Euro am Sonntag-Interview

Drägerwerk-Chef: "Wir bleiben eigenständig"

29.05.17 13:58 Uhr

Drägerwerk-Chef: "Wir bleiben eigenständig" | finanzen.net

Stefan Dräger, Vorstandschef des Medizin- und Sicherheitstechnik-Konzerns, über große Wachstums­chancen für Drägerwerk, fremde Investoren und seine Liebe zu Lübeck.

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von Oliver Ristau, Euro am Sonntag

Hinter den alten Industriehallen fließt gemächlich die Trave vorbei. Hier, am Rand der Altstadt von Lübeck, arbeitet seit 130 Jahren das Drägerwerk - auch wenn die Produktion traditioneller Medizintechnik wie Beatmungsgeräte und Inkubatoren mittlerweile ein paar Blocks weitergezogen ist. Mit der Stadt an der Ostsee fühlt sich das Unternehmen verbunden. Und mit seinen Mitarbeitern. Symbolisch dafür: die alten Arbeitersiedlungen, die vom modernen Büro Stefan Drägers mit den großen Glasscheiben gut zu sehen sind.



Seit 2005 ist Dräger Vorstandschef des Medizin- und Sicherheitstechnikunternehmens aus Lübeck. In dieser Zeit hat der 54-Jährige die global operierende Firma umgekrempelt und ihr eine effizientere Struktur gegeben. So wurde 2010 die Medizintechniksparte, an der Siemens beteiligt war, vollständig übernommen und integriert. Trotz hoher Personalkosten will der Manager, der das Familienunternehmen in fünfter Generation führt, den Mitarbeiterstamm nicht reduzieren. Nur mit Menschen sei Kundennähe herzustellen, so sein Credo.

€uro am Sonntag: Herr Dräger, Ihr Unternehmen erzielt mehr als die Hälfte der Umsätze in Europa. Waren Sie froh, als der liberale Emmanuel Macron die Präsidentschaftswahlen in Frankreich gewonnen hat und die EU damit erst einmal als Wirtschafts- und Währungsraum intakt bleibt?
Stefan Dräger:
Nach dem Brexit und den amerikanischen Präsidentschaftswahlen rechnet man ja mittlerweile mit dem Schlimmsten. Insofern war ich erleichtert. Macron will finanzielle Lasten innerhalb der EU stärker verteilen. Das sehen viele Südländer in der EU ähnlich. Und mit dem Austritt Großbritanniens verschwindet ein marktliberales Land, das wirtschaftlich das Gewicht von 20 kleinen EU-Mitgliedern hat. Das wird auch für Deutschland Änderungen bringen.


Aber der Euro ist erst einmal gerettet.
Ja, und der Euro ist für uns sehr wichtig. Gäbe es die Gemeinschaftswährung nicht mehr, würden sich die nationalen Währungen entsprechend ihrer Wirtschaft entwickeln und die deutsche Währung kräftig aufwerten. Das wäre katastrophal. Der Euro gibt uns einen großen einheitlichen Markt und verbessert auch unsere Exportposition außerhalb Europas.

Die Geschäfte in Europa waren im letzten Jahr dennoch rückläufig bei Ihnen.
Da gab es viele Faktoren. Während es in Deutschland gut lief, ist Großbritannien zurückgefallen, nicht wegen des Brexits, sondern wegen Kürzungen des Nationalen Gesundheitsservice NHS bei den Investitionen. Der Markt ging dort um 30 Prozent zurück. Auch Spanien entwickelte sich wegen der Hängepartie bei der Regierungsbildung schwach. Der Staat hat in dieser Zeit kaum etwas beauftragt. Doch diese Dinge sind passé. 2017 wird besser.


Auch in anderen Ländern gab es Rückgänge. Bei welchen Produkten lief es nicht?
Man kann das nicht an einzelnen Produkten festmachen. Uns zeichnet eine große Vielfalt aus. Kein Produkt macht mehr als zwei Prozent des Umsatzes aus. Es gab Zulassungsthemen mit Beatmungsgeräten in den USA, die Umsatz gekostet haben, oder wir haben bei der Software für das Patientenmonitoring vorgesehene Upgrades und Updates wegen neuer Zulassungsbestimmungen nicht einhalten können. Daneben zeigt sich, dass Staaten, deren Haushalte von den Rohstoffpreisen abhängen, weniger Medizin- und Sicherheitstechnik bestellen, auch weil sich die Währungsrelationen verschlechtern. Das galt im letzten Jahr besonders für Saudi-Arabien und Brasilien, aber auch beispielsweise für Kolumbien.

Das sind äußere Faktoren. Sie haben aber auch in den vergangenen beiden Jahren wegen hoher Kosten deutlich weniger Gewinn eingefahren.
Wir hatten in den Jahren seit der Finanzkrise von der Währungsseite erheblichen Rückenwind. Unsere Zulieferer kommen aus 50 verschiedenen Ländern mit teils eigenen Währungen. Es geht weniger um Pfund oder Dollar. Da sind wir fast vollständig natürlich gehedged. Doch bei den anderen Währungen hat sich der Wind in den letzten Jahren zu unseren Ungunsten gedreht.

