Robert Halver: "Aktien sind zwar absolut teuer, aber relativ eben nicht"
Robert Halver, Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank, nimmt für gewöhnlich kein Blatt vor dem Mund. Auch im Interview mit finanzen.net spricht er Klartext und erklärt unter anderem, warum die Notenbanken gezwungen sind, die Illusion einer stabilen Finanzwelt aufrechtzuerhalten.
Herr Halver, die Aktienkurse sind in den letzten Monaten kräftig gestiegen. Lohnt sich jetzt noch der Einstieg oder sind Aktien schon zu teuer?
Robert Halver: "Im historischen Vergleich haben wir sehr hohe Aktienbewertungen. Die Marktkapitalisierung in Relation zur Wirtschaftsleistung befindet sich in den USA auf einem neuen Rekordstand. Aber wir haben auch keine normalen Märkte. Zinsvermögen ist keine alternativ attraktive Anlageform. Die Renditen nach Abzug der Inflation sind negativ. Vermögensverwalter befinden sich in einem Dilemma: Aktien sind - historisch betrachtet - zwar absolut teuer, aber relativ eben nicht. Relativ gesehen sind die Anleihemärkte zu teuer."
Welcher Markt ist momentan attraktiver? Der europäische oder der amerikanische?
Robert Halver: "Der europäische Markt ist momentan attraktiv, vor allem auch der deutsche. Trump hat sehr viel versprochen und damit die US-Märkte nach vorne getrieben, aber er liefert momentan noch nicht. Einige Anleger sind daher enttäuscht und richten ihren Blick zunächst auf Europa. Ohnehin hat Europa das Deflationsgespenst verjagt. Für deutsche Aktien spricht auch der Brexit, der britische Aktien mit zwischenzeitlichen Unsicherheiten behaftet. Da schauen viele Vermögensverwalter zunächst auf die nächstliegende europäische Alternative, deutsche Aktien. Die Weltkonjunktur stabilisiert sich etwas und das sorgt nicht zuletzt dafür, dass auch MDAX und SDAX steigen werden. Unsere Werte aus der zweiten Reihe, vor allem aus dem Hightech-Sektor, wecken zudem Übernahmefantasien. Chinesen und Amerikaner wollen diese Perlen kaufen, um bei der Digitalisierung erfolgreich mit dabei zu sein."
In Europa stehen dieses Jahr einige Wahlen an. Wird das Jahr 2017 daher besonders schwierig für Anleger?
Robert Halver: "Die politische Unsicherheit hat sich mittlerweile gelegt. Die Niederländer haben europafreundlich gewählt und auch die Franzosen werden es tun. Bei der Bundestagswahl im September stehen beide Kanzlerkandidaten für Europa. Und nach der Wahl im Saarland spricht wenig für eine rot-rot-grüne Regierung. Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube: Diese wäre sicherlich nicht der Wunsch der Börse."
Wird es trotzdem nach dem Brexit zu weiteren Exits kommen?
Robert Halver: "Der Brexit scheint heilsame Wirkung zu entfalten. Denn die 'Rest-EU' wird den Briten kein gutes Freihandelsabkommen anbieten, um in anderen EU-Ländern keine schlafenden Hunde zu wecken. Der Wegfall des gemeinsamen Binnenmarktes würde den Briten so massive Wohlstandseinbußen einbringen, dass sie die Rattenfänger noch verfluchen werden, die ihnen versprochen haben, dass es ihnen nach Brexit besser gehen wird. Es geht aufwärts, sprach der Fisch, nachdem er angebissen hatte. Ich glaube, dass die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Austritts der Briten umso geringer wird, je länger die Brexit-Verhandlungen dauern und je mehr Wirtschaftsschmerzen sie verursachen. Deutschland ist sehr stark an einem Verbleib der Briten im EU-Raum interessiert und würde ihnen goldene Brücken zurück in die EU bauen. Die Briten sind unsere Waffenbrüder in puncto Stabilität, Marktwirtschaft und Reformen. Deutschland ist ansonsten allein mit den Schuldengläubigen im europäischen Süden, die von solider Haushaltsführung so viel halten wie Löwen von vegetarischer Kost."
