Neuer Hegemon in Nahost
Israels Reaktion auf die Terroranschläge der Hamas vom 7. Oktober 2023 hat das Machtgefüge im Nahen Osten in einem Ausmaß verändert, wie es seitdem arabisch-israelischen Krieg von 1967 nicht mehr der Fall war. Es ist an der Zeit anzuerkennen, dass Israel inzwischen als Hegemon der Region auftritt.Mit der Unterstützung der Vereinigten Staaten, ihrer arabischen Vertragspartner und wichtiger Golfstaaten, haben die Israelis den Ring des Widerstands von Hamas und Hisbollah durchbrochen, die Verletzlichkeit und Schwäche ihres Schutzpatrons in Teheran offengelegt und gleichzeitig Irans Luftabwehr und Raketenproduktion geschwächt. Israel hat seine Besetzung syrischen Territoriums ausgeweitet, Gebiete im Süden Libanons unter Kontrolle gebracht und in der Westbank Maßnahmen ergriffen, wie sie seit dem Ende der zweiten Intifada vor 20 Jahren nicht mehr gesehen wurden.Israel profitiert von der Schwäche der umliegenden Staaten – ähnlich wie zuvor der Iran, der bis vor Kurzem noch als regionale Vormacht auftrat. Im Libanon lähmen innerstaatliche Rivalitäten die Politik, während Syriens neue Regierung mit massiven wirtschaftlichen, politischen und sicherheitspolitischen Herausforderungen kämpft. Der Irak wiederum kann trotz seiner Ölvorkommen die Bedürfnisse seiner großen Bevölkerung kaum erfüllen und ringt mit den gegensätzlichen Ansprüchen seiner beiden Vormächte Washington und Teheran.Sollte die Trump-Regierung, sofern sie Frieden zwischen Israel und den Palästinensern tatsächlich weiterhin als Priorität betrachtet, etwas bewirken wollen, wird es ihr schwerfallen, Israel davon zu überzeugen, seine neue militärische Überlegenheit in nachhaltige politische Abkommen mit den arabischen Nachbarn sowie den Palästinensern zu überführen. Solche Abkommen lassen sich nicht schnell auf der Rückseite eines Bierdeckels festhalten. Präsident Trump und sein Team müssten Zeit und Einsatz investieren, arabische Partnerstaaten und die Palästinenser zu eigenen Zugeständnissen bewegen und vor allem Premierminister Benjamin Netanjahu zu Konzessionen drängen. Dessen jüngster Besuch in Washington lässt allerdings vermuten, dass Trump dafür noch nicht bereit ist.Der israelische Regierungschef und seine rechtsradikale Koalition zeigen wenig Neigung zu Verhandlungen, insbesondere, weil die Trump-Regierung Israels Vorgehen in Gaza, im Westjordanland, im Libanon und in Syrien bislang kaum eingeschränkt hat. Netanjahu steht derzeit wegen mehrerer Anklagepunkte vor Gericht. Ein Urteil kann er nur verhindern, solange er im Amt bleibt. Seine Macht wird er daher kaum riskieren.In Israel gibt es kaum innenpolitischen Druck, den Kurs zu ändern.In Israel gibt es kaum innenpolitischen Druck, den Kurs zu ändern. Die jüngsten Militäreinsätze in Gaza riefen selbst bei der politischen Linken kaum spürbaren Unmut hervor, obwohl eine Mehrheit der Israelis sich eine Fortsetzung des Waffenstillstands wünscht. Gleichzeitig schreiten die Vorbereitungen zur Annexion großer Teile des Westjordanlands rasch voran. Selten waren die Aussichten auf Verhandlungen über eine Zwei-Staaten-Lösung so gering.In Gaza erscheinen Gespräche über eine sinnvolle Strategie für den „Tag danach“ zur Förderung von Sicherheit, effektiver Regierungsführung und Wiederaufbau, wie sie von Ex-US-Außenminister Antony Blinken skizziert wurde, zunehmend unrealistisch. Zwar kann Israel die Hamas als Idee nicht „auslöschen“, aber es könnte sie irrelevant machen, indem es eine Alternative bietet. Netanjahu, der darauf bedacht ist, rechtsgerichtete Mitglieder seiner Regierung nicht zu verprellen, hat die einzige plausible Alternative jedoch vom Tisch genommen, indem er eine Rolle für die Palästinensische Autonomiebehörde ablehnt und große Teile des Gazastreifens erneut besetzte. Abgesehen von Trumps vager Vision, Gaza in eine „Riviera“ zu verwandeln, zeigt seine Regierung kaum Interesse am Schicksal des Küstenstreifens, sobald der Krieg vorbei ist.Im Libanon hingegen sind die Aussichten für einen sinnvollen US-Beitrag zum regionalen Frieden etwas günstiger. Israels massiver Schlag gegen die Hisbollah, der daraus resultierende Waffenstillstand, die