Flexibel, billig, schutzlos

22.04.25 12:09 Uhr

Was haben der Klempner, der Ihr kaputtes Abflussrohr repariert, Ihr Babysitter, Ihre Reinigungskraft oder der junge Mann, der Ihnen Ihr Abendessen bringt, gemeinsam? Immer häufiger werden sie über eine Plattform engagiert. Bauarbeiter, Kosmetikerinnen, Designer, sogar Lehrkräfte, Ingenieure oder Architektinnen finden ihre Aufträge zunehmend über digitale Arbeitsplattformen. Für Sie als Kunde oder Arbeitgeber ist das bequem und kostengünstig – doch für die Arbeitnehmer sieht die Situation oft ganz anders aus.In den meisten Fällen sind diese Jobs isoliert, unsicher und riskant. Es gibt kein garantiertes Einkommen, unbezahlte Arbeit ist weit verbreitet, und den Beschäftigten fehlt der Zugang zu sozialer Sicherheit, Mutterschaftsurlaub, Arbeitsschutz sowie kollektiver Interessenvertretung. Darüber hinaus müssen sie oft mit Voreingenommenheit und Diskriminierung durch die Plattformen rechnen. Das sind die Arbeitsbedingungen der Mehrheit jener, die Dienstleistungen für Sie erbringen. Besonders problematisch ist die geschlechtsspezifische Dimension: Weibliche Plattformarbeit – etwa in der Hausarbeit, im Bereich der Pflege- und Schönheitsdienste sowie im Mikro-Tasking – bleibt meist unsichtbar, findet in privaten Räumen statt und ist daher zusätzlichen Risiken wie Diskriminierung, Gewalt und Belästigung sowie höheren Hürden beim Zugang zu sozialem Schutz und zur Formalisierung ausgesetzt.Ein Bericht der Weltbank aus dem Jahr 2023 schätzt, dass allein die Zahl der Online-Gig-Arbeitskräfte weltweit auf etwa 435 Millionen angestiegen ist.Die Zahl der Plattformarbeiter wächst weiter. Ein Bericht der Weltbank aus dem Jahr 2023 schätzt, dass allein die Zahl der Online-Gig-Arbeitskräfte weltweit auf etwa 435 Millionen angestiegen ist, wobei die Nachfrage zwischen 2016 und Anfang 2023 um 41 Prozent zugenommen hat. Das ist kaum überraschend: Sowohl ortsungebundene Crowd- als auch ortsgebundene Gig-Arbeit expandieren genau deshalb – sie bieten günstige und ungeschützte Arbeitskräfte.Unsichere oder prekäre Arbeit ist jedoch kein Naturgesetz. Sie wurde bewusst geschaffen – durch den Abbau oder die Umgehung arbeitsrechtlicher Vorschriften. Umgekehrt heißt das: Arbeit kann auch anders, fairer und sicherer gestaltet werden. Nachdem die Europäische Union mit ihrer Plattformarbeiter-Richtlinie eine Reihe von Problemen in Angriff genommen hat, folgt nun eine globale Initiative: Plattformarbeit soll weltweit zu menschenwürdiger Arbeit werden. Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) – eine UN-Organisation, die sich aus Regierungen, Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammensetzt – wird auf ihrer Internationalen Arbeitskonferenz im Juni 2025 über ein Instrument zum Schutz von Plattformarbeiterinnen und -arbeitern beraten. Eine Einigung in der IAO wäre von großer Bedeutung: Ihre Instrumente bieten den Mitgliedsstaaten einen Rahmen mit verbindlichen Grundsätzen für die Ausarbeitung nationaler Rechtsvorschriften. Sie dienen als Orientierung, schreiben aber nicht im Detail vor, wie nationale Gesetze ausgestaltet werden müssen. Es ist daher zu erwarten, dass viele Länder auf dieser Basis neue oder angepasste Rechtsvorschriften erlassen werden.Für die Gewerkschaftsbewegung ist dies eine historische Gelegenheit – und sie darf nicht ungenutzt bleiben. Es geht um einen zentralen Aspekt dessen, was oft als „Zukunft der Arbeit“ bezeichnet wird: Wird unsere Arbeit künftig überwiegend informell und prekär sein? Können internationale Arbeitsnormen in der digitalisierten Wirtschaft tatsächlich durchgesetzt werden?Die Antwort der Gewerkschaften ist eindeutig und beinhaltet konkrete Forderungen an ein zukünftiges IAO-Übereinkommen: Erstens sollte es alle Arten von Plattformarbeit – sowohl ortsgebundene als auch ortsunabhängige Tätigkeiten – abdecken. Es muss für alle Beschäftigten auf digitalen Plattformen gelten, unabhängig davon, ob sie in einem Arbeitsverhältnis stehen oder als selbstständig eingestuft werden. Zweitens muss die vielerorts praktizierte falsche Einstufung als Selbstständige beendet werden. Alle Plattformbeschäftigten