Stehen die Zeichen jetzt auf Crash oder Erholung, Dirk Müller?
Dirk Müller alias Mr. DAX spricht im Interview über Chancen und Risiken an den Aktienmärkten sowie über die Fed-Politik und Gold.
von Benjamin Summa
Herr Müller, der DAX liegt derzeit knapp 15 Prozent unter dem Allzeithoch vom April vergangenen Jahres, im Februar waren es sogar 30 Prozent. Sind wir aus Ihrer Sicht eigentlich noch in einem Bullenmarkt?
Dirk Müller: Es entscheidet sich gerade, ob wir noch in einem intakten Bullenmarkt sind. War das in den vergangenen Wochen ein gesunder Rücksetzer, von dem aus eine Beschleunigung nach oben stattfindet oder fallen wir in den Abwärtstrend vom Jahresanfang zurück? Ganz entscheidend ist hier natürlich die künftige Notenbankpolitik in den USA.
Wie interpretieren Sie die Rede von Janet Yellen in Jackson Hole vom vergangenen Freitag?
Janet Yellen verschärfte das Wording in Richtung einer bevorstehenden Zinserhöhung mit dem Hinweis auf eine gute Entwicklung bei der Beschäftigung und den guten Wirtschaftszustand. Außer den Marketingexperten der Fed scheint diese angebliche Wirtschaftsstärke jedoch kaum jemand zu spüren.
Fakt ist: Es hat bisher nicht funktioniert, mit dem vielen billigen Geld die Wirtschaft anzukurbeln. Im Gegenteil: Die harten Wirtschaftsdaten in den USA sehen ziemlich übel aus. Die Kerninflationsrate steigt an, die Wirtschaftsleistung aber nicht. Momentan liegt die Inflation bei zwei Prozent; wenn die Bremsung durch die niedrigen Ölpreise irgendwann nicht mehr da ist, könnte diese bis auf drei Prozent ansteigen - und das bei rückläufiger Wirtschaft. Spätestens dann muss über das Thema "Stagflation" gesprochen werden. Das hieße, dass die Wirtschaft schrumpft, aber die Preise gleichzeitig deutlich anziehen. Eine Verarmung der Bevölkerung wäre die Folge.
Wo sehen Sie Chancen, wo Risiken für die Aktienmärkte?
Die Chance für die Aktienmärkte ist natürlich, dass die Notenbanken ihre Politik des billigen Geldes beibehalten - vielleicht fangen auch Fed und EZB an, Aktien aufzukaufen, weil Anleihen nicht mehr ausreichen. Die Schweizer Notenbank und die Japaner machen das bereits. Das könnte natürlich einen Boom bei den Aktien auslösen. Das Risiko ist, dass sich das schwache Wirtschaftswachstum fortsetzt, die Zinsen aufgrund steigender Inflation angehoben werden und die Notenbanken eben keine Aktien aufkaufen. Dann kann es auch schmerzhaft nach unten gehen.
Die Kritik an der lockeren Geldpolitik der EZB wird vehementer. Kürzlich hat der Wirtschaftsweise Volker Wieland die Linie von Mario Draghi scharf kritisiert. Die Währungshüter seien "mehr und mehr Teil des Problems". Sehen Sie das ähnlich?
Die Aktien haben stark von der EZB-Politik profitiert. Aber der Bankensektor leidet unter der zunehmenden Regulierung und der niedrigen Zinsen, keine Frage. Momentan steht Deutschland konjunkturell gut da - aber den Banken hierzulande geht es trotzdem schlecht. Da kann man sich ausmalen, was los sein wird, wenn die Konjunktur in Deutschland rückläufig wird.
Der Investor George Soros nimmt jetzt die Wall Street ins Visier und wettet fast eine Milliarde Dollar auf einen Crash. Können Sie diese Strategie nachvollziehen?
Soros setzt eine Milliarde auf fallende Kurse, das sind nur vier Prozent seines Anlagevermögens. Das ist aus meiner Sicht nichts anderes als eine Absicherungsposition. Hätte er wirklich eine klare Meinung, würde er 40 oder 50 Prozent seines Anlagevermögens auf einen Crash setzen. Das Ganze ist eine Medienstory, mehr nicht.
