Starökonom Rogoff: "Verzweifelte Notenbanker"

Deutschland muss bezahlen, um den Euro zu retten, meint Starökonom Kenneth Rogoff. Und er schlägt die Abschaffung des Bargelds vor, um die Wachstumskrise Europas zu lösen.
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€uro: Sie wollen das Bargeld abschaffen. Wozu soll das gut sein?
Kenneth Rogoff: Mir geht es darum, die großen Banknoten abzuschaffen, wie den 500-Euro-Schein. Dieser wird vor allem von Kriminellen und Steuerhinterziehern genutzt, um illegale Geschäfte zu machen oder das Geld irgendwo zu verstecken. Ihnen würde man dadurch das Leben schwer machen. Aber der wichtigere Grund für die Abschaffung: Es würde den Spielraum der Notenbanken vergrößern.
Wie meinen Sie das?
In besonders schweren Rezessionen - wie nach der Finanzkrise - müssen Notenbanken eine sehr lockere Geldpolitik verfolgen, um eine Deflation zu verhindern und das Wachstum zu fördern. Am einfachsten geht das über Zinssenkungen. Die haben aber eine natürliche Untergrenze: null Prozent. Die Notenbanken können die Leitzinsen nicht beliebig ins Negative senken. Denn wenn der negative Zins zu hoch ist und von den Geschäftsbanken weitergegeben wird, würden viele Sparer in Bargeld flüchten. Die Gefahr eines großen Ansturms auf die Banken wäre zu groß.
Sie schlagen also vor, Banknoten zu verbieten, um den Menschen negative Zinsen aufzuzwingen?
Die Idee dahinter ist ja, dass die Menschen dann ihr Geld lieber konsumieren oder in risikoreichere Anlagen wie Aktien investieren sollen - genau das ist das Ziel von lockerer Geldpolitik. Konsum und Investitionen sollen steigen und Wachstum fördern. Das wirksamste Mittel sind da normalerweise Zinssenkungen. Wenn man aber, wie die USA, die Eurozone und Japan, an der Nulllinie angekommen ist, muss man zu unkonventionellen Mitteln greifen. Ich bin absolut sicher, wenn die Notenbanker in Frankfurt, Stockholm, Tokio könnten, würden sie sofort negative Zinsen verlangen.
Bisher behilft man sich vor allem in den USA und Japan mit dem Aufkauf von Wertpapieren, also mit frisch gedrucktem Geld. Warum also nicht einfach weitermachen mit dem sogenannten Quantitative Easing?
Quantitative Easing hat in den USA bis zu einem gewissen Grad funktioniert, aber auch keine Inflation erzeugt. In Japan bleibt der positive Effekt noch aus. Negative Zinsen wären ein viel eleganterer Weg, Inflation zu erzeugen.
Andere Ökonomen fordern, die Notenbanken sollten höhere Inflationsziele von vier oder sogar sechs Prozent ausrufen, anstatt knapp zwei Prozent wie bisher. So könne man Inflationserwartungen schaffen.
Höhere Inflationsziele für klar vorherdefinierte Krisenzeiten auszurufen kann funktionieren. Ich selbst habe das den Notenbanken 2008 empfohlen. Ein ganz neues, langfristiges Ziel zu postulieren ist meines Erachtens aber ein sehr gefährlicher Weg. Die Notenbanken haben Jahrzehnte gebraucht, um die zwei Prozent im Markt zu verankern. Wenn sich Mario Draghi und Janet Yellen heute hinstellen würden und einfach ein neues Ziel von vier Prozent ausrufen würden, würde das eine Kernschmelze im globalen Finanzsystem auslösen. Die Leute wüssten überhaupt nicht mehr, was sie den Notenbanken noch glauben sollten.
Bargeldverbot und Negativzinsen - das klingt aber schon nach sehr großer Verzweiflung.
Die Notenbanker sind auch verzweifelt und greifen ja heute schon zu ungewöhnlichen Maßnahmen. Misst man meinen Vorschlag an dem, was schon versucht wurde, muss man doch
sagen, dass es ein gutes Werkzeug in der Hand der Notenbanker wäre.
Aber noch einmal: Natürlich würde er
nicht alle Probleme lösen.
Und er wäre praktisch sehr schwer umzusetzen.
Sicher. Aber was ist die Alternative? Eine echte politische Union der Mitgliedsstaaten der EU mit großen Geldtransfers, um die Eurozone zusammenzuhalten? Eine echte politische Union zwischen Frankreich und Deutschland - das wäre noch sehr viel schwerer umzusetzen, denke ich.
Glauben Sie wirklich, negative Zinsen könnten die Eurokrise beenden?
Negative Zinsen wären nur ein Baustein für die Lösung. Europa hat so viele unterschiedliche Probleme, die unterschiedliche Maßnahmen nötig machen. Man bräuchte neben negativen Zinsen auch Ausgleichszahlungen von reichen an arme Länder. Strukturelle Reformen in den Krisenländern wie Frankreich und Italien wären natürlich das Beste. Dazu wahrscheinlich Schuldenschnitte, vielleicht eine Vermögensteuer in einigen Peripheriestaaten. Aber auch höhere Staatsausgaben würden helfen - die würden die Inflationsrate steigern.
Schaffen negative Zinsen keine falschen Anreize, sodass Investoren höhere Risiken eingehen?
Sie sollen ja höhere Risiken eingehen und so Investitionen anschieben. Und das erreicht man eben mit Zinssenkungen. Es macht keinen Unterschied, ob man Zinsen von zwei auf ein Prozent oder von null auf minus ein Prozent senkt. Die Hauptaufgabe von Notenbanken ist nun mal Geldwertstabilität, die mit den Inflationsraten von rund zwei Prozent definiert ist. Momentan fehlen den Notenbankern die Mittel, um das zu tun, was sie tun müssen.
Sie reden immer davon, wie wichtig
es ist, Inflation zu erzeugen. Das dürfte vielen Menschen in Deutschland erst einmal nicht einleuchten. Was ist so gut an Inflation?
Zwei Dinge: Erstens schafft man sich mit Inflation Raum, die Reallöhne
zu senken. Wenn die Löhne langsamer steigen als die Inflation, steigert man seine Wettbewerbsfähigkeit - genau das, was viele Peripheriestaaten brauchen. Das ginge theoretisch auch mit echten, nominalen Lohnkürzungen. Aber in der Praxis sind diese kaum durchzusetzen.
Und zweitens?
Inflation hilft, Schulden abzubauen.
Das klingt nach einem Geschenk für die EU-Krisenstaaten und einem Gläubiger, der draufzahlt - Deutschland?
Richtig ist: Negative nominale Zinsen könnten auch die realen Zinsen negativ werden lassen. Das würde es Schuldnern erleichtern, sich zu entschulden. Und wenn Sie sagen, das würde zulasten Deutschlands und deutscher Sparer geschehen, sage ich ja. Aber man muss sich eingestehen: Es gibt Schulden in Europa, die nie wieder auf normalem Weg zurückbezahlt werden. Deutschland wird unter keinen Umständen aus der Eurozone sein Geld bis auf den letzten Cent zurückbekommen. Vergessen Sie es! Aber für jeden Gläubiger, der einen Schuldner hat, der nicht bezahlen kann, ist es besser, ihm zu helfen, wieder zurück ins Geschäft zu kommen.
Wir sollen auf Geld verzichten, um überhaupt noch etwas zu bekommen?
Den Euro vor der Verwirklichung einer politischen Union einzuführen war eine tragische Fehlentscheidung. Aber die Europäer haben sie getroffen. Deutschland muss einen Preis für den Erhalt des Euro bezahlen. Macht man weiter wie bisher, werden die Schulden weiter steigen und das Wachstum weiter abnehmen - und die beiden Dinge nicht mehr zusammenkommen.
Kurzvita
Kenneth Rogoff, 61, errang in jungen Jahren den Titel eines internationalen Großmeisters im Schach. Er lehrt seit Jahren an der US-Elite-Universität Harvard. Von 2001 bis 2003 war er Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds. Seine Forschungen rund um die Themen Währungsmärkte, Wachstum und Geldpolitik brachten ihm zahlreiche Auszeichnungen ein. Der Vater von zwei Kindern streitet sich gern mit Nobelpreisträgern öffentlich um ökonomische Fragen.
Das Interview führten Sabine Gusbeth und Lucas Vogel, €uro Magazin
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