Schwarmintelligenz

Die Masse machts: Wie Mitmach-Fonds und -zertifikate funktionieren

13.12.12 15:00 Uhr

Die Zertifikate- und Fondsbranche greift einen neuen Trend auf. Verschiedene Produkte setzen auf die ­Weisheit der Masse - mit ganz unterschiedlichen Konzepten.

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von Emmeran Eder, Euro am Sonntag

Nicht gerade positiv belegt sind Begriffe wie Massentourismus oder Massenkonsum. Der Masse hängt der Beigeschmack des Faden, Mittelmäßigen an. Ihr wird nichts zugetraut — schon gar nicht Klugheit.

Ganz anders sieht das der US-Journalist James Surowiecki. In seinem Bestseller „Die Weisheit der vielen“ räumt er mit dem Vorurteil der kollektiven Dummheit auf und vertritt die Gegenthese der kollektiven Intelligenz. Die Menge entscheidet in der Regel klüger und effizienter als der schlaueste Einzelne in ihren Reihen.

Um seine Theorie zu untermauern, führt Surowiecki einige Beispie- le an. Eins der beeindruckendsten ist die Suche nach dem US-Atom-U-Boot „Scorpion“, das 1968 im Atlantik sank. Die Suche blieb erfolglos. Das Boot konnte auf einer Strecke von 5000 Kilometern überall sein.

Der Wissenschaftler John Craven hatte die Idee, das Bergungsteam — Geologen, Matrosen, Schifffahrts­experten, Mathematiker, und Wetterfachleute — tippen zu lassen, wo sich das Boot befinden könnte. Mit mathematischen Tools wurde dann ein Mittelwert berechnet. Und tatsächlich: Nur 200 Meter von dem als Durchschnitt der Befragten ermittelten Ort befand sich das Unterwasserfahrzeug auf dem Meeresgrund.

Ein anderes Beispiel ist die Sendung „Wer wird Millionär?“. Statistiker ermittelten, dass der Publikumsjoker viel öfter die richtige Antwort weiß als der Telefonjoker, eine Vertrauensperson, die der Kandidat anruft, weil er sie als Experte auf dem jeweiligen Fachgebiet betrachtet.

Surowieckis Theorie wird von vielen Forschern gestützt, ist aber umstritten. Kritiker führen an, dass sich die Meinung der Masse oft als Irrtum erwies — etwa am Neuen Markt.

Corvin Schmoller, Geschäftsführer des Investment-Analysehauses Intelligent Recommendations, widerspricht den Gegnern. „Kollektive Intelligenz funktioniert nur, wenn einige Voraussetzungen erfüllt sind“, sagt er. Dazu zählt, dass Tipps ohne gegenseitige Beeinflussung abge­geben werden. Zudem müssen alle Meinungen das gleiche Gewicht haben, und kein Teilnehmer darf das Gesamtergebnis sehen. So kann das Wissen vieler effektiv zusammengetragen werden. Seien diese Voraussetzungen nicht erfüllt, würden die Ergebnisse der Masse verfälscht.

Beim Neuen Markt oder anderen Spekulationsblasen sei das der Fall gewesen. Hier handle es sich aber nicht um kollektive, sondern um „Schwarmintelligenz“. Diese zeich­ne sich dadurch aus, dass Anleger in einer Beziehung zueinander stünden, sich also gegenseitig beeinflussten. Eine gemeinsame Stimmung löse manchmal einen Herdentrieb aus, der zu Euphorie oder Panik führe. Außerdem bewegten größere Orders eine Aktie stärker als kleinere. Durch solche Meinungsführer könne der Markt manipuliert werden. Über Indizes hätten Anleger zudem Zugriff auf das Gesamtergebnis, was auf ihre Entscheidung abfärbe.

Schmoller will mit einem neuen Fonds, der für 2013 geplant ist, beweisen, dass das Konzept der kollektiven Intelligenz auch bei der Geldanlage Erfolg versprechend ist.

Schon jetzt gibt es Fonds und Zertifikate, die auf den Trend aufsprangen und das Massenkonzept umsetzen. Mitte 2010 wurde der Fonds Multi Structure Fund-Investor Aktien Global aufgelegt, der von der Top Vermögen AG verwaltet wird.

Basis sind 210 globale Bluechips, die von den Vermögensverwaltern ausgesucht werden. Anleger, die bereit sind, mindestens 2000 Euro in den Fonds zu investieren, geben für ihre Favoriten Kauf- und Verkaufs­tipps auf www.mitmachfonds.de ab. Je höher das Verhältnis von Zustimmung und Ablehnung je Aktie, desto höher ist ihr Ranking.

Die Rangliste entscheidet
Die Titel, die in der Rangliste oben stehen, kommen ins Portfolio, aktuell sind es 35. Das wird täglich geprüft — ebenso wie die Gewichtung. Diese liegt je Titel zwischen ein und vier Prozent. Abhängig ist sie von den quartalsweise durch Anleger geschätzten Kurszielen. Je weiter deren Durchschnitt vom Börsenkurs entfernt ist, desto höher der Anteil der jeweiligen Aktie. „Die chancenreichsten Titel haben so das größte Gewicht“, sagt Fonds­manager Michael Thaler.

Der Fonds beherzigt das Modell der kollektiven Intelligenz. Jede Stimme zählt gleich viel. Damit die Teilnehmer sich nicht beeinflussen, gibt es kein Diskussionsforum. „In offenen Foren bilden sich immer Autoritäten heraus, die die Meinung bestimmen. Das wollen wir verhindern“, erklärt Thaler.

