junge Welt: Ökonom Flassbeck: »Der Euro-Ausstieg ist eine Waffe«
Berlin (ots) - junge Welt-Interview über die Euro-Krise, Möglichkeiten einer linken Alternative und die notwendige Debatte über einen »Plan B«
Die deutsche und europäische Linke muss dringend die Debatte über einen »Plan B«, einer Alternative zur Gemeinschaftswährung Euro, führen. Das fordert der frühere Finanzstaatssekretär Heiner Flassbeck im Gespräch mit der in Berlin erscheinenden Tageszeitung junge Welt (Samstagausgabe). Die EU werde sich in den kommenden Jahren dramatisch verändern, weil sie aus der Wirtschaftskrise nicht herauskomme. Eine weitere Stärkung rechter Parteien sei »die wahrscheinlichste Variante«. Dies sei nicht zuletzt dem »Versagen« der Linken zuzuschreiben. So könnten im kommenden Jahr der Front National stärkste Partei im Parlament und Marine Le Pen Präsidenten Frankreichs werden. Und mit Blick auf Italien warnt Flassbeck in junge Welt: »Wenn die ökonomische Lage sich nicht drastisch verbessert, könnte die Lega Nord zusammen mit Beppe Grillo bei den Parlamentswahlen 2018 eine Mehrheit kriegen. Dann ist Italien auch verloren und Europa am Ende.«
Die Lage in Europa sei »dramatisch«, so Flassbeck in junge Welt weiter. Notwendig sei eine »realistische Betrachtung« des Euro. Deutschland habe mit seiner Politik eine »tiefe Wunde« in die Gemeinschaftswährung geschnitten, so der Ökonom. Zu glauben, man könne einfach ein »Pflaster« drauflegen, um den Euro wieder zu heilen, sei naiv. »Die Verwundung ist tödlich«, konstatiert Flassbeck. »Wir haben immer noch einen zwanzigprozentigen Abstand der Lohnstückkosten zwischen Deutschland und Frankreich. Das kann einfach nicht so weitergehen. Frankreich muss wirtschaftlich überleben können. Auf Dauer kann es das so nicht. Vielleicht kann es sich noch fünf Jahre so durchschleppen, aber es kann unmöglich auf die letale Lohnsenkungspolitik setzen.«
Ein Weitermachen wie bisher könne es nicht geben. Notwendig sei das Nachdenken über Alternativen. Flassbeck: »Wenn sich an der deutschen Wirtschaftspolitik in ganz kurzer Zeit nichts ändert, kann die Wunde nur geheilt werden, wenn einige Länder aus dem Euro ausscheiden und ihre Währung abwerten.«
Gleichzeitig müssen in Deutschland über viele Jahre die Löhne steigen. »Nicht nur das bisschen Reallohnsteigerung, welches die Zeitungen derzeit verkünden, das ist lächerlich«, so Flassbeck. »Wir brauchen fünf bis sechs Prozent höhere Löhne pro Jahr über einen Zeitraum von zehn Jahren, dann wäre das Problem gelöst.« Doch selbst die Gewerkschaften trauten sich nicht, dergleichen zu fordern. »Sie sind überhaupt nicht bereit, das Problem anzusprechen und anzugehen.«
Wenn die Linksparteien in Europa die Diskussion über den Ausstieg aus dem Euro nicht eröffnen, »wenn wir nicht vorbehaltlos über diese Option reden - wenigstens eines temporären, auf fünf oder zehn Jahre befristet -, dann wird diese Forderung von den Rechtsradikalen aufgegriffen, dann ist Europa tot«, prognostiziert Flassbeck.
Heiner Flassbeck war 1998 Staatssekretär im Finanzministerium unter Oskar Lafontaine, von 2003 bis 2012 Chefvolkswirt der Konferenz für Handel und Entwicklung bei den Vereinten Nationen (UNCTAD). Heute betreibt er den kritischen Wirtschaftsblog www.flassbeck-economics.de
Das Gespräch mit Heiner Flassbeck erscheint auf einer Doppelseite in der Wochenendausgabe der Tageszeitung junge Welt und ist ab Freitag abend 19 Uhr auf www.jungewelt.de abrufbar.
Veranstaltungshinweis:
Am 14. und 15. November findet in Paris die Konferenz »Für einen Plan B in Europa« statt, unter anderem mit Oskar Lafontaine (ehemaliger Bundesfinanzminister und Mitbegründer der Partei Die Linke), Gianis Varoufakis (ehemaliger Finanzminister Griechenlands), Jean-Luc Mélenchon (Mitglied des Europaparlaments und Mitbegründer des der Parti de Gauche in Frankreich), Stefano Fassina (ehemaliger Vizefinanz- und Wirtschaftsminister Italiens) und der früheren Präsidentin des griechischen Parlaments, Zoe Konstantopoulou.
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