Bildung einer technokratischen Regierung in Beirut sowie die Einigung über die Seegrenze zwischen Israel und Libanon haben die Grundlage für Grenzverhandlungen und den Aufbau einer schlagkräftigen libanesischen Armee im umkämpften Süden geschaffen. Zwei Projekte, die die Trump-Regierung vorantreiben könnte – mit konkretem und nachhaltigem Nutzen. Eine gestärkte libanesische Armee, die den Süden des Landes kontrollieren und eine Rückkehr der Hisbollah verhindern kann, würde den Waffenstillstand festigen. Das wiederum könnte zu einer Grenzvereinbarung und möglicherweise zu einer stillschweigenden libanesischen Anerkennung Israels führen.Syrien stellt ein deutlich schwierigeres Problem dar. Trump scheint sich nicht dafür zu interessieren. Die Situation im Land bezeichnete er als „Chaos“. Die Frage für Washington lautet: Ist ein geeintes Syrien unter einer funktionierender Regierung – im Sinne der Terrorismusbekämpfung und der Vernichtung chemischer Waffen – vorteilhafter für die US-Interessen als ein territorial zersplittertes Land, das von ausländischen Akteuren mit widersprüchlichen Zielen durchzogen ist? Die USA schätzen Stabilität, weil sie Interventionen unwahrscheinlicher macht und den Menschen im Land zugutekommt. Israel hingegen bevorzugt ein schwaches, geteiltes Syrien und hat bereits begonnen, dort Militärbasen zu errichten. Washington sollte Israel dazu bewegen, mit Damaskus zusammenzuarbeiten, um die Sicherheitsbedenken Israels auszuräumen, damit sich die israelischen Streitkräfte zurückziehen können.Vielleicht mehr als jedem anderen Präsident in den letzten 50 Jahren eröffnen sich Donald Trump derzeit außenpolitische Chancen im Nahen Osten.Entscheidend ist, dass die US-Regierung auslotet, ob der Iran zu einem Abkommen bereit ist, das den Erwerb von Atomwaffen auf absehbare Zeit verhindert. Ein solches Abkommen wird wahrscheinlich nicht so umfassend sein wie das von Trump 2015 aufgekündigte, denn der Iran hat seither Fortschritte bei der Urananreicherung erzielt. Doch es könnte die Zeit verlängern, die Teheran für die Herstellung einer Atombombe benötigt, etwa durch die Vernichtung angereicherten Urans und die Einführung strenger Kontrollen. Hindernisse sind Netanjahus ständiges Drängen auf militärische Optionen sowie Trumps eigene Impulsivität. Immerhin: Die am Samstag begonnenen Gespräche mit dem Iran geben Anlass zu vorsichtigem Optimismus.Diese diplomatischen Bemühungen könnten durch ein trilaterales Abkommen zwischen Israel, Saudi-Arabien und den USA gestützt werden – mit der Normalisierung saudisch-israelischer Beziehungen, einer begrenzten US-Sicherheitsgarantie für Riad und einem von den USA kontrollierten Urananreicherungsprogramm, das eine militärische Nutzung ausschließt. Im Gegenzug würden die Saudis den chinesischen Militäreinfluss am Golf blockieren und Israel, das ein Abkommen mit Saudi-Arabien anstrebt, zu mehr Flexibilität im Hinblick auf palästinensische Eigenstaatlichkeit und den Wiederaufbau Gazas drängen. Ein solches Ergebnis wäre ein bedeutender außenpolitischer Erfolg. Am Sonntag erklärte US-Energieminister Chris Wright, dass Saudi-Arabien und die Vereinigten Staaten Fortschritte bei einem Abkommen über die Entwicklung einer „zivilen Nuklearindustrie“ gemacht hätten, die nicht militärisch nutzbar sei.Vielleicht mehr als jedem anderen Präsident in den letzten 50 Jahren eröffnen sich Donald Trump derzeit außenpolitische Chancen im Nahen Osten, einer Region, in der amerikanische Friedensideen bisher meist gescheitert sind. Um diese zu nutzen, braucht es jedoch Eigenschaften, die Trump bislang vermissen lässt: Fokus, Ausdauer und den Willen, alle Beteiligten – insbesondere Netanjahu – unter Druck zu setzen.Israels neue Hegemonie hat eine temporäre Stabilität geschaffen. Doch sie wird nicht von Dauer sein, wenn es dem Land nicht gelingt, seine militärische Dominanz in tragfähige Abkommen mit seinen palästinensischen und arabischen Nachbarn zu überführen, die auf einem Interessensausgleich beruhen. Andernfalls drohen bald neue Konfrontationen, Gewalt und Terror.© The New York TimesWeiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal
Quelle: IPG Journal