Thomas Mayer: "Sehe Horror-Szenario für deutsche Sparer"
Der Chef der Denkfabrik von Flossbach von Storch und ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank spricht über Chancen und Risiken für die Aktienmärkte, die Politik der Notenbanken und über Gold.
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von Benjamin Summa
Herr Prof. Mayer, das Schlussquartal - traditionell eine lukrative Zeit für DAX-Anleger - läuft auch in diesem Jahr ordentlich, der starke Einbruch vom Spätsommer liegt aber erst wenige Wochen zurück. Müssen sich die Anleger an eine derart hohe Volatilität gewöhnen?
Thomas Mayer: Ja, wir müssen uns daran gewöhnen, dass die Volatilität stark angestiegen ist und wahrscheinlich weiterhin hoch bleiben wird. Rückschläge wie die im Spätsommer wird es immer wieder geben. Damals gab es Befürchtungen, dass sich die chinesische Wirtschaft stärker abkühlen könnte, als man das für möglich gehalten hatte - die Abwertung des Renminbis beförderte diese Spekulation. Solche Verunsicherungen schlagen im gegenwärtig unsicheren Marktumfeld voll durch. Hinzu kommt, dass es wieder sehr populär geworden ist, Fonds-Strategien zu verfolgen, die die Volatilität reduzieren; diese Fonds verkaufen in einem negativen Marktumfeld. Das ist dann ein sich selbst verstärkender Effekt.
Welche Chancen und welche Risiken machen Sie in den kommenden Monaten für die Finanzmärkte aus?
Die Debatte um China hat sich wieder beruhigt. Unstreitig ist, dass sich das Wirtschaftswachstum dort deutlich abgeschwächt hat, aber nach Meinung der Mehrheit der Investoren steht nicht zu befürchten, dass wir dort den großen Kollaps sehen werden.
Jetzt richtet sich die Aufmerksamkeit wieder voll auf die erwartete Doppelaktion der EZB und der Fed. Von der Europäischen Zentralbank erwartet man sich eine weitere Ausweitung des Anleihekaufprogramms und eine Absenkung des Einlagezinses. Und von der US-Notenbank erwartet der Markt eine moderate Zinsanhebung, die nicht zu Spekulationen über schnell weiter steigende Zinsen führt. Wenn dies alles so kommt, dann wird sich der Markt zum Jahresende sehr freundlich zeigen.
Das große Risiko ist, dass es hier zu Überraschungen kommen könnte, wenn Mario Draghi beispielsweise, nachdem er die Erwartungen geschürt hat, nicht liefern kann oder wenn die Fed die Zinsanhebung unerwartet mit Kommentaren und Hinweisen begleitet, die darauf hindeuten, dass es nach dem Zinsschritt schnell mit weiteren Anhebungen weitergeht - das sind die zwei großen Abwärtsrisiken.
Sie haben es angesprochen: Mario Draghi hat kürzlich angekündigt, dass die EZB bei ihrer Dezembersitzung eine mögliche Ausweitung der Anleihenkäufe überlegen könnte. Über dieses sogenannte Quantitative Easing werden 60 Milliarden Euro pro Monat in den Markt gepumpt. Können Sie bitte einschätzen, welche Wirkung dieses Programm bisher entfaltet hat?
Mario Draghi hat auf dem Europäischen Bankenkongress kürzlich noch mal unterstrichen, dass das Programm seiner Meinung nach eine gute Wirkung entfalte. Ich persönlich glaube, dass es für eine abschließende Beurteilung zu früh ist, da sich Geldpolitik immer erst mit einiger Verzögerung auswirkt. Wenn man aber nach Japan schaut, wo ein ähnliches Programm bereits zwei Jahre früher begonnen hat, erlebt man eine große Enttäuschung: Die japanische Wirtschaft ist in die technische Rezession zurückgefallen, die Quartalszahlen weisen negative Wachstumsraten aus und die Inflation liegt weiterhin bei Null. Auch die Fed hat es nicht geschafft, die Wachstumsrate der US-Wirtschaft nachhaltig zu beschleunigen - diese schwankt weiterhin um die zwei Prozent. Die Vorbilder, die Mario Draghi sich ausgesucht hat, sind also nicht besonders gut.
