Kein Raum für Steuersenkungen
Deutschlands führende Ökonomen begegnen Steuerplänen von Union und FDP mit Skepsis – Mehrheit sieht noch kein Ende der Finanzkrise.
von Thomas Schmidtutz, €uro am Sonntag
Deutschlands führende Volkswirte stehen möglichen Steuersenkungen der künftigen Bundesregierung skeptisch gegenüber. Das geht aus dem aktuellen Ökonomen-Barometer Oktober von €uro am Sonntag und dem Nachrichtensender n-tv hervor. Danach sehen 61 Prozent der Befragten angesichts der drastisch steigenden Neuverschuldung des Bundes keinen Spielraum für einen solchen Schritt. 37 Prozent halten eine Entlastung dagegen für möglich.
Die FDP dringt in den laufenden Koalitionsverhandlungen mit der Union auf eine spürbare Senkung der Steuerlast. Nach FDP-Berechnungen würden Vorhaben wie die Einführung einer Stufensteuer und die Erhöhung des Kinderfreibetrags zu einer Steuerentlastung von 35 Milliarden Euro führen. Die Union sieht inzwischen Raum für 20 Milliarden Euro. Doch Volkswirte sind skeptisch: „Wie soll eine Steuerentlastung bei der gegenwärtig steigenden Neuverschuldung aussehen?“, fragt Professor Spiridon Paraskewopoulos von der Uni Leipzig. „Der finanzielle Spielraum für eine massive Kürzung der Staatsausgaben, ohne die politische und soziale Stabilität zu gefährden, ist sehr gering.“
Erst am Donnerstag hatte die Vorstellung des Herbstgutachtens der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute neue Begehrlichkeiten geweckt: Es eröffne sich „der eine oder andere Spielraum“, sagte der amtierende Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) mit Blick auf die Prognose. Danach erwarten die Wirtschaftsforscher für das kommende Jahr nun ein Wachstum von 1,2 Prozent. Zuletzt waren sie für 2010 von einem Minus von 0,5 Prozent ausgegangen. Dagegen meint die Mehrheit der Ökonomen, Freiräume ergäben sich allenfalls, wenn die künftige Bundesregierung sich im Gegenzug für Steuersenkungen zu Kürzungen von Ausgaben und Steuersubventionen durchringen könnte, sagt etwa Professor Lars Feld von der Uni Heidelberg. So könne man Ausgaben für erneuerbare Energien zurücknehmen oder an Einschnitte im Sozialbudget denken.
Mit Blick auf die schwerste Finanzkrise seit 90 Jahren sehen 74 Prozent der Ökonomen noch keinen Anlass für Entwarnung. 20 Prozent meinten hingegen, die Finanzkrise sei vorüber. „Die Finanzkrise ist weit weniger akut, aber noch nicht vorbei“, erklärte Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Bank of America. Zur Begründung für ihre Skepsis verwiesen viele Ökonomen auf möglichen Abschreibungsbedarf bei vielen Banken. Der sei „noch erheblich“, glaubt Professor Oliver Landmann von der Uni Freiburg. Zudem drohten „hohe Zahlungsausfälle im Kreditkartengeschäft, die Kreditvergabe der Banken an Wirtschaft und private Haushalte stottert“, so Professor Juergen B. Donges, Emeritus von der Uni Köln.
Zuletzt hatten mehrere große US-Banken Staatshilfen zurückgezahlt. Zudem können sich zahlreiche große Banken wieder über Kapitalerhöhungen finanzieren. Dies hatte bei Investoren die Hoffnung genährt, die Finanzkrise könnte vorüber sein.
Pläne der FDP, Hartz IV durch ein Bürgergeld abzulösen, trafen dagegen auf Zustimmung. 54 Prozent begrüßten die Überlegungen, 35 Prozent lehnen sie ab. Eine Überführung von Hartz IV und anderer Sozialleistungen wie Wohngeld in ein Bürgergeld „wäre eine echte Bürokratieentlastung“, erklärte Professor Ulrich Blum vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).
Auch Stefan Kooths vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sagte, eine Zusammenführung diverser Einzelleistungen „wäre sehr zu begrüßen“. Neben weniger Bürokratieaufwand und geringerer Missbrauchsanfälligkeit entspreche ein solches System „eher der Vorstellung mündiger Staatsbürger als ein paternalistisches Vorgehen, bei dem Bürokraten vorschreiben, wofür welche Transfers verwendet werden dürfen“. Dagegen warnte Professor Lutz Arnold von der Uni Regensburg vor abrupten Kurswechseln. Man sollte nicht „jede mühsame Reform nach zu kurzer Probezeit schon wieder rereformieren“.
Unterdessen setzt sich die Erholung des Ökonomen-Barometers ungebremst fort. So stieg die Einschätzung der aktuellen Lage um 15 Prozent auf 32 Punkte. Der Erwartungswert legte um fünf Prozent auf 33 Punkte zu. Dies war jeweils der vierte Anstieg in Folge. Für das Ökonomen-Barometer wurden vom 6. bis zum 15. Oktober über 300 Volkswirte in Banken, Universitäten, Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsverbänden befragt.