Amerikanischer Brain-Drain
Man sollte eine gute Krise nie ungenutzt verstreichen lassen. Je verrückter Amerika erscheint, desto attraktiver wirkt Europa auf einen Großteil der Welt. Man kann davon ausgehen, dass der Einfluss der USA auf Kultur und soziale Einstellungen zukünftig abnehmen wird und ihre Soft Power ebenso wie ihre Finanzkraft schnell verblassen werden. Europa dürfte zum Zufluchtsort für all jene werden, die sich enttäuscht und abgestoßen von Trumps Amerika abwenden.Kaum etwas zieht weltweit so großes Interesse auf sich wie Europas Hochschulen: 1,66 Millionen internationale Studierende sind an Universitäten innerhalb der EU eingeschrieben. Den größten Anteil zieht dabei Deutschland an: 23,3 Prozent aller ausländischen Studierenden entscheiden sich für ein Studium dort. Es folgen Frankreich mit 16 Prozent und die Niederlande mit zehn Prozent. Doch nicht nur die großen Mitgliedstaaten profitieren von dieser internationalen Nachfrage: Einige kleinere Länder setzen überraschend stark auf internationale Studierende. In Luxemburg stammen rund drei Viertel der Studentinnen und Studenten aus dem Ausland, in Lettland sind es immerhin 27 Prozent. Und auf Malta kommen sogar drei von vier Promovierenden aus dem Ausland.Amerika zieht eine Million ausländische Studierender an. Dies ist zwar weniger als in der EU, aber eine reife Frucht, die nur darauf wartet, von europäischen Universitäten gepflückt zu werden. Unter Präsident Trump hat sich das akademische Klima in den Vereinigten Staaten merklich verschlechtert: Die wiederholten Angriffe auf US-Universitäten, Kürzungen bei Stipendien sowie Einschnitte in der Forschungsförderung treiben selbst einige der renommiertesten Wissenschaftler zur Abwanderung – auf der Suche nach Ländern, die ihre Ideen, Daten und Erkenntnisse willkommen heißen. Am härtesten jedoch trifft es ausländische Forschende und internationale Studierende. Sie wurden zur Zielscheibe restriktiver Maßnahmen, die weltweit Schockwellen ausgelöst haben. Donald Trump tut scheinbar alles, um zukünftige Studierende aus dem Ausland davon abzuhalten, in die USA zu kommen – und treibt sie so in Richtung Europa, Kanada oder Asien.So werden ausländische Studenten wegen geringfügiger Verstöße wie Falschparken oder Geschwindigkeitsüberschreitungen ausgewiesen. Berichten zufolge wurden abrupt 500 Studentenvisa widerrufen. Einige Studenten landeten in Abschiebezentren, andere wurden aufgefordert, sich „freiwillig abzuschieben“. In der Folge warnten amerikanische Universitäten ihre Millionen ausländischen Studierenden bereits eindringlich davor, das Land zu verlassen – aus Angst, sie könnten bei ihrer Rückkehr an der Grenze abgewiesen werden. Dies sendet ein deutliches Signal an alle, die derzeit erwägen, in den USA zu studieren: Willkommen ist man hier nicht mehr. Nach indischen Studenten stellen chinesische Studierende die zweitgrößte Gruppe an amerikanischen Hochschulen. Wie realistisch ist es, dass neue Kohorten weiterhin in die USA strömen? Könnte Europa als Studienort künftig nicht weitaus attraktiver erscheinen?Britische Universitäten sind in hohem Maße auf internationale Studierende angewiesen, die deutlich höhere Studiengebühren zahlen als einheimische. Mittlerweile tragen sie rund 23 Prozent zur Finanzierung der Hochschulen bei. Tatsächlich stellen internationale Studierende nach dem Finanzsektor den zweitgrößten Exportfaktor Großbritanniens dar. Ihr wirtschaftlicher Beitrag beläuft sich auf beeindruckende 40 Milliarden Pfund jährlich. Dieses Geld ist nicht nur eine abstrakte Zahl: Es bildet das Rückgrat vieler Universitätsstädte, insbesondere im strukturschwächeren Norden des Landes, wo es an vergleichbaren Einkommensquellen mangelt. Darüber hinaus muss das Vereinigte Königreich, wie ganz Europa, Arbeitskräfte anwerben, und dafür sind Universitätsstudenten bestens geeignet. Die alternde Bevölkerung