Den meisten dürfte mittlerweile klar sein, dass wir uns in einem Dilemma befinden, wenn wir Staatsschulden weiterhin mit der Druckerpresse der Notenbanken bekämpfen wollen. Wie könnte dieser Teufelskreislauf Ihrer Meinung nach unterbrochen werden?
Die geldpolitische Strategie der Zentralbanken hat uns diese Probleme eingebrockt. Deshalb müsste man hier ansetzen. Im Verlauf der 1990er Jahre haben die Zentralbanken begonnen, Inflationsziele zu verfolgen - und das in einer Welt, in der die Inflation durch technischen Fortschritt und größerer Handelsintegration strukturell gedrückt war. Die Geldpolitik wurde extrem locker gehalten, Vermögenspreisinflation wurde produziert - diese Politik war die Vorlage für die Finanzkrise. Danach hatten wir eine Zeit lang Vermögenspreis-Deflation. Die Zentralbanken haben das Risiko, dass die Vermögenspreis-Deflation in eine Konsumentenpreis-Deflation umschlägt, wieder mit expansiver Geldpolitik bekämpft. Die Inflationsziele wurden weiterhin verfolgt. Dies hat dazu geführt, dass die Zentralbanken zum größten Käufer von Staatsanleihen geworden sind. Die Bank of Japan besitzt beispielsweise ein Drittel der ausstehenden japanischen Staatsschuld. In einem solchen Umfeld, in dem die Zentralbanken Geld drucken, um Staatsanleihen zu kaufen, gibt es keine wirklichen Anreize für Staaten, ihre Finanzen in Ordnung zu bringen. Wir sehen hier eine Art unglückliche Symbiose. Wenn jetzt die Inflation unkontrollierbar zurückkommt, weil der technische Fortschritt möglicherweise nicht mehr so produktivitätssteigernd ist oder weil die Rohstoffpreise wieder steigen und die Arbeitsmärkte weniger flexibel werden, dann stehen die Zentralbanken ziemlich machtlos da. Denn dann wird sich die Frage stellen, ob sie die Zinsen erhöhen können, um die Inflation zu bekämpfen. Die Antwort wird sein: Nein, denn die Staaten werden so hoch verschuldet sein, dass höhere Zinsen nicht möglich wären. Ich fürchte, dass es vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Notenbankpolitiken keine wirkliche Exit-Strategie gibt. Das Unglück scheint vorprogrammiert zu sein.
Wagen wir einen Blick auf die Weltwirtschaft. Die Schwellenländer haben anscheinend für die globale Konjunktur als Wachstumstreiber ausgedient. Wie fällt Ihr Ausblick für das kommende Jahr aus?
Die Schwellenländer fallen in der Tat als Stützpfeiler der Weltwirtschaft weg. Hier wird es insgesamt nur noch ein moderates Wachstum geben. Der IWF erwartet eine leichte Beschleunigung von 4,5 Prozent; ich sehe aber nicht, woher diese Beschleunigung kommen könnte. Die Industrieländer dürften in diesem Jahr durchschnittlich um zwei Prozent gewachsen sein. Auch sieht der IWF eine Beschleunigung auf 2,25 Prozent. Aber auch hier würde ich ein Fragezeichen dahintersetzen. Das bedeutet, dass sich das globale Wachstum im kommenden Jahr ungefähr auf dem Niveau des laufenden Jahres abspielen wird. Drei Prozent wären denkbar. Das heißt aber auch, dass sich die Situation für die Rohstoffproduzenten nicht verbessern wird. Die Rohstoffpreise sind zum Teil stark gefallen, weil die Schwellenländer mäßig wachsen und weniger Rohstoffe nachfragen.
