Protest bei Pressekonferenz

Draghi: EZB-Geldschwemme wird trotz besserer Konjunktur fortgesetzt

15.04.15 17:35 Uhr

Draghi: EZB-Geldschwemme wird trotz besserer Konjunktur fortgesetzt | finanzen.net
Mario Draghi

Die Europäische Zentralbank (EZB) zeigt trotz erster Anzeichen einer konjunkturellen Erholung keine Neigung, ihre neue Geldschwemme frühzeitig zu beenden.

Die Wertpapierkäufe müssten vollständig durchgeführt werden, damit sie Wirkung zeigten, sagte EZB-Chef Mario Draghi am Mittwoch in Frankfurt nach der Zinssitzung des Rats der Notenbank. Die Käufe von monatlich 60 Milliarden Euro würden bis September 2016 durchgeführt - in jedem Fall aber, bis sich ein nachhaltiger Anstieg der Inflation einstelle.

Angesichts besserer Konjunkturdaten und Stimmungsumfragen hatte es zuletzt Spekulationen gegeben, die Notenbank könnte ihre erst im März gestarteten Wertpapierkäufe früher als geplant einstellen oder in geringerem Umfang durchführen. Auslöser waren auch Äußerungen des Luxemburger EZB-Direktors Yves Mersch, der diese Möglichkeit grundsätzlich angedeutet hatte. Draghi widersprach: "Wir sind überrascht darüber, wieviel Aufmerksamkeit ein mögliches früheres Aussteigen nur einen Monat nach dem Beginn des Programms bekommt." Ein Marathonläufer denke ja auch nicht schon nach einem Kilometer darüber nach, den Lauf nicht zu Ende zu bringen, so Draghi.

ERHOLUNG DÜRFTE SICH VERSTÄRKEN

Zugleich ist Draghi sicher, dass die Geldschwemme Wirkung zeigt. Die Bedingungen an den Finanzmärkten hätten sich gebessert, die Kreditkosten für Unternehmen und Privathaushalte seien gefallen. Auch die Kreditnachfrage habe sich erholt. Umfrageergebnisse deuteten zudem darauf hin, dass sich die Euroraum-Konjunktur bessere. Die Erholung dürfte sich verstärkt fortsetzen, erwartet Draghi. Hierzu trügen vor allem die gefallenen Ölpreise und die lockere Geldpolitik bei. Die Abwärtsgefahren für den Wachstumsausblick seien geringer geworden - auch wenn sie weiter bestünden.

Die Voraussetzung für eine langfristige konjunkturelle Erholung sei eine vollständige Umsetzung des Programms. Das Anleiheprogramm habe quasi dreifach gewirkt. Die Erwartungen, die Ankündigung und die Vorstellung der Ausgestaltung des Programms hätten sich an den Märkten bemerkbar gemacht. Daher wäre es ein Fehler den Zeitrahmen für das Programm zu ändern. Für eine langfristige Fortsetzung des Wirtschaftswachstum seien hingegen Strukturreformen entscheidend, so Draghi.

EINLAGENSATZ SOLL NICHT GESENKT WERDEN

Einige Finanzmarktexperten befürchteten zuletzt, dass Staatsanleihen an den Märkten knapp werden könnten. Diese Sorgen hält Draghi jedoch für "verfrüht". Man habe auch nicht die Absicht, den Einlagensatz weiter zu senken. Der Einlagensatz liegt derzeit bei minus 0,2 Prozent und die EZB kauft keine Anleihen mit noch niedrigerer Verzinsung. Zuletzt drehten immer mehr Anleihen an den Märkten in den negativen Renditebereich.

"Das sich Draghi hier beim Einlagensatz so festgelegt hat, zeigt wie optimistisch die Notenbank ist", sagte Michael Schubert, EZB-Experte bei der Commerzbank. Dies sei ein starkes Signal und erkläre auch die vorübergehenden Kursgewinne des Euro. Allerdings teilt die Commerzbank den Konjunkturoptimismus der EZB nicht ganz. Insbesondere im Jahr 2016 könnte sich die Konjunktur schwächer entwickeln als von Draghi vorhergesagt. "Das Kaufprogramm der EZB dürfte also eher länger laufen, als bisher vorgesehen."

EURO GIBT GEWINNE RASCH WIEDER AB

"Mario Draghi feiert sich selbst", kommentierte Thomas Gitzel von der VP Bank in Liechtenstein die Aussagen. Tatsächlich habe sich der Konjunkturausblick verbessert. Das Grundproblem der Eurozone bestehe weiter. "Die einzig handlungsfähige Institution innerhalb des Währungsraumes bleibt die EZB", so Gitzel. Eine Reihe von Staaten würden sich weiter zu sehr ausruhen. Hier sei vor allem Frankreich zu nennen.

Der Eurokurs kletterte zeitweise deutlich auf 1,0674 Dollar. Diese Gewinne gab er jedoch zuletzt komplett ab und fiel unter die Marke von 1,06 Dollar. An den Anleihe- und Aktienmärkten spielten die Draghi-Aussagen kaum eine Rolle.

'ANGRIFF AUF DRAGHI'

Zu Beginn der Sitzung sorgte eine Aktivistin für Aufregung. Die junge Frau sprang aufs Podium, bewarf Draghi mit Flugblättern und Konfetti und rief laut auf Englisch "Stoppt die EZB-Diktatur". Auf ihrem schwarzen T-Shirt prangte die vulgäre englische Aufschrift: "End the ECB Dick-Tatorship". Die aus der Ukraine stammende Gruppe Femen zeigte sich bei Twitter für den Zwischenfall verantwortlich. Sie kämpft - meist mit nackten Brüsten - immer wieder für Frauenrechte und gegen Sexismus.

EZB-Präsident Mario Draghi wurde umgehend von Personenschützern aus dem Raum geführt. Die Frau wurde festgehalten und abgeführt. Nach einer kurzen Unterbrechung setzte Draghi seine Ausführungen zu den Entscheidungen des EZB-Rats fort.

Die Gruppe Femen hatte zuletzt den früheren IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn vor seiner Vernehmung im Prozess um Sex-Partys im Februar in Lille mit einem Oben-ohne-Protest empfangen. 2013 hatte eine Frau barbusig eine Weihnachtsmesse im Kölner Dom gestört: Sie war - nur mit einem Slip bekleidet und mit der Aufschrift "I am god" (Ich bin Gott) auf den Brüsten - auf den Altar gesprungen. Auf der Hannover Messe 2013 hatten die Frauenrechtlerinnen halbnackt gegen den russischen Präsidenten Putin protestiert./hqs/ben/DP/jkr

FRANKFURT (dpa-AFX)

Bildquellen: ZVG, Andreas Böttcher/ECB