Und der eigene Anteil an der schwächeren Entwicklung?
Den gab es zweifelsohne auch. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren die Geschäftsbereiche Sicherheits- und Medizintechnik und auch die einzelnen Tochtergesellschaften in den Ländern stärker miteinander verzahnt zu einer weltumspannenden Organisation. Das war früher nicht so. Nun haben wir vieles professioneller gestaltet und auf ein höheres Niveau gehoben.

Aber?
Ein solcher Prozess treibt erst einmal die Kosten nach oben. Um die wieder einzufangen, haben wir 2015 ein Effizienzprogramm aufgelegt, mit dem wir 100 Millionen Euro an ursprünglich zu erwartenden Kosten einsparen wollen. Das heißt, dass teilweise Kosten gesenkt werden und andere gar nicht erst entstehen. Die Verwaltungsstrukturen sind schlanker und effizienter. Das haben wir schneller geschafft als erwartet und den größten Teil schon 2016 realisiert. 2017 wird das kostenneutral wirken.

Die Personalkosten sind immer noch beträchtlich. Müssen Sie da nicht noch einmal ran?
Im letzten Jahr ist die Zahl der Beschäftigten um fünf Prozent zurückgegangen. Das kann man nicht beliebig so fortsetzen. Wir sind weltweit aktiv, und die Kundennähe ist für uns ein Erfolgsfaktor. Schwächen wir die, würden wir am eigenen Ast sägen. Wir wollen im Gegenteil die Kundennähe noch stärken. Das geht nur über Menschen, über die Mitarbeiter, welche die Unternehmenspersönlichkeit Dräger jeden Tag aufs Neue verkörpern.

Hier am Standort in Lübeck haben Sie im letzten Jahr Ihre Produktion erheblich modernisiert. Wie läuft das?
Wir haben damit zwei Standorte in Lübeck unter einem Dach vereint. Dafür haben wir 70 Millionen Euro investiert. Die Einsparungen sind mit neun Millionen Euro pro Jahr höher als von uns erwartet.

Ist das ein Modell auch für die anderen Standorte?
Nein, in Lübeck fertigen wir den überwiegenden Teil unserer Produkte. Bei den anderen Fabriken ist es so, dass wir tendenziell zu viele haben.
Werden Sie Fabriken schließen?
2016 haben wir den US-Standort in Pittsburgh geschlossen. Die kleineren, historisch gewachsenen Standorte stehen alle laufend auf dem Prüfstand.

Sind Sie damit auf dem Kostenniveau, das Sie haben wollen?
Es ist jedenfalls kein neues Restrukturierungsprogramm in Arbeit.

Ist es Ihr Ziel, wieder das Ergebnisniveau der Vorjahre wie 2012 zu erreichen, als der Jahresüberschuss doppelt so hoch ausfiel wie 2016?
Unser Ziel ist es, gut zu sein. Die Währungseffekte, von denen ich sprach, müssen wir zum größten Teil aushalten. Der Anteil der eigenen Wertschöpfung an unseren Produkten liegt bei nur sieben Prozent, 42 Prozent kommen über unsere Lieferanten. Das haben wir optimiert, aber gegen Schwankungen der vereinbarten Abrechnungswährungen kann man nichts machen. Der größte verbleibende Teil der Kosten sind Vertrieb und Service, das wird nicht kaputt gespart und kann auch nicht verlagert werden. Es bleiben die Kosten der Hauptverwaltung. Da müssten wir schon mit der Zentrale dorthin umziehen, wo es billiger ist. Meine älteste Tochter hat schon mal ein Jahr in Indien gelebt, das würde finanziell noch etwas bringen. Aber das planen wir nicht. Wir stehen zum Standort Lübeck.

Wenn Sie nur noch begrenzten Spielraum bei der Kostensenkung sehen: Wo kommt stattdessen künftiges Gewinnpotenzial her?
Wichtigster Punkt ist die Innovationskraft. Eine neue Generation an Medizintechnikgeräten wird kommen. Noch schlägt sich das nicht in Zahlen nieder.

Bedrohen aber nicht Automatisierung und Digitalisierung Ihr klassisches Geschäft der Gerätemedizin?
Nein, zum einen wird es immer nötig sein, Energie und Medien zur Therapie aktiv in den menschlichen Körper einzuleiten. Zum anderen sehen wir in dem Trend selbst eine große Chance. Das traditionelle Gerätegeschäft macht bei uns weniger als die Hälfte des Umsatzes aus. Wir entwickeln und liefern zum Beispiel ein Dokumentationssystem für die Anästhesie und sind vom US-Verteidigungsministerium beauftragt worden, alle Militärkrankenhäuser der US-Streitkräfte auf der Welt damit auszustatten. Das Potenzial ist groß. Das Gesundheitswesen ist verglichen mit anderen Industrien bei der Automatisierung noch in der Steinzeit.

