Japan-Katastrophe dämpft Konjunkturoptimismus
Angesichts der Situation in Japan ist die Mehrheit der Ökonomen für einen schnelleren Atomausstieg in Deutschland.
von Thomas Schmidtutz, Euro am Sonntag
Deutschlands führende Volkswirte sehen wegen der Katastrophe in Japan die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland mit größerer Vorsicht. Das geht aus einer Auswertung des Ökonomen-Barometers von €uro am Sonntag und dem Nachrichtensender n-tv für den Monat März hervor.
Danach lag der Prognosefaktor der seit dem vergangenen Wochenende eingegangenen Antworten bei 69 Punkten. Vor dem schweren Erdbeben am Freitag hatte die gewichtete Erwartungskomponente noch bei 75 Punkten gelegen. Insgesamt ist der Erwartungswert damit im März gegenüber dem Vormonat um 10,8 Prozent auf 73 Punkte gesunken. Einen solch starken Rückgang hatte es im Ökonomen-Barometer zuletzt im März 2009 gegeben. Trotz dieses Dämpfers liegt die Erwartungskomponente jedoch weiter deutlich über der Marke von 50 Punkten, was eine wirtschaftliche Belebung signalisiert.
Die Einschätzung der aktuellen Lage blieb dagegen vor und nach Ausbruch der Katastrophe erwartungsgemäß nahezu unverändert. Unter dem Strich sank der Wert im März lediglich um 2,2 Prozent auf 73 Punkte.
Die Ostküste Japans war am 11. März von einem verheerenden Erdbeben und einem Tsunami getroffen worden. Dazu kämpft das Land im Atomkraftwerk Fukushima verzweifelt gegen einen atomaren GAU. Viele Unternehmen haben inzwischen ihre Produktion ganz oder teilweise eingestellt. Experten befürchten, dass bei einem längeren Ausfall wichtiger Lieferanten in Japan auch die Produktion in anderen Ländern beeinträchtigt werden könnte.
Ungeachtet der schweren Schäden in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt sehen die befragten Ökonomen derzeit keine schwerwiegenden Folgen für die Weltkonjunktur. Immerhin 91 Prozent der Volkswirte sagten, sie erwarten keinen Rückfall in eine weltweite Rezession, sechs Prozent bejahten diese Frage. Die Entwicklung in Japan werde „dort zwar über Jahre hinweg negative Auswirkungen haben“, sagte etwa Prof. Olaf Hübler von der Uni Hannover. Damit ergäben sich auch für die Weltwirtschaft „kurzfristig negative Konsequenzen aufgrund von Lieferengpässen japanischer Produkte“. Insgesamt sei die Weltwirtschaft und inbesondere die deutsche Volkswirtschaft jedoch auf einem „positiven Entwicklungspfad“.
Auch Elke Agatha Muchlinski von der Freien Universität (FU) Berlin hält eine globale Rezession für „unwahrscheinlich“, vorausgesetzt, „dass die Atomkatastrophe in ihrem schlimmsten Umfang verhindert werden kann und die Aufräumarbeiten danach umso kontinuierlicher sind“. Der frühere Vorsitzende des Sachverständigenrats, Prof. Juergen Donges, sagte, in Japan werde die Produktion zunächst zurückgehen. Nach der Intervention der Japanischen Zentralbank seien nun – ähnlich wie nach dem Erdbeben in Kobe von 1995 – „große staatliche Wiederaufbauprogramme“ zu erwarten. Dies werde die japanische Wirtschaft stabilisieren. „Für die Weltkonjunktur gäbe es unter diesen Umständen allenfalls eine Wachstumsdelle“, sagte der frühere Wirtschaftsweise unter Verweis auf Japans Anteil am Welthandel von rund vier Prozent.
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Unterdessen hat die Kernenergie angesichts der Entwicklung in Fukushima auch innerhalb der Ökonomen drastisch an Akzeptanz eingebüßt. Danach halten inzwischen 62 Prozent der Ökonomen ein Ende der Atomkraft bis zum Jahr 2021 für richtig. 29 Prozent plädieren hingegen dafür, die deutschen Atomkraftwerke – wie vom Bundestag beschlossen – deutlich länger laufen zu lassen. Damit hat sich das Verhältnis seit dem vergangenen Sommer praktisch umgedreht. Noch im Juli 2010 hatten 66 Prozent der Volkswirte Pläne für eine Laufzeitverlängerung der deutschen Atommeiler begrüßt, lediglich 23 Prozent waren dagegen.
Die Bundesregierung hatte am Dienstag einen überraschenden Richtungswechsel in ihrer Energie- und Umweltpolitik vollzogen und die geplante Laufzeitverlängerung für drei Monate ausgesetzt. Zudem sollen sieben Kernkraftwerke endgültig abgeschaltet werden. Erst im Oktober hatte die schwarz-gelbe Regierungsmehrheit gegen heftigen Widerstand der Opposition längere Laufzeiten für die Atomkraftwerke durchgesetzt. Im Durchschnitt können die Anlagen zwölf Jahre länger am Netz bleiben als nach dem Ausstiegsbeschluss von Rot-Grün aus dem Jahr 2000. Danach wären die letzten Meiler 2021 vom Netz gegangen. Nach der jüngsten Gesetzeslage wäre erst 2035 endgültig Schluss gewesen. Nun sollen die Anlagen wohl doch deutlich früher vom Netz.
Die Mehrheit der Ökonomen hält diese Kehrtwende für richtig. Die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls sei zwar „sehr klein“, der potenzielle Schaden aber „riesig“, sagte Prof. Dominik Maltritz von der Uni Erfurt. Dies sei „nicht zu verantworten“. Zudem lasse auch der ursprüngliche Fahrplan zum Atomausstieg den Unternehmen „einen ausreichenden Zeit- und Planungshorizont, um den Wegfall der AKW-Kapazitäten durch den Aufbau neuer Kapazitäten zu kompensieren“, erklärte Prof. Karen Pittel, Bereichsleiterin Energie, Umwelt und erschöpfbare Ressourcen am Ifo-Institut in München.
Demgegenüber weisen die Befürworter einer Laufzeitverlängerung darauf hin, dass sich an der Sicherheitslage in Deutschland nichts geändert habe. Durch den GAU in Japan habe sich „das Sicherheitsniveau der deutschen Kernkraftwerke nicht verschlechtert“, sagte Prof. Donges. Auch Prof. Hans Jürgen Schlösser von der Uni Siegen sagte, es gebe „keine neuen Erkenntnisse, die eine grundlegende Revision der Energiepolitik rechtfertigen würden“. Ein Moratorium könne aber sinnvoll sein, bis die Vorgänge geklärt seien.
Für das Ökonomen-Barometer wurden vom 7. bis zum 17. März insgesamt 650 Volkswirte in Banken, Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsverbänden befragt.