und die sinkende Geburtenrate machen es notwendig, Fachkräfte aus aller Welt zu gewinnen.Es wird einen globalen Wettbewerb um Arbeitskräfte geben.Es wird einen globalen Wettbewerb um Arbeitskräfte geben. Doch wie in vielen anderen Ländern ist Einwanderung ein heikles Thema, das oft die Unterstützung für die extreme Rechte stärkt. Im britischen Kabinett herrschen derzeit Spannungen: Der Innenminister, der für die Senkung der steigenden Einwanderungszahlen verantwortlich ist, stößt auf den Widerstand von Kollegen, die dringend Bauarbeiter für ein ambitioniertes Infrastrukturprogramm sowie Pflegekräfte für die Betreuung einer wachsenden Zahl älterer, gebrechlicher Menschen benötigen. Dieser Konflikt ist nicht nur auf Großbritannien beschränkt, sondern spiegelt sich auch in vielen anderen europäischen Ländern wider.Die internationalen Einwanderungsstatistiken der Vereinten Nationen umfassen alle Personen, die sich ein Jahr lang in einem Land aufhalten. Das bedeutet, dass sie alle ausländischen Studierenden einschließen, was die Gesamtzahl deutlich erhöht. Aber Studierende sind keine Migranten: Die meisten kehren in ihr Heimatland zurück. Es ist an der Zeit, sie aus den UN-Zahlen herauszunehmen und nur dann hinzuzufügen, wenn sie über ihr ursprüngliches Studentenvisum hinaus bleiben. Da 40 Prozent der „Einwanderer“ im Vereinigten Königreich tatsächlich Studierende sind, treiben sie die Zahlen künstlich in die Höhe und ermöglichen es der extremen Rechten, unbegründete Ängste zu schüren.Die EU und das Vereinigte Königreich sollten ihre Bemühungen, Studierende anzuziehen, die sich vor Trumps Amtszeit für Amerika entschieden hätten, rasch intensivieren. Es ist an der Zeit, mehr in eine groß angelegte Werbekampagne zu investieren. Einiges davon geschieht bereits, wie etwa die EU-Werbekampagne Study in Europe, welche die EU als Ziel für die Hochschulbildung bewirbt und die Vielfalt der Studiengänge in Europa vorstellt. Die Initiative European Universities unterstützt ausländische Studierende häufig mit finanziellen Zuschüssen, während das Erasmus-Programm die internationale Zusammenarbeit und den Wissensaustausch stärkt. Nach dem Brexit hat das Vereinigte Königreich jedoch das Erasmus-Programm verlassen und stattdessen das eigene Turing-Programm ins Leben gerufen, das deutlich schlechter ausgestattet ist und keine Unterstützung für Studiengebühren bietet – ein Schritt im Rahmen des „Neustarts“ mit der EU. Es gibt jedoch die Hoffnung, dass Großbritannien irgendwann wieder dem Erasmus-Programm beitreten könnte.Dabei geht es nicht nur um die Finanzierung oder darum, Menschen anzuziehen, um unsere schrumpfenden Bevölkerungen wieder aufzufüllen. Universitäten sind kulturelle Zentren, die liberale, demokratische Ideen und soziale Einstellungen verbreiten. Als Soft Power sind sie bemerkenswert wirksam: Eine kürzlich durchgeführte Umfrage ergab erstaunlicherweise, dass mehr als ein Viertel der Länder der Welt (58) Staatsoberhäupter hatten, die an britischen Universitäten ausgebildet worden waren. Dies ist ein globaler Einfluss und eine Reichweite, die sich auf keine andere Weise erwerben lassen.Dies bietet eine einmalige Gelegenheit, die übermächtige amerikanische Kultur, die schon viel zu lange dominiert, zu schwächen. Es geht nicht nur um Universitäten, sondern auch um Kunst und Unterhaltung, die eine zusätzliche finanzielle Unterstützung durch europäische Regierungen verdienen, um eine echte Alternative zu den USA zu fördern – einem Land, das uns zunehmend fremd geworden ist. Wir finden keine Gemeinsamkeit mehr mit jenen, die Donald Trump gewählt haben. Europa ist der natürliche Zufluchtsort für all jene Amerikaner, die sich in ihrem eigenen Land nicht mehr zu Hause fühlen.Dies ist eine gemeinsame Veröffentlichung von Social Europe und dem IPG-Journal.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal
Quelle: IPG Journal