängigen, korrupten, überforderten und von der Kriminalität unterwanderten Justizsystem des Landes auch diese Tat ungesühnt.Trotz fehlender Strategie und ausbleibender nachhaltiger Erfolge präsentierte sich Daniel Noboa während seiner von Beginn an auf Wiederwahl ausgerichteten Amtszeit als tatkräftiger und furchtloser Kämpfer gegen die Drogenbanden. Damit traf er einen Nerv: die tief verankerte Sehnsucht vieler Ecuadorianerinnen und Ecuadorianer nach einer schnellen Lösung des Sicherheitsproblems durch einen „starken Mann“.Neben einer allgegenwärtigen, emotional aufgeladenen Kampagne in den sozialen Medien dürfte jedoch ein anderer Faktor entscheidend zum klaren Wahlsieg Noboas beigetragen haben. Im Wahlkampf vermied er es, sich anhand konkreter Regierungserfolge oder substanzieller Politikvorschläge, von denen viele nur schemenhaft deutlich wurden, mit seiner Herausforderin Luisa González zu messen. Stattdessen konzentrierte sich seine Strategie darauf, González und insbesondere den Correísmo insgesamt zu diskreditieren: als das „schlechtere Übel“, verkörpert durch den in Belgien lebenden Ex-Präsidenten Rafael Correa, dem Korruption, Kriminalität und autoritäres Gebaren angelastet werden.In einem überaus schmutzigen Wahlkampf, in dem auch der diffamierende Einsatz künstlicher Intelligenz nicht ausblieb, setzte Daniel Noboa seine bereits im ersten Wahlgang erfolgreiche Strategie fort. Er inszenierte sich als führende Figur des Anti-Correísmo – als letzte Bastion gegen eine Rückkehr des polarisierenden Ex-Präsidenten Rafael Correa an die Macht. Die Wirkmacht dieser Erzählung gründet auf einer zentralen Konfliktlinie, die das ecuadorianische politische System der vergangenen 15 Jahre prägt: dem fundamentalen Gegensatz zwischen dem Correísmo und einem oft emotional aufgeladenen, teils jedes Mittel legitimierenden Anti-Correísmo. Verstärkt wird diese Dynamik durch das fortgesetzte Festhalten des Correísmo an Rafael Correa Correa als zentrale und gesellschaftlich umstrittene Leitfigur.Diese wirkmächtige Erzählung legitimierte für viele Wählerinnen und Wähler auch schwerwiegende Verstöße des amtierenden Präsidenten und Kandidaten gegen konstitutionell verankerte Rechte und Pflichten. So weigerte sich Daniel Noboa, wie es die Verfassung vorschreibt, für die Dauer des Wahlkampfs von seinem Amt zurückzutreten. Stattdessen betrieb er Wahlkampf aus dem Präsidentenpalast – unter anderem mit sechs neuen temporären Direktzahlungen an die Bevölkerung.Für das progressive Lager in Ecuador wiegt die Niederlage schwer, basiert aber vor allem auf hausgemachten Gründen.Während des gesamten Wahlprozesses trat die eigentlich verfassungsrechtlich unabhängige Wahlbehörde zunehmend wie ein verlängerter Arm der Exekutive auf. Auch die Wahlgerichtsbarkeit, die derartige Verstöße ahnden müsste, blieb auffällig passiv. Dies unterminierte die bereits auf einem historischen Tiefststand verharrenden Vertrauenswerte in die demokratischen Institutionen und republikanische Gewaltenteilung weiter.Zwar verfügt die künftige Regierung Daniel Noboas in der Nationalversammlung derzeit über keine eigene Mehrheit, doch im hyperpräsidentiellen System Ecuadors dürfte es dem neuen Präsidenten dennoch leichtfallen, eine stabile Regierung zu bilden Gerade weil ihm in seiner bisherigen Amtszeit Wirtschaft, Justiz, Medien und Militär gefügig waren und keine effektiven Gegengewichte darstellten.Noboa steht nun vor einer Richtungsentscheidung: Wird er den autoritären Regierungsstil seiner ersten eineinhalb Jahre fortsetzen und damit letztlich dem von ihm bekämpften Schattenbild Rafael Correas näherkommen? Oder ist er bereit, den permanenten Wahlkampf hinter sich zu lassen und einen ernsthaften Versuch zu unternehmen, die tiefe politische und gesellschaftliche Polarisierung im Land zu überwinden? Das verlorene Vertrauen in die ecuadorianische Demokratie lässt sich nur zurückgewinnen, wenn zentrale Prinzipien wieder gestärkt werden: die Wahrung der Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Justiz, ein fairer Parteienwettbewerb und der Schutz demokratischer Grundrechte.Auch die Regierung Noboa 2.0 wird sich daran messen lassen müssen, ob es ihr gelingt, die Sicherheitslage im Land nachhaltig zu verbessern. Angesichts der anhaltenden sozialen und wirtschaftlichen Krise, die insbesondere viele Jugendliche in die Arme der organisierten Kriminalität treibt, ist eine rein militärische und bestrafenden Herangehensweise zum Scheitern verurteilt.Für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und europäischen Staaten bedeutet das: Unzureichende, vor allem auf politischem Wohlwollen basierende Kooperationsprojekte müssen dringend überarbeitet und in einen ganzheitlichen Sicherheitsansatz überführt werden. Zukünftige Zusammenarbeit sollte an konkrete, überprüfbare Maßnahmen der neuen ecuadorianischen Regierung gebunden sein – insbesondere im Hinblick auf Geldwäschebekämpfung, Kontrolle von Seefracht, sowie umfassende Reformen in Polizei, Justiz, Zoll und Strafvollzug.Für das progressive Lager in Ecuador wiegt die Niederlage schwer, basiert aber vor allem auf hausgemachten Gründen. Auch wenn der Wahlkampf unter ungleichen Bedingungen stattfand, ist der von Teilen der correistischen Partei, darunter Kandidatin Luisa González, erhobene Vorwurf einer Wahlfälschung unbegründet.Die Ursachen für die Niederlage des Correismus ähneln jenen der beiden vorangegangenen verlorenen Präsidentschaftswahlen: das Ausbleiben einer kritischen und öffentlichen Aufarbeitung der Regierungszeit Rafael Correas, die Nominierung einer blassen Kandidatin ohne klare eigene Profilierung, das Versäumnis einer außenpolitischen Neupositionierung entlang menschenrechtlicher Leitlinien sowie die fortwährende Unterschätzung der symbolischen wie emotionalen Wirkungskraft des Anti-Correísmo.Für das progressive Lager insgesamt offenbart sich ein strukturelles Problem: Trotz vereinzelter Annäherungsversuche kurz vor dem Wahltag mangelte es an einem nachhaltigen Dialog und an dem politischen Willen, über bequeme Maximalpositionen hinaus einen breiteren Konsens zu suchen. Gleichzeitig bietet die Niederlage auch eine Chance des Neuanfangs und die europäischen progressiven Kräfte täten gut daran diesen in einer sich neuordnenden Welt tatkräftig und mit Nachdruck zu unterstützen.    Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal