ROUNDUP/Sarrazin-Kritik: Bundesbank distanziert sich

30.09.09 21:09 Uhr

    BERLIN (dpa-AFX) - Berlins Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hat sich ziemlich rüde über seine frühere Wirkungsstätte Berlin geäußert und damit sofort den Zorn seines neuen Arbeitgebers, der Bundesbank in Frankfurt am Main, hervorgerufen. Sie distanzierte sich am Mittwoch von seinen Äußerungen in einem Interview mit der Kulturzeitschrift "Lettre International", in dem Sarrazin kaum ein gutes Haar an der Hauptstadt gelassen hat: Berlin sei belastet von "der 68er-Tradition und dem Westberliner Schlamp-Faktor", sagte der heutige Bundesbank-Vorstand. Die Stadt sei in ihren politischen Strömungen "nicht elitär aufgestellt, sondern in ihrer Gesinnung eher plebejisch und kleinbürgerlich".

    Sarrazin, der schon zu seinen Berliner Zeiten immer wieder mit starken Sprüchen auf sich aufmerksam gemacht hatte, blickt mit Häme auf die Hauptstädter: Ein Problem sei, "dass 40 Prozent aller Geburten in der Unterschicht stattfinden". Aber "türkische Wärmestuben" könnten die Stadt nicht voranbringen. "Ich würde einen völlig anderen Ton anschlagen und sagen: Jeder, der bei uns etwas kann und anstrebt, ist willkommen; der Rest sollte woanders hingehen." Zudem gebe es in Berlin stärker als anderswo das Problem "einer am normalen Wirtschaftskreislauf nicht teilnehmenden Unterschicht", meinte Sarrazin. "Wir müssen in der Familienpolitik völlig umstellen: weg von Geldleistungen, vor allem bei der Unterschicht."

SCHARFE KRITIK DER BUNDESBANK

    "Die Deutsche Bundesbank distanziert sich entschieden in Inhalt und Form von den diskriminierenden Äußerungen von Dr. Thilo Sarrazin in dessen Interview mit "Lettre International", teilte die Notenbank am Mittwoch dazu mit. Sarrazin, früherer Finanzsenator im Berliner Senat, gebe darin nicht die Ansichten der Bundesbank wider. "Das Interview steht in keinerlei Zusammenhang mit den Aufgaben von Dr. Sarrazin bei der Bundesbank", heißt es in der Mitteilung.

    Immerhin sieht auch Sarrazin Fortschritte in Berlin: "Ob es um Anteile am nationalen Diskurs oder an der kulturellen Produktion geht, an Fernsehserien, an Populärkultur bis hin zu dem Umstand, dass auch die Länder als die Vertreter des Föderalismus Berlin als Bühne benutzen." Topanwälte, Wirtschaftsberater, Manager, Ingenieure, Wissenschaftler - "viele möchten gerne in Berlin leben, viele Firmen eröffnen deshalb Dependancen".

"DER INTELLEKT, DEN BERLIN BRAUCHE, MÜSSE NOCH IMPORTIERT WERDEN"

    Der Intellekt aber, den Berlin brauche, müsse noch importiert werden "und er wird auch importiert werden wie im New York der 50er Jahre", sagte der Bundesbanker. Denn Berlin werde "niemals von den Berlinern gerettet werden können". Wenn Klaus Wowereit "eine Mischung aus Kurt Biedenkopf, Willy Brandt und Freiherr von und zu Guttenberg" wäre, "könnte er natürlich mehr für die Stadt bewirken", meinte sein früherer Finanzsenator.

    Der Berliner CDU-Landes- und Fraktionschef Frank Henkel meinte zu den Äußerungen Sarrazins, es sei bemerkenswert, "wie jemand über unsere Stadt urteilt, der jahrelang von Berliner Steuergeldern gelebt hat". Weder die Berliner noch die vielen Neuberliner müssten sich für ihre Leistungsfähigkeit schämen, meinte Henkel am Mittwoch in einer Presseerklärung. "Berlin hat genug kreatives Potenzial und ist offen für Impulse von außen. Wir scheuen weder, Intellekt zu importieren, noch Stumpfsinn zu exportieren."/mo/sh/DP/jkr