Interview exklusiv

Kommt die Jahresend-Rally beim DAX, Herr Halver?

30.09.16 03:00 Uhr

Kommt die Jahresend-Rally beim DAX, Herr Halver? | finanzen.net

Der Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank spricht im Interview über die Chancen auf eine Jahresendrally, die Politik der Fed, die US-Wahlen und über Gold.

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von Benjamin Summa

Der DAX hat in den vergangenen drei Monaten knapp 14 Prozent zugelegt. Die jüngsten Kurstreiber waren die Entscheidungen der Notenbanken in den USA und Japan, an ihrer lockeren Geldpolitik festzuhalten. Wie optimistisch sind Sie für das letzte Quartal des Jahres?
Grundsätzlich bin ich optimistisch, weil das US-Zinserhöhungsthema aus meiner Sicht weitestgehend vom Tisch ist. Zwar besteht noch ein Restrisiko, dass im Dezember die Zinsen in den USA erhöht werden, aber mit Blick auf die schwache Weltkonjunktur spricht dafür momentan sehr wenig. Und selbst wenn es passiert, wird es keine Zinserhöhungsorgie wie früher geben. Die Kreditbedingungen für Staaten und Unternehmen bleiben damit einerseits attraktiv, andererseits bleiben die Zinsmärkte als ernstzunehmende Alternativen zu Aktien außen vor. Damit können auch die derzeit hohen Liquiditätsquoten, insbesondere von großen Kapitalsammelstellen und Vermögensverwaltern, nicht allzu lange gehalten werden. Denn ihre Kunden werden sich an Diät-Renditen nicht lange "erfreuen" wollen. Als Alternative zu mageren Zinsen bieten sich die nahrhafteren Dividenden an. Selbst wenn Kursschwankungen angesichts der nicht ausgestorbenen Probleme ansteigen sollten, bleiben Aktien eine langfristig attraktive Anlageklasse.

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Wie werden die US-Wahlen am 8. November die Märkte Ihrer Meinung nach beeinflussen?
Die Aktienmärkte wünschen sich ganz klar Hillary Clinton als nächste Präsidentin, nicht unbedingt aus innerster Überzeugung, sondern weil sie für Kontinuität, für überraschungslose Berechenbarkeit steht. Donald Trump hingegen steht für unberechenbare Überraschungen. Er will eine neue Weltordnung, eine Einschränkung des Welthandels und ein protektionistisches Amerika. Das wäre für Export-Nationen wie Deutschland ein GAU. Sollte Trump gewählt werden, darf man sicherlich für den Rest des Aktienjahrs 2016 nicht mehr sonderlich viel erwarten. In unserer heutigen Welt ist Abschottung aber nicht mehr möglich. Und die ultramächtigen US-Markenkonzerne würden der Trump-Administration über intensive Lobbyarbeit schnell die außenhandelspolitischen Flötentöne beibringen, würden ihre Absatzmärkte auch nur im Entferntesten geschwächt. Vieles, was von Trump im Präsidentschaftswahlkampf heiß gekocht wurde, würde in seiner Amtszeit bei Weitem nicht so heißt serviert. Ein schließlich im Vergleich zu seinem Wahlkampf ziemlich zwangsgeläuterter, zahmer Trump würde dann die Aktienmärkte längerfristig nicht mehr erschrecken.

Welcher Markt ist Ihrer Ansicht nach momentan der attraktivere: der europäische oder der amerikanische?
Für mich ist der amerikanische Markt der im Vergleich attraktivere. Zunächst sind die USA angesichts der eurosklerotischen Probleme so etwas wie ein sicherer Hafen: Die EU hat den Stabilitätspfad verlassen und für attraktive Wirtschaftsstandorte, die ja erst Unternehmensinvestitionen anziehen und damit Arbeitsplätze schaffen, tritt kaum noch jemand ein. Stabile wirtschaftspolitische Verhältnisse sind nun mal eine entscheidende Grundbedingung für Anlageentscheidungen. Amerika zeigt sich dagegen reformorientiert und will unbedingt die Herausforderungen der nächsten industriellen Revolution, der "Digitalisierung", erfolgreich bewältigen. Gegen den US-Markt sprächen nur die Wahl von Trump und deutliche Zinserhöhungen - aber im Augenblick sieht es weder nach dem einen noch dem anderen aus.