Es scheint momentan so, als ob sich deutsche Konzerne mehr Sorgen wegen Trump machen würden, als um eine neue Krise in der Eurozone. Ist das berechtigt?
Robert Halver: "In unserer Finanzwelt muss man sich mit den Tatsachen beschäftigen, die bestehen, nicht mit denjenigen, die man gerne hätte. Man muss also das Beste aus Trump machen. Er realisiert allmählich, dass er mit der Hau-drauf-Methode eines Bauunternehmers als Politiker nicht durchkommt. Selbst der republikanisch beherrschte Kongress hat ihm in puncto Gesundheitswesen die rote Karte gezeigt. Ich erwarte, dass der Kongress auch bei hartem Handelsprotektionismus nicht mitspielen wird. Amerika würde sich ins eigene Fleisch schneiden. Denn die USA wollen wieder deutlicher als Industrienation auftrumpfen und ihre Produkte auch weltweit exportieren. Ohnehin sind viele deutsche Unternehmen in Amerika investiert. Sie schaffen Arbeitsplätze. Warum sollte Trump ihnen schaden? Diese Unternehmen kommen in Amerika sogar in den Genuss von möglichen Steuersenkungen und Deregulierung. Das hilft ihren Gewinnen und Aktienkursen. Im Übrigen braucht selbst Trump im geopolitischen Wettstreit mit Russland und China Verbündete in Europa.
Viel schlimmer als der Trumpismus ist die Eurosklerose. Selbst eine gut ausgehende Wahl in Frankreich ist nur ein Pyrrhussieg. Erst wenn Europa endlich seine (wirtschafts-)politischen Hausaufgaben macht, damit Unternehmen dort investieren, Arbeitsplätze und für die Bürger eine Perspektive schaffen, ist Europa aus dem Schneider. Hier passt ein Martin-Luther-Zitat: Aus einem verzagten Hintern kommt kein fröhlicher Furz. Wenn wir dort nicht hinkommen, müssen wir immer wieder vor jeder neuen Wahl Angst haben."
Die EZB will Investitionen bereits ankurbeln, ein Ende der ultralockeren Geldpolitik ist noch nicht in Sicht. Wird es da nicht langsam eng für die Banken? Wie lange können die noch profitabel arbeiten?
Robert Halver: "Ich kann mir vorstellen, dass die EZB den negativen Einlagezins für Banken von aktuell minus 0,4 Prozent sukzessive auf 0,0 Prozent erhöhen wird. Das wird man dann als geldpolitische Restriktion verkaufen, aber de facto wäre es eine Wohltat für die Banken. Grundsätzlich weiß die EZB, dass sie die Eurozone wie Pattex zusammenhalten muss. Dazu betreibt sie Sankt-Martin-Politik: Sie sorgt dafür, dass die Mitgliedsländer zu günstigen Zinsen neue Staatsschulden machen können, um die Konjunktur künstlich zu stabilisieren. Und selbst wenn sie anfängt, restriktiv zu werden, wird es ein sehr sanftmütiger Kurs sein. Ansonsten fliegen der Eurozone ihre überbordenden Schulden um die Ohren. Für die EZB geht eurozonale Stabilität vor geldpolitischer Stabilität. Mit der Deutschen Bundesbank hat sie nicht mehr viel zu tun."
Um im Niedrigzinsumfeld Geld zu verdienen, verlangen einige Sparkassen mittlerweile Gebühren fürs Geldabheben. Wird sich dieser Trend, den Sparer stärker zur Kasse zu bitten, in der Bankenbranche durchsetzen?
Robert Halver: "Ich nenne das den Broken Window-Ansatz. Wenn erst einmal ein Fenster eingeschlagen ist, muss man auf das nächste nicht lange warten. Die Geldinstitute haben dann ein Alibi: Die anderen machen es ja auch. Tatsächlich ist das aktuelle Zinsumfeld für Banken extrem herausfordernd. Es wird Zeit, dass die negativen Einlagenzinsen wegfallen."
Wie würden Sie momentan investieren?