müssen Zugang zu Arbeits- und Sozialschutz haben, einschließlich Maßnahmen für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. Dazu gehören auch Vorkehrungen, die geschlechtsspezifische Belastungen und Risiken berücksichtigen. Drittens muss die gesamte Arbeitszeit vergütet und das Einkommen vorhersehbar sein. Besonders in wettbewerbsintensiven Umfeldern investieren Arbeitnehmer häufig viel unbezahlte Zeit, um sich einen Ruf aufzubauen oder Aufgaben kostenlos beziehungsweise für ein geringes Honorar zu erledigen. Viertens wird zwar grundsätzlich anerkannt, dass alle Plattformbeschäftigten das Recht auf Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen haben, doch werden diese grundlegenden Rechte oft nicht eingehalten. Daher muss das IAO-Instrument dazu beitragen, dass aus dem Recht auch Realität wird.Schließlich sollte das IAO-Instrument mehrere derzeit ungeregelte Fragen ansprechen, darunter die Nutzung und Governance von algorithmischem Management, den Schutz der Daten und der Privatsphäre von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie die Übertragbarkeit digitaler Bewertungen und darauf basierender Reputation. Es gilt außerdem, einen verbindlichen Rahmen für Überwachung, Kontrolle und Beurteilungen durch Dritte sowie für Disziplinarmaßnahmen zu schaffen. Notwendig sind klare Leitlinien, um algorithmisch verstärkte Diskriminierung – etwa aufgrund des Geschlechts oder der ethnischen Zugehörigkeit – wirksam zu bekämpfen.Die zunehmende Ausbeutung von Plattformarbeitern und das wachsende Machtungleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit stellen eine ernsthafte Bedrohung für die soziale und wirtschaftliche Stabilität dar.Die zunehmende Ausbeutung von Plattformarbeitern und das wachsende Machtungleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit stellen eine ernsthafte Bedrohung für die soziale und wirtschaftliche Stabilität dar – insbesondere dann, wenn sie nicht politisch und regulatorisch angegangen werden. Ohne wirksame internationale Maßnahmen werden sich diese Ungerechtigkeiten verschärfen: Die Arbeits- und Lebensbedingungen werden sich weiter verschlechtern, die soziale Ungleichheit und die geschlechtsspezifische Ungerechtigkeit werden zunehmen, und grundlegende Arbeitsrechte drohen zunehmend ausgehöhlt zu werden.Daher tragen Regierungen und Sozialpartner eine historische Verantwortung, zusammenzuarbeiten, um robuste und durchsetzbare Schutzmaßnahmen zur Wahrung der Arbeitnehmerrechte zu schaffen. Es gibt ermutigende Anzeichen dafür, dass das Bewusstsein für die Dringlichkeit gewachsen ist: Eine Rekordzahl von 195 Gewerkschaften weltweit hat auf den vorbereitenden IAO-Fragebogen geantwortet und betont, dass nur ein Abkommen in Form einer Konvention menschenwürdige Arbeit garantieren kann. Auch die Beteiligung von Regierungen und Arbeitgebern ist so hoch wie nie zuvor.Doch zugleich setzen sich die Arbeitgeberverbände – unter dem Druck der Plattformgiganten – dafür ein, den Schutz auf ein Minimum zu beschränken. Sie argumentieren, dass die Plattformökonomie keine Einheitsgröße sei und ein einziger, rechtlich verbindlicher Rahmen der Komplexität des Sektors nicht gerecht werden könne. Doch gerade diese Argumentation verkennt, dass bestehende Regelungslücken gravierende Folgen haben: Plattformbeschäftigte sind häufig mit überlangen Arbeitszeiten, niedrigen und unsicheren Einkommen, geschlechtsspezifischer Gewalt sowie erheblichen Hindernissen für die gewerkschaftliche Organisierung konfrontiert. Diese Zustände sind keine Einzelfälle – sie spiegeln systematische Verletzungen grundlegender Arbeitnehmerrechte wider.All diejenigen, die an einer fairen digitalen Wirtschaft interessiert sind, haben jetzt die Chance, etwas zu verändern: Es ist entscheidend, alle verfügbaren Kanäle zu nutzen, um Regierungen dazu zu bewegen, eine IAO-Konvention aktiv zu unterstützen. Es steht viel auf dem Spiel – und in diesen bewegten Zeiten wäre es ein starkes Signal, wenn der Multilateralismus eine faire Lösung für die Beschäftigten in der Plattformökonomie hervorbringen würde.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal