Konjunktur-Aussichten: Gedämpfte Euphorie
Angesichts der Schuldenkrise schätzen die Volkswirte die Konjunkturaussichten für Deutschland etwas vorsichtiger ein und rechnen mit einer leichten Abkühlung.
von Thomas Schmidtutz, Euro am Sonntag
Deutschlands führende Volkswirte rechnen in den kommenden Monaten mit einer leichten Abkühlung der Konjunktur. Das geht aus dem aktuellen Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag und dem Nachrichtensender n-tv hervor. Danach sank der Wert für die erwartete wirtschaftliche Entwicklung auf Sicht von zwölf Monaten um 6,5 Prozent auf 70,2 Punkte. Die Einschätzung der gegenwärtigen Lage blieb dagegen mit 74,4 Punkten im Vergleich zum Vormonat stabil.
Die Vorsicht gegenüber der weiteren Konjunkturentwicklung spiegelt die Sorge um die Schuldenkrise in Europa und den USA wider. In Washington treten die Verhandlungen zwischen Präsident Obama und führenden Republikanern über eine Anhebung der Verschuldungsgrenze von bislang 14,3 Billionen Dollar auf der Stelle. Falls bis zum 2. August keine Einigung erzielt wird, sind die USA zahlungsunfähig. Auch in Europa spitzt sich die Schuldenkrise weiter zu. Zuletzt konzentrierten sich die Märkte auf das hoch verschuldete Italien. Zudem hatten Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit von Irland und Griechenland herabgestuft. Dies führte zu einer erneuten Diskussion um die Rolle der Ratingagenturen. So erklärte Finanzminister Wolfgang Schäuble, das Oligopol der Ratingagenturen müsse gebrochen werden. Zuvor hatte sich bereits das EU-Parlament für die Gründung einer europäischen Ratingagentur ausgesprochen.
Der Vorschlag trifft auch unter Ökonomen auf Zustimmung. So halten 60 Prozent der Volkswirte die Gründung eines europäischen Wettbewerbers für sinnvoll. 31 Prozent lehnen dies allerdings ab. „Konkurrenz belebt das Geschäft“, erklärte etwa Dirk Schlotböller vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Andere Fachleute wie Professor Helmut Wagner von der Fern-Uni Hagen oder Professor Stephan Klasen von der Uni Göttingen äußerten sich ähnlich.
Allerdings warnten zahlreiche Experten vor überzogenen Erwartungen. „Auch wenn der Überbringer sich ändert, die Nachricht bleibt die gleiche“, erklärte etwa Professor Wilhelmus Spanjers von der Uni Freiburg. Professor Karlhans Sauernheimer von der Uni Mainz vermutet andere Beweggründe hinter den Vorstellungen. Dass die Forderung im gegenwärtigen Umfeld erhoben wird, lege die Vermutung nahe, „dass es den Propagandisten nicht mehr um mehr Wettbewerb geht, sondern um eine Relativierung der Bewertung europäischer Schuldnerstaaten, weil deren Ergebnisse den Schuldenfreunden und Bürgschaftsspendern Europas unangenehm“ seien.
Unterdessen stößt das Modell für eine radikale Steuervereinfachung des bekannten Steuerexperten Paul Kirchhof unter Ökonomen auf breite Unterstützung. Immerhin 76 Prozent halten eine grundlegende Reform für überfällig, 16 sprachen sich dagegen aus. Nach dem von Kirchhof unlängst vorgestellten Modell werden Abertausende Steuerrechtsvorschriften künftig in 146 Paragrafen zusammengefasst. Für die Einkommensteuer sieht Kirchhof etwa einen pauschalen Steuersatz von 25 Prozent vor. Alle Ausnahmetatbestände würden gestrichen.
Die Kommentare der Volkswirte finden Sie hier! (PDF)
Experten halten eine radikale Steuervereinfachung für überfällig. „Das derzeitige Steuerrecht ist unsystematisch, intransparent und ungerecht“, erinnerte der frühere Vorsitzende des Sachverständigenrats, Juergen B. Donges. Es verschaffe demjenigen Vorteile, „der sich den tüchtigsten Steuerberater leisten kann“. Professor Fred Wagner von der Uni Leipzig sagte, eine grundlegende Neugestaltung böte nicht nur deutlich reduzierte „Administrationskosten, sondern auch mehr Leistungsanreize“.
An eine tatsächliche Umsetzung einer radikalen Steuerreform glauben aber nur zwei Prozent der befragten Experten, 89 Prozent halten ein solches Projekt langfristig für illusorisch: „Es gibt keine Krise, die einen solch radikalen Wechsel durchsetzbar machen könnte“, sagte Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank. „Das Konzept ist politisch nicht umsetzbar“, glaubt auch Professor Günter Franke von der Uni Konstanz. Zudem fehle es am nötigen „politischen Mut“, so Professor Roland Döhrn vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen.
Für das Ökonomen-Barometer wurden vom 6. bis 13. Juli über 600 Volkswirte in Banken, Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsverbänden befragt.