Welcher Markt ist Ihrer Ansicht nach momentan der attraktivere: der europäische oder der amerikanische?
Für mich sind die amerikanischen Aktienmärkte eindeutig die interessanteren, weil die großen Investoren ganz einfach von dort kommen und eigene Aktien bevorzugen. Auch die Schweizer Notenbank kauft 60 Prozent ihrer Anlagen am US-Aktienmarkt. Die amerikanischen Unternehmen haben aber auch schlichtweg die besseren Rahmenbedingungen. Sie bekommen im internationalen Wettbewerb starke Unterstützung durch die US-Regierung. Aktuelles Beispiel: Die EU-Kommission könnte bald hohe Steuernachzahlungen von amerikanischen Unternehmen einfordern. Das will Washington jedoch mit aller Macht verhindern. Amerikanische Firmen werden immer ihre Vorteile gegenüber Konkurrenten aus Übersee ausspielen. Deswegen sehen deren Bilanzen auch besser aus.
Italien droht eine Wirtschaftskrise, die die gesamte Eurozone mitreißen könnte. Wie schätzen Sie diese Gefahr ein?
Im Vergleich zu Japan und den USA hat Europa viele sinnvolle Reformen durchgeführt. Dennoch sehen wir in Europa insgesamt ein schwaches Wachstum. Die italienische Wirtschaft ist in einem besorgniserregenden Zustand, aber die EZB und die italienische Notenbank werden auch hier alles tun, um Schlimmeres zu verhindern. Die Banken werden ihr Kapital aufstocken, indem sie ihre Schulden mit Abschlägen - getauscht in Aktien - an große Investoren verkaufen. Dann könnte es zum großen Ausverkauf der europäischen Banken kommen.
Die Brexit-Delle konnten die Aktienmärkte relativ schnell wieder ausbügeln. Ist bei diesem Thema das Schlimmste schon überstanden?
Viele haben den Weltuntergang kommen sehen, wenn sich die Briten für den Brexit entscheiden sollten. Ich habe nicht zu diesen Menschen gehört. Das einzige Problem wird sein, dass bisher noch nicht klar ist, wie dieser Exit-Prozess tatsächlich vonstattengehen wird. Investoren wissen beispielsweise nicht konkret, welchen Rechtsraum sie in zwei Jahren vorfinden werden. Das ist eine Wackelpartie, aber sicherlich kein Weltuntergang.
Die Ölpreise sind kürzlich wegen Spekulationen auf eine Drosselung der Produktion innerhalb der OPEC gestiegen. Wie wird sich der Ölpreis Ihrer Meinung nach mittelfristig entwickeln?
Die Öl exportierenden Länder können es sich überhaupt nicht leisten, die Produktion zu drosseln. Die Haushaltsdefizite der arabischen Staaten sind dramatisch. Diese brauchen dringend Cashflow, da zählt jedes verkaufte Barrel. Die OPEC-Länder waren sich schon in der Vergangenheit in dieser Frage nie einig, sie werden es auch dieses Mal nicht sein. Ich sehe den Ölpreis also auch weiterhin unter Druck; es sei denn, wir bekommen einen militärischen Konflikt. Es spricht nichts für steigende Ölpreise : Wir haben weder eine anziehende Weltkonjunktur noch eine Ölknappheit. Gerade erst hat der Irak angekündigt, die Produktion auszudehnen, mit einem einzigen Limit : der technischen Machbarkeit.
Gold hat wieder Auftrieb bekommen. Wie schätzen Sie die Krisenwährung momentan ein?
Gold hat den Ausbruch nach oben grundsätzlich erst einmal geschafft. Der aktuelle kleine Rücksetzer ist wunderbar, das verhindert eine Überhitzung. Ich kann mich da nur immer wiederholen: Ich sehe für Gold eine goldene Zukunft.
Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.
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Bildquellen: Dirk Müller