Obwohl es sich also um einen reinen Mitmachfonds handelt, ist die Rendite bisher mäßig. Sie hinkt dem MSCI-World-Index um elf Prozentpunkte hinterher. Das hat wohl zwei Gründe. Die Grundgesamtheit von 210 Aktien ist zu gering, ebenso wie die Anzahl von nur 120 Teilnehmern. Günstig sind die Gebühren. Von den 0,5 Prozent jährlichen Kosten werden mehr als die Hälfte an die besten Tipper ausgeschüttet.

Weniger angenehm sind die Kosten beim Konkurrenzfonds Share­wise-Community von Hauck & Aufhäuser, der in der Zeichnungsphase ist: 1,5 Prozent Jahresgebühr und 15 Prozent Erfolgsbeteiligung — für einen Mitmachfonds happig. Dafür sind viel mehr Anleger an der Auswahl beteiligt. 150.000 User der Investorplattform Sharewise (www.sharewisefonds.com) geben Tipps zu 19.000 globalen Aktien. Monatlich wird die Hitliste der 100 Staranleger erstellt. Entscheidend dafür sind die Ergebnisse der letzten 180 Tage. User raten zum Kauf oder Verkauf.

Nur die, deren Tipps den Stoxx Europe 600 am klarsten geschlagen haben, landen oben. „Wir wollen den Rahm von der Weisheit der vielen abschöpfen“, sagt Michael Mellinghoff von Sharewise. 30 Hinweise werden gleichgewichtet umgesetzt: 25 Aktien und fünf Short-Positionen.

Geld erhalten die Spitzenempfehler bisher noch nicht. „Ähnlich wie bei Ebay können sie sich aber eine Onlinereputation aufbauen“, so Mellinghoff. Diese soziale Kontrolle garantiert seriöse Tipps. Trotzdem gleicht das Sharewise-Modell eher einem Aktienfonds als kollektiver Intelligenz. Die 100 Besten umfassen nicht alle Teilnehmer, und frühere Erfolge garantieren keine künftigen. „Das Modell ähnelt der Auswahl ­eines Fonds. Auch dort wählt ein Team von mehreren Experten die Titel aus“, kritisiert Schmoller.

Noch weiter entfernt vom Ursprung der Weisheit der vielen ist Wikifolio. Auf der Onlineplattform (www.wikifolio.com) legen Trader ihre Portfolios offen und machen sie für andere Anleger handelbar. Der Erfolg ist für jeden in Echtzeit einsehbar. Ranglisten zeigen, welche Trader gut liegen und welche nicht.

Ist eine Handelsstrategie mindestens 21 Tage etabliert und finden sich zehn Unterstützer für einen Trader, die in Summe mindestens 2500 Euro anlegen, wird das Portfolio als Zertifikat verbrieft. Interessenten können das Papier kaufen und so die Strategie ihres Favoritenhändlers nachbilden. Der hat oft einen Bankhintergrund und muss seine Pass­kopie bei Wikifolio hinterlegen.

Social-Media-Zertifikate kommen
Schon 135 solcher Zertifikate sind gelistet. „Der Idee ist, dass Anleger mit klassischen Bankprodukten unzufrieden sind und eine Alternative suchen“, sagt Andreas Kern, Gründer von Wikifolio. Rund 4000 re­gistrierte Nutzer hat die Website. Gehandelt werden kann mit insgesamt 3000 Aktien und ETFs. Die Jahresgebühr pro Zertifikat beträgt 0,95 Prozent, die Erfolgsbeteiligung reicht von fünf bis 30 Prozent und ist vom Trader beim Start festzulegen.

Wikifolio ist keine kollektive Intelligenz im ursprünglichen Sinn. Es wird nicht über Aktien, sondern über Trader abgestimmt. „Es ist ein unverzerrter transparenter Markt für Handelsstrategien“, sagt Kern. Die Gefahr ist, dass ein Modell eine Weile gut läuft und dann abstürzt. Daher sind bewährte Strategien wie antizyklische oder krisensichere Investments oder Familienunternehmen (siehe Tabelle unten) zu präferieren.

Fazit: Nur der Multi-Structure-Fonds ist als kollektive Intelligenz zu betrachten, scheitert bisher aber an zu geringer Resonanz. Die übrigen Produkte sind Varianten. Die Bewährungsprobe, ob die breite Masse ein cleverer Investor ist, steht noch bevor. Vielleicht lauschen Börsianer schon bald nicht mehr Warren Buffett, sondern dem Massenorakel.

Fonds und Zertifikate zum Mitmachen

Zertifikate
Krisensich. Invest.2, 5 ISIN: DE000LS9AAE7
Antizykl. Chancen 2, 6 ISIN: DE000LS9AAJ6
Familienunterneh.2, 7 ISIN: DE000LS9ACF0

Fonds
Multi Structure F. ISIN: LU0498676971
Sharewise Comm. F. ISIN: LU0625428700

1 pro Jahr; 2 Emittent: Lang & Schwarz; 3 Ausgabepreis; 4 Agio: 5 %; 5 setzt vorwiegend auf Tabak-, Nahrungsmittel- und Getränkeaktien; 6 nutzt Übertreibungen nach oben und unten aus, arbeitet mit Charttechnik; 7 setzt vorwiegend auf familiengeführte Konzerne aus DAX und MDAX