Steinzeit herrscht auch bei der Sicherheit. Gerade ist die bisher größte weltweite Cyberattacke zur Lösegelderpressung bekannt geworden. Auch einer Ihrer Kunden, der britische Gesundheitsservice NHS, ist betroffen. Sind auch Ihre Systeme gehackt worden?
Nein, wir waren nicht betroffen. Aber das Thema ist wichtig. Auf Medizin- und Sicherheitstechnik von Dräger muss stets Verlass sein. Schon bei der Planung neuer Produkte, in ihrer Entwicklung und auch später während ihres Betriebs denken wir IT-Sicherheit deshalb mit.

Sie könnten also mittelfristig von Trends wie der Digitalisierung und dem demografischen Wandel profitieren. Wann wird sich das für die Aktionäre, die zuletzt nur die Mindestausschüttung erhalten haben, in einer höheren Dividende niederschlagen?
Es gibt dafür keinen definierten Zeitpunkt, keinen Automatismus. Das muss man immer im Kontext der weltweiten Entwicklung sehen. Schaue ich hier aus dem Fenster, ist die Sicht gut, in anderen Teilen der Welt ist sie schlechter.

Sie haben einen beträchtlichen Teil der Gewinne in die Rücklagen gesteckt und damit die Eigenkapitalquote auf 43 Prozent erhöht. Reicht das nicht?
Eine Studie der Universität Tübingen hat gezeigt, dass die durchschnittliche Eigenkapitalquote von Medizintechnikunternehmen weltweit bei 54 Prozent liegt. Grund ist die Abhängigkeit von Zulassungsfragen. Tenor: Es sei gut, angesichts gestiegener Risiken ein Polster zu haben. Ich kann diese Sicht sehr gut nachvollziehen.

Sie würden Ihre Finanzkraft auch dadurch stärken, dass Sie sich künftig auf einen einzigen Bereich konzentrieren würden: Medizin- oder Sicherheitstechnik.
Die Vielfalt aufrechtzuerhalten macht sehr viel Sinn. Das ist ein Vorteil, den wir uns erhalten wollen.

Sie könnten doch bei einem Börsengang einer der Sparten die Mehrheit behalten?
Das war tatsächlich in der Vergangenheit eine Überlegung, aber wir haben jetzt schon seit zehn Jahren unsere Struktur als Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) und darüber könnten wir weitere Aktien bei Bedarf ausgeben. Geplant ist das aber nicht.

Sie wären aber mit mehr Möglichkeiten an der Börse attraktiver für neue Großaktionäre und würden Kapital anlocken.
Wir sind ja nicht verschlossen gegenüber Partnern. Aber ich sehe in der Struktur, wie wir sie haben, viele Vorteile. Der Aktienkurs hat sich zuletzt doch gut entwickelt, abgesehen von der Dividende. Und unsere Struktur schützt vor feindlichen Übernahmen.

Inwiefern?
Maßgeblich ist bei einer KGaA nicht die Mehrheit der Stammaktien, auch wenn die wie bei Dräger im Familienbesitz ist. Die Kontrolle wird über den Komplementär ausgeübt. Das ist die Drägerwerk Verwaltungs-AG und diese gehört mir allein. Das schränkt Übernahmefantasien ein. Wir hatten mal einen US-Investor, dem das nicht klar war und der dann ausgestiegen ist. Für alle Aktionäre, aber auch Kunden sehe ich das positiv. Die wissen, dass meine Interessen grundsätzlich mit ihren übereinstimmen, da mein gesamtes Vermögen in dem Unternehmen steckt. Sie können sich darauf verlassen, dass Dräger nicht morgen einem anderen gehört.

Vita
Ingenieur und Vorstandschef
Stefan Dräger ist seit 2005 Vorstandschef des Lübecker Unternehmens und dort seit 1992 tätig. Wenn sich der 54-Jährige gerade nicht um die Firma kümmert, dann verbringt der Diplomingenieur der Elektrotechnik die Zeit gern mit seiner Familie in der Natur, beim Wandern, Waldlaufen und Motorradfahren.

Die Aktie
Kräftiger Auftrieb
Drägerwerk ist ein Spezialist für Medizin- und Sicherheitstechnik und erzielt rund 2,6 Milliarden Euro Jahresumsatz. Die Lübecker sind beispielsweise bei Atemgeräten für Feuerwehren oder Gasmessgeräten für den Bergbau weltweiter Marktführer. Bei Geräten für die medizinische Akutversorgung ist der Mittelständler die Nummer 4 auf dem Weltmarkt. Für 2017 erwarten Analysten Gewinnzuwächse von 40 Prozent. Die Aktie ist attraktiv.

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Bildquellen: Drägerwerk AG & Co. KGaA, Drägerwerk

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