€uro-am-Sonntag-Interview

George Soros: Europa ist in Todesgefahr

aktualisiert 28.11.11 10:01 Uhr

George Soros, der legendäre Investor, Milliardär und Philanthrop über die Eurokrise, die Schulden in Italien und seine Investments.

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von S. Bolzen und F. Eder, €uro am Sonntag

George Soros registriert eine erschreckende Dynamik des Zerfalls in Europa – glaubt aber dennoch, dass die Ressourcen zur Rettung des Kontinents vorhanden sind. Der Schlüssel zur Lösung liegt für ihn in der Stabilisierung des Bankensystems, und zwar nicht über immer schärfere Kapitalvorgaben, sondern über staatliche Bürgschaften für die Geldhäuser – verbunden mit der Verpflichtung, Staatsanleihen aus Krisenländern wie Spanien und Italien zu kaufen.

€uro am Sonntag: Sie wissen, wie man in Krisen Geld verdient. Kaufen Sie gerade italienische Staatsanleihen?
George Soros:
Wenn ich darauf vertrauen könnte, dass die Politik das Richtige tut, würde ich mich mit dem Kauf beeilen. Mein Investmentfonds hält tatsächlich ein paar Italien-Bonds. Aber um zuzukaufen, ist mir die Unsicherheit zu groß.

Was ist unsicherer: dass Italien seine Schulden noch bedienen kann oder dass Europa seine drittgrößte Volkswirtschaft heraushauen wird?
Ich konstatiere in der Tat eine Dynamik des Zerfalls in Europa. Wenn nichts geschieht, dann gerät die EU in einen sich selbst verstärkenden Prozess der Desintegration. Dagegen muss etwas getan werden.

Fällt der Euro, fällt Europa, sagen die deutsche Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Sarkozy. Stimmen Sie Ihnen zu?
Wir sind an einem entscheidenden Punkt angekommen. Was jetzt entschieden wird, wird substanzielle Folgen haben, weil einfach nur gewisse beschränkte Ressourcen zur Verfügung stehen. Wenn die Reserven des Eurorettungsfonds EFSF einmal für den falschen Zweck ausgegeben sind, werden sie nicht wieder aufgefüllt werden können. Daher hängt jetzt alles davon ab, wie sie genutzt werden. Ich bin überzeugt, dass sie ausreichen, um die akute Phase der Krise zu einem Ende zu bringen.

Haben Sie den Eindruck, dass man Ihnen zuhört?
Ich habe mehrfach erklärt, was zu tun ist, und ich bin irritiert und frustriert, dass man es nicht verstehen will. Das hat nichts mit schlechten Absichten zu tun. Es liegt vielmehr an einer gewissen bürokratischen Trägheit. Man hat einen anderen Weg gewählt und meint nun, es sei zur Umkehr zu spät. Ich glaube gar nicht, dass es zu spät ist. Und ich glaube, dass die Notwendigkeit einer Kehrtwende sehr bald offensichtlich werden wird. Aber das Problem ist ein elementarer Mangel an Verständnis dafür, wie Finanzmärkte funktionieren.

Können Sie beschreiben, was die Märkte wollen?
Es gibt einen bemerkenswerten Unterschied zwischen den USA und Großbritannien auf der einen Seite und dem Rest Europas auf der anderen. Die Amerikaner und Briten haben mehr Erfahrung. Auch sie haben schwere Fehler gemacht, missverstehen Sie mich nicht, aber zumindest haben sie verstanden, dass die Märkte nach zwei Dingen fragen: Sie wollen Führung sehen und mehr als ausreichende Ressourcen. Das sind die notwendigen Bedingungen, um die Krise zu beenden.

Keine davon scheint erfüllt.
Beide sind möglich, aber keine ist erfüllt. Weil die Europäische Zentralbank in die eine Richtung zieht, die Regierungen in eine andere. Sarkozy will den einen Weg, die Deutschen den anderen, selbst in Berlin zieht Merkel in die eine und Schäuble in die andere Richtung. Da ist keine Einigkeit zu erkennen.

Lassen Sie uns über die Ressourcen sprechen. Wie viel brauchten wir?
Die Ressourcen wären ausreichend, wenn sie nur richtig verwendet würden. Aber die Schulden Italiens und Spaniens sind zu hoch, um für sie zu bürgen, und die Gefahr ist groß, dass die Finanzmärkte selbst auf eine Teilgarantie negativ reagieren. Wir haben es hier mit zwei ineinandergreifenden Problemen zu tun: Das eine ist das Bankensystem, das andere die Staatsverschuldung. Sie gehören zusammen, weil die Banken so viele Anleihen besitzen, von denen sie dachten, sie seien sicher, die sich aber nun als Risiken herausgestellt haben.

Also besser die Banken retten als die Krisenländer?
Die Mittel wären ausreichend, um für das Bankensystem zu bürgen. Aber statt das zu tun, beharren die Staaten darauf, dass die Banken ihr Kapital aufstocken. Das ist ein fundamentaler Fehler. Es ist für Banken nicht die richtige Zeit, um Kapital aufzustocken.