Derzeit haben wir in Deutschland mehrere Problembranchen: Die Banken werden kaputtreguliert, die Versicherer leiden unter den mickrigen Zinsen, die Versorger melden vor dem Hintergrund der Energiewende einen Rekordverlust nach dem anderen und die deutsche Automobilindustrie wird durch den VW-Skandal belastet. Wie gesund ist der "Wirtschaftsstandort Deutschland" Ihrer Meinung nach?
Deutschland blickt auf eine recht positive Entwicklung seit der letzten Rezession im Anschluss an die Finanzkrise zurück. Diese Errungenschaften der Vergangenheit geben wir aber nach und nach wieder preis. Die Arbeitsmarktreformen unter der Ägide von Gerhard Schröder werden schrittweise wieder zurückgenommen, was den Arbeitsmarkt starrer und teurer macht. Auch in der Chemie- und Pharmaindustrie gibt es industriefeindliche Tendenzen. Die Forschung wird teilweise schon ins Ausland verlagert und die Chemieindustrie wandert ab, weil durch die Energiewende die Kosten zu hoch geworden sind. Und dann kommen in letzter Zeit unglückliche Skandale hinzu. Nicht nur der Bankensektor leidet nach der Finanzkrise unter Reputationsverlust, auch der Energiesektor wurde von der Energiewende auf dem falschen Fuß erwischt und arbeitet am Rande des Bankrotts entlang. Und durch den neuerlichen VW-Skandal leidet natürlich die deutsche Vorzeigeindustrie erheblich. Meiner Meinung nach ist der Wirtschaftsstandort Deutschland stark angeschlagen.
Die Zeiten, in denen zehn Prozent Jahresrendite und mehr möglich waren, sind längst vorbei. Der Begriff "Anlagenotstand" beschreibt diese Orientierungslosigkeit treffend. Was raten Sie persönlich Anlegern in diesen unsicheren Zeiten?
Wir haben jetzt schon Negativzinsen im Anleihebereich. Der Deutschen liebste Anlageprodukte sind nicht mehr Ertrag bringend, sondern kosten jetzt Geld. Das wird für die Sparer noch schlimmer werden, wenn - wie viele erwarten - die EZB den Bankeneinlagesatz weiter absenkt. Dann werden die Banken wahrscheinlich Gebühren für Sparkonten verlangen müssen. Das ist ein Horrorszenario für deutsche Sparer. Die Privatanleger müssen jetzt über ihren Schatten springen und sich endlich mit Sachwerten wie Aktien auseinandersetzen und das Risiko dieser Anlageklasse über Diversifizierung steuern. Es muss künftig eine Mischung aus kostenpflichtiger Bargeldhaltung und Ertrag bringender Aktienanlage gemacht werden.
Trotz der vielen Verwerfungen an den Märkten und der geopolitischen Probleme ist der Goldpreis nicht spürbar angestiegen. Wie ist das zu erklären, wo doch Gold stets als Krisenwährung gilt?
Ich betrachte Gold als Versicherung für den Fall des Zusammenbruchs unseres Geldsystems. Diese Versicherung wird solange nicht in Anspruch genommen, wie die Inflationsrate so niedrig ist. Wenn die Inflation steigt, dann werden die Befürchtungen, dass die Zentralbanken nicht mehr in der Lage sind, durch Zinserhöhungen die Kaufkraft des Staatsgeldes zu bewahren, dazu führen, in alternative Geldanlagen zu flüchten. Hier wird dann Gold eine große Rolle spielen. Momentan gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Kaufkraft unseres aus dem Nichts geschaffenen Geldes beeinträchtigt wäre. Es sieht so aus, als gäbe es ein Wunder der kostenlosen Staatsfinanzierung. Das kann aber natürlich auf Dauer nicht gut gehen. Sobald die Inflation wieder steigt, werden sich die Anleger an Gold erinnern.
Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.
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