Robert Halver: "Die Deutschen sparen zu fast 80 Prozent in Zinsvermögen an. Sie geben mehr Geld für Südfrüchte als für Aktien aus. Aktien sollten höhergewichtet werden. Bei der aktuellen 'Aktienhöhenangst' sind langfristige, regelmäßige bediente Aktiensparpläne ideal. Das geht überall ab 25 Euro im Monat. Bei diesen Ansparplänen hat man die 'Kraft der zwei Herzen'. Denn erstens erhalten Anleger bei steigenden Kursen zwar weniger Aktienanteile, dafür nehmen sie aber die Kurssteigerungen mit. Und bei fallenden Kursen erhalten sie durch ihren gleich bleibenden Sparbeitrag mehr Aktienanteile. Bei wieder steigenden Kursen erhöht sich das gesamte Aktienvermögen wie bei einer Flut, die alle Schiffe anhebt.
Wenn man nach einer Aktienkonsolidierung investieren will, dann würde ich vor allem die zyklischen Werte kaufen, weil die von einer Belebung der Weltkonjunktur profitieren. Daneben sollte man auch die defensiven Qualitäten aufgrund der Dividenden nicht vergessen."
Worin würden Sie aktuell auf keinen Fall investieren?
Robert Halver: "Ich habe nach wie vor Ekelgefühle bei Zinspapieren. Die Renditen nach Inflation sind ungenießbar. Außerdem haben die Durchschnitts-Deutschen schon Zins- und Staatspapiere bis Oberkante Unterlippe. Die Rentenversicherung ist ein Staatspapier. Das gilt genauso für Versicherungsprodukte, für Pensionskassen oder Betriebskassen. Hüten sollte man sich auch vor Hochzinsanleihen, für die z.B. in S-Bahnen Werbungen aushängen. Dieses Risiko wäre mir zu hoch."
Sie sprachen gerade von einer möglichen Konsolidierung, andere Experten warnen vor einem bevorstehenden großen Crash. Wie stehen Sie zu solchen Aussagen?
Robert Halver: "Da wir uns immerhin im neunten Jahr des Aktienaufschwungs befinden, sind Aktien historisch betrachtet längst reif für eine massive Aktienkorrektur. Und wer hat die letzten großen Crashs ausgelöst? Die Notenbanken, wenn sie die Zinsnotbremse kräftig gezogen haben. So hat die US-Notenbank von 2004 bis 2006 die Zinsen verfünffacht. Da muss jede Blase platzen. Würden die heutigen Notenbankzinsen ähnlich radikal erhöht, würde die größte Anlageblase aller Zeiten, die Anleiheblase, platzen. Dann besteht die Gefahr des finalen Systemcrashs unserer völlig, unter normalen Umständen unhaltbar überschuldeten Finanzwelt. Wenn unsere Notenbanker aber nicht von allen guten Geistern verlassen sind, werden sie den Zinsschock vorerst nicht zulassen. Allerdings, wenn Europa meint, unter Beibehaltung seiner wirtschaftsfeindlichen, schuldentrunkenen Politik mit immer mehr Schulden und Finanzierung durch die EZB längerfristig überleben zu können, ist es auf dem Holzweg. Ohne echtes Wirtschaftswachstum über klare Reformen fahren wir Europa längerfristig an die Wand. Aber dann wäre man mit Aktien und Edelmetallen immer noch besser dran. Zinsvermögen dagegen wird dann wie 1948 vom Winde verweht und kommt nie wieder.
Im aktuellen Szenario ist eine vorübergehende Aktienkonsolidierung auch deutlich unter 12.000 Punkte im DAX möglich. Sie wäre sogar gesund, sie ließe den Druck aus dem Aktienkessel ab. Ein Treibmittel dazu könnten die geopolitischen Spannungen um Syrien und Nordkorea sein. Ein diszipliniertes Eingreifen Amerikas hat die Absicht, die anderen Großmächte Russland und China mit erhöhtem Druck zu einer kooperativen Lösung zu bewegen, die sich bislang nicht eingestellt hat. Sollten beide Konfliktherde gemeinschaftlich eingedämmt werden, hätte die Welt viel gewonnen, auch die Finanzwelt. Amerika hat sich in der Vergangenheit zu viel eingemischt. Das absolute Gegenteil ist aber auch nicht sinnvoll. Schönheitspreise gibt es in der Geopolitik leider nicht zu gewinnen."
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Bildquellen: Robert Halver