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Sie haben es angesprochen: Das Warten auf einen Kurswechsel der amerikanischen Notenbank Fed nimmt kein Ende. Noch immer gibt es keine Anzeichen für eine Erhöhung der Zinsen. Wie schädlich ist diese Politik für die US-Notenbank?
Die Fed macht riesengroße Fehler. Ihre Hü-Hott-Zinsrhetorik verunsichert die Märkte. Sie sollte endlich klar aussprechen, dass es vor dem Hintergrund der schlecht laufenden Weltkonjunktur keinen Platz für Zinserhöhungsfantasien gibt. Die Fed hat es in den guten Wirtschaftsjahren verpasst, die Zinsen zu erhöhen. Dann wäre das Thema jetzt durch und würde nicht mehr erschrecken. Jetzt sind Zinserhöhungen nur schwierig durchsetzbar und stören das nach der Immobilienkrise mühsam wieder aufgebaute Gleichgewicht in der Finanzwelt.

Die Geldschwemme der Notenbanken hat entgegen der Befürchtungen vieler Analysten und Ökonomen bisher nicht zu mehr Inflation geführt: Im August lag die Rate in der Eurozone bei 0,2 Prozent, meilenweit entfernt also vom Inflationsziel der EZB von zwei Prozent. Wie schätzen Sie die Entwicklung der Inflation mittelfristig ein?
Ich sehe trotz ultra-expansiver Geldpolitik keine Dynamik bei der Inflation, zumindest nicht bei der offiziellen Preissteigerung. Das liegt auch daran, dass das billige Geld nicht in der Konjunktur ankommt. Es fehlt der wirtschaftsfreundliche Nährboden über ordentliche Reformmaßnahmen. Einige Euro-Länder müssen aufpassen, dass sie nicht zu Industriewüsten werden. Zudem fällt der frühere Inflationstreiber "Öl" ebenfalls aus. Früher hatten wir Angst vor Inflation, heute fürchten wir uns vor Deflation - eine sonderbare Situation.

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Wie wird sich der Ölpreis Ihrer Meinung nach mittelfristig entwickeln?
Trotz der gestrigen Ankündigung, das Angebot zu verknappen: Die OPEC ist kein starker Hengst mehr wie früher, eher ein schüchterner Wallach. Die Mitgliedsländer bekämpfen sich gegenseitig. Die Saudis wollen die Förderquoten eigentlich hochhalten, damit der Preis im Keller bleibt und die Iraner die Lust an der Förderung verlieren. Ein absolutes Killerargument gegen steigende Ölpreise ist zudem die vorhandene Alternative "Fracking". Wenn der Ölpreis über 55 Dollar steigen sollte, wird Fracking gewinnseitig interessant. Dann wird unkonventionell gefördert. Und steigende Fördermengen sind Gift für steigende Ölpreise.

Die Schwellenländer waren in den vergangenen Jahren die Sorgenkinder der Weltwirtschaft. In welcher Verfassung sehen Sie derzeit die BRIC-Staaten?
Die BRIC-Staaten sind angeschlagen, aber mithilfe ihrer Notenbanken momentan in einer stabilen Seitenlage. Das Ziel ist klar definiert: die Transformation hin zu nachhaltigen, nicht mehr zu dynamisch wachsenden Industriestaaten. In den kommenden Jahren werden diese Länder Exportnationen wie Deutschland starke Konkurrenz machen. Sie wollen wie die Amerikaner beim Thema "Digitalisierung" die Nase vorn haben.

Wie bewerten Sie die Anlageklasse "Gold" momentan?
Gold und Silber sind ein Must-have. Wir kommen in absehbarer Zeit nicht aus der Anti-Stabilitätsunion heraus. Mit dem Weggang der Briten wird sich das Thema noch verschärfen. Wer soll denn nach dem vollzogenen Brexit an der Seite der Deutschen für die Marktwirtschaft kämpfen? Die von Italien, Spanien und Frankreich angeführte romanische Schuldenunion droht, die Reformunfähigkeit der EU zu zementieren. Die Schulden werden steigen, die Zinsen bleiben unten, und damit spielen Anlageklassen wie Anleihen keine Rolle mehr. Das alles spricht für den Sachwert Gold.

Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.

Bildquellen: Robert Halver, Simon Katzer