Eine Lehre aus der Krise vor drei Jahren lautete, dass ein anfälliger Finanzsektor die Lage verschlimmert.
Bankaktien bekommt man zum Discountpreis. Die Banken wollen ihr Kapital nicht verwässern. Die Deutsche Bank hat klar gesagt, lieber schrumpfen wir unsere Bilanzsumme, als dass wir das Eigenkapital aufstocken. Wenn es so kommt, bedeutet das ­einen negativen Effekt für die Wirtschaft. Die Banken sollen sich jetzt ­innerhalb von sechs Monaten rekapitalisieren. Das bedeutet, dass alle Banken sechs Monate lang Kreditlinien kürzen und das Kreditportfolio verkleinern. Das schiebt die Abwärtsspirale doch nur noch an.


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Das mag so sein. Die Politik kann es sich dennoch nicht eingestehen. Es sähe aus wie eine Kapitulation vor den Interessen der Banken.
Nein. Wenn den Banken die Garantie gegeben würde, dass sie aufgefangen werden, wenn sie nicht Kapital aufnehmen müssten unter diesen harten Bedingungen, dann müssten sie von den Behörden Anweisungen akzeptieren. Dazu gehört, dass sie keine Verluste machen dürften. Die Banken könnten angewiesen werden, ihre Bilanzsumme zu erhalten. Sie dürften keine neuen Risiken auf eigene Rechnung eingehen. Sie würden ermutigt, Liquidität zu bewahren, indem sie Staatsanleihen von Spanien und Italien kaufen. Die wären wie Bargeld, weil sie jederzeit an die EZB verkauft werden könnten.

Da kommt die Zentralbank ins Spiel. Gegen die Europäische Zentralbank (EZB) als Feuerwehr spricht einiges, vor allem ihre Unabhängigkeit.
Es ist die Pflicht der EZB, für entsprechende Liquidität zu sorgen. Das wäre völlig legitim.

Verstehen Sie, warum Deutschland sich so sehr dagegen wehrt?
Ich kann die deutsche Position ver­stehen. Deswegen biete ich ja eine ­Lösung an, gegen die Deutschland nichts haben kann. Deutschland hat sehr schlimme Inflationserfahrungen gemacht, deswegen fürchtet man sich in diesem Land vor Zentralbanken, die Regierungen Geld leihen. Aber mein Vorschlag sieht ja nicht vor, dass die EZB Regierungen oder dem EFSF Geld leiht. Ich respektiere die Einwände der Deutschen und biete eine Lösung, gegen die sie nichts haben können.

Ist es nicht eine wacklige Argumentation, dass Anleihekäufe am Sekundärmarkt keine direkte Finanzierung von Staaten bedeuten?
Eine bessere haben wir nicht. Lassen Sie uns bei den Banken bleiben. Die sollten sehr glücklich sein, solange Staatsanleihen mehr Zinsen bringen, als ihre Ausleihen bei der EZB kosten. Die EZB könnte den Zinssatz daher ­sogar auf ein halbes Prozent reduzieren, und Italien könnte sich Geld für, sagen wir, weniger als ein Prozent besorgen. Und plötzlich würde der weitere Anstieg der Schuldenlast Italiens, die derzeit schneller wächst als die Wirtschaft, aufhören. Die Schuldenbürde wäre viel einfacher zu tragen. Und auch normale Käufer italienischer Bonds würden sich freuen. Selbst wenn sie weniger Zinsen bringen als heute, so wäre das Investment doch sicher.

Ihr Optimismus ehrt Sie, Herr Soros. Woher kommt er?
Es ist der Wunsch, diese negative ­politische Dynamik aufzuhalten. Es besteht eine seltsame Ähnlichkeit zwischen Aufstieg und Fall der EU und Bildung und Platzen von Blasen auf den Finanzmärkten. Diese Prozesse verstärken sich selbst in beide Richtungen. Die Verantwortlichen in ganz Europa verhindern heute Reformen, wollen den Status quo behalten. Das drängt jeden, der sieht, dass der ­Status quo nicht trägt, in eine anti­europäische Position. Aber Europa muss zusammenhalten, der Euro muss gerettet werden. Dazu möchte ich beitragen. Ich glaube an Europa als offene Gesellschaft.

Aber Sie glauben auch, dass Europa in Gefahr ist.
In tödlicher Gefahr. Wir müssen uns die positiven Dinge, für die Europa steht, zurückerobern. Wir müssen das begehrenswerte Europa neu erfinden, ein Europa, das uns etwas wert ist und das wir nicht nur tolerieren.

zur Person:

George Soros:
Investorenlegende

Der 81-jährige US-Investor und Autor studierte Wirtschaft an der London School of Economics. Der gebürtige Ungar ist zum dritten Mal verheiratet und hat fünf Kinder. Er verfolgt die Leitidee einer offenen Gesellschaft, die ihren Bürgern größtmögliche Freiheit gewährt.
Vor rund 20 Jahren machte er Schlagzeilen, als er das britische Pfund, das er für überbewertet hielt, mit Spekulationsgeschäften in eine Abwertung zwang.

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