Staatsschulden

Die soziale Frage ist existenziell

aktualisiert 27.09.11 15:01 Uhr

In den Industriestaaten wachsen die Schuldenberge und die Arbeitslosigkeit. Dies gefährdet die soziale Stabilität der westlichen Volkswirtschaften.

Kay-Peter Tönnes, Gastautor von Euro am Sonntag

In der Vergangenheit wurden Aktienmarkteinbrüche meistens als eine Korrektur der langfristigen Aufwärtsentwicklung aufgefasst und so hingenommen. Betrachtet man indes die Aktienentwicklung im vergangenen Jahrzehnt seit 2000, erscheint einem die Entwicklung inzwischen doch mehr als eine sich verkürzende Abfolge von Wirtschaftskrisen, die nur von zwischenzeitlichen Erholungen unterbrochen wird. So hatten wir erst 2010 die vermeintliche Rettung Griechenlands gefeiert, mit dem frustrierenden Ergebnis, heute den Untergang der Eurozone zu diskutieren.

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Dass es sich bei der eingetretenen Entwicklung nicht um ein rein europäisches Problem handelt, zeigt der Blick in die USA. Dort konnte gerade noch eine selbst­verschuldete Zahlungsunfähigkeit vermieden werden. Dabei ist die ­Finanzkrise des Jahres 2008 noch nicht einmal überwunden. Das alles passiert vor dem Hintergrund, dass wir am Anfang dieses Jahrzehnts noch geglaubt hatten, dass mit der internationalen Integration, dem Aufstieg der großen Schwellenländer Brasilien, China, Indien und Russland zu bedeutenden Zentren des Wirtschaftswachstums und dem technologischen Fortschritt eine Phase langfristigen Wachstums vor uns liege. Was ist schiefgegangen?

Schulden sind trotz höherer
Steuereinnahmen explodiert

Seit dem Jahr 2000 ist die Verschuldung der USA von 5,6 Billionen ­Dollar auf über 14 Billionen Dollar angestiegen. Die Staaten des Euro­raums haben ihre Verschuldung von 4,6 Billionen Euro auf 7,8 Billionen Euro erhöht. Dass die euro­päischen Schulden nicht ähnlich stark in die Höhe geschossen sind wie in den USA, liegt an der vergleichsweise soliden Haushalts­politik mehrerer nordeuropäischer Länder, die heute als Club der letzten „AAA“-Schuldner zu erkennen sind. Der eigentliche Knackpunkt liegt aber nicht einmal in der Schuldenspirale, sondern in folgendem Zusammenhang: Die Schulden sind explodiert trotz deutlich gestiegener Steuereinnahmen, die heute durchschnittlich um 25 Prozent ­höher liegen als im Jahr 2000. Doch wofür wurden diese gigantischen Summen eigentlich verwendet, deren Finanzierung heute so drückend auf den Staatshaushalten lastet. In den USA sind die jährlichen Ausgaben für Verteidigung in den vergangenen zehn Jahren um 462 Milliarden Dollar gestiegen, das ist mehr als eine Verdopplung des Rüstungsetats. Doch die Ausgaben für Gesundheit, Erziehung und Soziales sind im gleichen Zeitraum sogar um 875 Milliarden Dollar angestiegen, was eine noch stärkere Zunahme bedeutet. Das jetzt erreichte Haushaltsdefizit von jährlich etwa 1,3 Billionen Dollar kann fast allein mit diesen beiden Ausgabenblöcken erklärt werden.

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Hohe Arbeitslosigkeit birgt
soziale Sprengkraft

In Europa sind die Steigerungen der Sozialausgaben noch höher, ­wobei hier die Zunahme bei den Verteidigungsausgaben geringer ausfällt. Die Schulden, die im Rahmen der Bankenrettung aufgenommen wurden, haben die Entwicklung zu immer mehr Schulden beschleunigt. Dies war jedoch mehr ein Brandbeschleuniger als die Ini­tialzündung der Entwicklung. Der Schuldensockel, der in der Vergangenheit aufgetürmt wurde, ist vor allem auf Sozialprogramme zurückzuführen, denen bis heute eine geeignete Finanzierung fehlt.

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Wäre die Schuldenlast das einzige auf uns lastende Problem, dann wäre eine radikale Kürzung der Ausgaben der Weg, der am schnellsten Erfolg verspricht, um die aktuellen Krisen zu meistern. Dies lässt aber ein Problem außer Betracht: Selbst mit dem Wirtschaftswachstum der Vergangenheit gelingt es nicht mehr, auch nur annähernd eine befriedigende Arbeitsmarktsituation zu erreichen. Mit der fortschreitenden Automatisierung und Globalisierung des letzten Jahrzehnts sind viele Arbeitsplätze, besonders im Niedriglohnsektor, weggefallen oder verlagert worden.

Das zeigt sich in der anhaltenden Arbeitslosigkeit, von der immer mehr junge Menschen betroffen sind. In Europa ist mittlerweile jede fünfte Erwerbsperson unter 25 Jahren arbeitslos. In Spanien erreicht dieser Wert schon 45 Prozent und selbst das solide Finnland kann 20 Prozent der jungen Finnen keinen Arbeitsplatz bieten. In den USA hat sich der Anteil der Langzeitarbeitslosen im letzten Jahrzehnt verzehnfacht und die Jugendarbeitslosigkeit erreicht dort aktuell 18,1 Prozent der erwerbsfähigen jungen Menschen.

Wenn für eine so hohe Zahl der jungen Menschen Arbeitslosigkeit eine reale Erfahrung ist und für eine noch größere Zahl zumindest eine Bedrohung ihrer Zukunft darstellt, dann berührt dies die Grundfesten unserer Gesellschaft. Die ­gesellschaftliche und politische Stabilität ist aber die Basis des wirtschaftlichen Aufschwungs der entwickelten Volkswirtschaften. Es besteht nun ganz konkret die Gefahr, dass eine ganze Generation von „ökonomischen Verlierern“ heranwächst. In diesem Fall steht das Gesellschaftsmodell in Europa und den USA zur Disposition.

Die amerikanische Tea-Party-Bewegung ist nichts anderes als das Ergebnis dieser Veränderungen. Sie will die Sozialausgaben radikal kürzen, ein Niedrigsteuersystem beibehalten und eine Gesellschaft, in der jeder für sich selbst verantwortlich ist. Ob der amerikanische Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen, heute noch uneingeschränkt geträumt werden kann, darf bezweifelt werden. Der Tellerwäscher wurde wegrationalisiert.

Die Aktienmärkte, an denen die Zukunft gehandelt wird, können von diesen Verunsicherungen nicht unbeeinflusst bleiben. Zum einen explodiert die Staatsverschuldung durch nicht refinanzierte Sozialprogramme, zum anderen zerfällt der gesellschaftliche Konsens, auf den unsere Wirtschaftsordnung ­gegründet ist.

Dass es sich nicht nur um eine Schuldenfrage handelt, konnte man sehr gut an den Rettungsversuchen in Griechenland erkennen. Hier führte jeder Rettungsversuch zu Protestwellen und Verteilungskämpfen. Die Kreditgeber werden von der Bevölkerung in Griechenland angefeindet und eine nationale Einigkeit, die Probleme über Parteigrenzen hinweg anzupacken, ist nicht in Sicht.

Eurobonds sind keine Lösung
der Schuldenkrise

Auch die Einführung von Eurobonds – Anleihen, bei denen alle Euroländer für die Rückzahlung haften – verspricht in dieser Lage keine abschließende Lösung. Dies ist ein Instrument, welches zur Sicherung der Finanzierung eingesetzt werden kann, aber nur die Symptome der Krise behandelt. Wirklich zu lösen sind die Probleme nur dann, wenn zunächst die Staatsverschuldung glaubhaft eingedämmt wird.

Darüber hinaus müssen Reformen stattfinden, die zum einen den gesellschaftlichen Druck vermindern und zum anderen neue Freiräume für wirtschaftliches Wachstum eröffnen. Themen wie die Bezuschussung eines Niedriglohnsektors, negative Einkommensteuern – also Zuwendungen für die Verlierer der globalen Wirtschaftsveränderungen – oder Subventionen für Unternehmensgründungen werden uns vermutlich schon in naher Zukunft beschäftigen. Ohne Steuererhöhungen wird dies kaum zu erreichen sein. Die klassische Sicht, dass Steuererhöhungen Gift für die Börse sind, muss in diesem Fall nicht stimmen. Das größte Gift für die Börse ist die Unsicherheit.

Hohe Arbeitslosigkeit
Die Finanz- und Schuldenkrise hat den Arbeitsmarkt vieler europäischer Länder hart getroffen. Vor allem die Peripheriestaaten wie ­Irland, Griechenland, Portugal und Spanien müssen seither mit zweistelligen Arbeitslosenquoten leben. Als Gründe für diese Entwicklung führen Volkswirte neben dem Zusammenbruch wichtiger Industriezweige und harten Sparmaßnahmen auch den unflexiblen Arbeitsmarkt in Staaten wie Spanien an. Letzterer benachteiligt speziell jüngere Arbeitssuchende.
Arbeitslosenquote in europäischen Ländern (pdf)

zur Person:

Kay-Peter Tönnes, Geschäftsführer der
Antecedo Asset Management GmbH in Bad Homburg

Der Dipl.-Kaufmann arbeitete als Portfoliomanager bei der Basler Versicherung, bei Metzler Investment und bei Lupus alpha. 2006 gründete er mit Partnern den unabhängigen Finanzportfolioverwalter Antecedo ­Asset Management in Bad Homburg. Antecedo betreut derzeit ein Kundenvermögen von mehr als einer Milliarde Euro.