Die alte Ordnung zerfällt

17.04.25 13:00 Uhr

Überall in Europa wird US-Präsident Donald Trump als Chaot betrachtet, der das Gegenteil eines goldenen Händchens besitzt: Alles, was er anfasst, wird schlechter. Doch trotz seiner anachronistischen Ansichten zu den meisten Themen verkörpert er unsere Zeit perfekt.In meinem 2021 veröffentlichten Buch The Age of Unpeace argumentierte ich, dass wir beginnen müssen, die Regeln der internationalen Beziehungen für ein Zeitalter der Hyperkonnektivität neu zu denken. Alle Institutionen und Vereinbarungen, die uns eigentlich zusammenbringen sollten, sind zu Waffen geworden. Die heutige Weltpolitik ähnelt einer gescheiterten Ehe. In dieser kann einer der entfremdeten Partner gemeinsame Dinge wie das Ferienhaus, den Hund oder die Kinder nutzen, um dem anderen zu schaden. In ähnlicher Weise werden Handel, das Internet, Energiequellen, Lieferketten, Migrationsströme, wichtige Rohstoffe und Spitzentechnologien eingesetzt, um geopolitischen Einfluss auszuüben und anderen wehzutun.In dieser neuen Welt verschwimmen die Grenzen zwischen Krieg und Frieden. Wir haben uns leider geirrt, als wir angenahmen, dass wir mit dem Ende des Kalten Krieges ein goldenes Zeitalter des Friedens erreicht hätten. In Wirklichkeit gab es überall Gewalt, aber in Gestalt von Sanktionen, Exportkontrollen, Energieblockaden, Wahleinmischung und der Nutzung von Migration als Waffe – alles Maßnahmen, die unterhalb der Schwelle eines formalen Krieges liegen.Seit Putins großangelegter russischer Invasion in der Ukraine richtet sich die weltweite Aufmerksamkeit weitgehend auf die traditionellen Elemente des Krieges und die Notwendigkeit, sich gegen russische Panzer, Flugzeuge und Raketen zu verteidigen. Experten und politische Entscheidungsträger griffen in ihrer Analyse auf die Lehren der Vergangenheit zurück, statt ihren Fokus auf die völlig neue Situation zu richten. Doch der Krieg in der Ukraine war immer einzigartig – eine seltsame Mischung aus 19. und 21. Jahrhundert, mit Soldaten und Schützengräben, aber auch mit Sanktionen, Drohnen, künstlicher Intelligenz und einem Kampf um Einfluss in den sozialen Medien.Seit Trumps Wiederwahl ist klar, dass wir eine neue Sicht auf die Welt brauchen.US-Präsident Joe Biden, der französische Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz reagierten auf die russische Aggression mit dem Versuch, die alte Ordnung wiederherzustellen. Doch insbesondere seit Trumps Wiederwahl ist klar, dass wir eine neue Sicht auf die Welt brauchen. Die Trump-Regierung hat alle alten Gewissheiten in einen Mixer geworfen und zu einem Brei verarbeitet. Es gibt keine klare Unterscheidung mehr zwischen Krieg und Frieden, Verbündeten und Feinden, nationalen und privaten Interessen oder links und rechts. Angesichts von Trumps Handelskrieg gegen den Rest der Welt, seines Versuchs, die Ukraine um Mineralien zu erpressen, sowie seiner Bedrohung der territorialen Integrität Grönlands und Panamas gelten die alten Regeln der internationalen Ordnung nicht mehr.Leider geht es hierbei nicht nur um „Unordnung“, denn dies würde ja voraussetzen, dass es eine grundlegende Einigung darüber gibt, wie „Ordnung“ aussehen sollte. Das aber ist nicht der Fall. Die Betrachtung der internationalen Ordnung ist von den Ereignissen völlig überholt worden. Jahrelang haben sich die Regierungen durch Krisen gewurschtelt, die ihre Wurzeln in der Hyperkonnektivität und Interdependenz haben – vom Börsencrash des Jahres 2008 über die syrische Flüchtlingskrise bis hin zur Pandemie. Dabei ging das Vertrauen der Bürger in die Politik verloren. Die Politik stützte sich vielfach auf Notmaßnahmen und Ausnahmezustände, doch inzwischen gibt es so viele Ausnahmen, dass das internationale Regelwerk eher einem Schweizer Käse gleicht. Aus einer regelbasierten Ordnung ist eine Ordnung geworden, die auf Ausnahmen beruht.Trump hat dies verstanden. Er hat die Frustration der Bevölkerung über die Eliten genutzt, die vorgaben, auf alles eine Antwort zu haben, aber ihre Versprechungen nicht erfüllen konnten. Wie bereits viele andere Nationen auf der Welt halten die Amerikaner die liberale internationale Ordnung zunehmend für einen Schwindel – für so etwas wie das Heilige Römische Reich, das weder heilig noch römisch noch ein Reich war. Die liberale internationale Ordnung kann nach den Gräueltaten in Abu Ghraib oder Guantánamo Bay nicht mehr als liberal bezeichnet werden. Sie ist auch kaum international, da viele Regionen der Welt weiterhin in Bürgerkriegen versinken. Und sie kann angesichts dieser Missstände auch nicht mehr als Ordnung bezeichnet werden.Während die Europäer aufrüsten, um der russischen Aggression zu begegnen, müssen sie zugleich herausfinden, wie sie im Zeitalter des „Nichtfriedens“ überleben können, welches Trump, Putin, Xi Jinping und andere „starke Männer“ derzeit einläuten. Eine der größten Herausforderungen wird darin bestehen, gegenseitige Abhängigkeit wieder mit einem Gefühl der Sicherheit zu verknüpfen. Die Ukraine zu unterstützen und zur Bewältigung von Handelskriegen unsere Wirtschaftsmodelle zu überdenken, ist zwar notwendig, aber nicht hinreichend. Wir müssen auch intensiv über die Migrations-, Sozial- und Gesundheitspolitik nachdenken und darüber, wie Politiker mit ihren Wählern kommunizieren. Mit anderen Worten: Die Europäer brauchen eine neue Art, Politik zu machen – eine, die den Menschen ein Gefühl der Kontrolle zurückgibt.© Project SyndicateAus dem Englischen von Jan DoolanWeiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal