Interview exklusiv

Felix Zulauf: "Größte Manipulation der Geschichte"

21.09.15 03:00 Uhr

Felix Zulauf: "Größte Manipulation der Geschichte" | finanzen.net

Der ­Schweizer Vermögens­verwalter verrät, wie er die konjunkturelle Lage Chinas einschätzt, wo er aktuell ­Investmentchancen sieht und warum den Deutschen hohe Verluste drohen.

von Peter Manhart

Dank seiner treffsicheren Prognosen und Analysen nimmt Felix Zulauf schon seit 1987 am berühmten Roundtable-Gespräch der US-Börsenzeitung "Barron’s" teil. Er war der erste Nichtamerikaner, der dem jährlichen Treffen von Investmentlegenden beiwohnen durfte. Im ­aktuellen Interview zeigt Zulauf, weshalb er zu den gefragtesten Kapitalmarktexperten weltweit zählt.

Der Aktienmarkt erlitt in den vergangenen Wochen eine deutliche Korrektur - große Indizes gaben um 15 Prozent und mehr nach. Sie prognostizierten einen Rückschlag an den Finanzmärkten spätestens im Herbst dieses Jahres - war das nun das angekündigte Gewitter?
Felix Zulauf: Ich habe das so erwartet. Wir haben aber alle Anzeichen eines wichtigen kurzfristigen Tiefpunktes mit allen dazu notwendigen Charakteristiken gesehen.

Kommt es zu einer Erholung?
Nach solchen extremen Ausschlägen nach unten folgt in den kommenden Wochen meist ein Erholungsversuch. Danach werden die Tiefstände mindestens noch einmal getestet, wenn nicht sogar leicht ­unterschritten. Ob danach eine Wiederaufnahme der positiven Grundtendenz erfolgt - mit neuen Höchstständen im nächsten Jahr - oder ob nach der temporären Erholung eine neue Abwärtsbewegung einsetzt, wird von der fundamentalen Verfassung der Konjunktur und der Unternehmen abhängen.

Und was erwarten Sie in diesem ­Zusammenhang?
Es ist wichtig zu verstehen, was da eigentlich für ein Prozess in der Weltwirtschaft im Gang ist. Dafür müssen wir den Blick zurück auf die letzten Jahrzehnte richten. Strukturprobleme wie die Überalterung in den westlichen Gesellschaften, die Überschuldung der Volkswirtschaften, die Überregulierung der Wirtschaft, aber auch die Globalisierung bremsten das Wirtschaftswachstum. Und weil die Regierungen nicht mehr wissen, was zu tun ist, hat die Geldpolitik begonnen, das System mit Geld zu überschwemmen, um die Nachfrage zu stimulieren.

Wer hat damit begonnen?
Alan Greenspan. Er hat die Situation in den 90er-Jahren allerdings völlig falsch eingeschätzt. Er befürchtete eine große Deflation in den USA. ­Damals sank die Inflationsrate der Güterpreise wegen massenhaft günstiger Arbeitskraft in China. Also hat Greenspan die Geldpolitik sehr expansiv gestaltet. Das führte zu einem massiven Kapitalfluss aus dem Dollar in diejenigen Regionen, welche hohes Wachstum versprachen. Die Währungen von Schwellenländern wie China, Korea, ­Malaysia, Singapur oder Brasilien tendierten als Folge immer fester.

Das dürfte diesen aufstrebenden Wirtschaftsnationen nicht gefallen haben ...
Die wollten ihre kompetitiven Vorteile nicht verlieren und die lokalen Zentralbanken haben am Währungsmarkt interveniert, um die ­eigenen Währungen zu schwächen. Damit tätigten sie eine enorme Geldschöpfung im eigenen Land.

Was war die Folge?
Ein langjähriger Boom und eine ­dramatisch hohe Verschuldung, insbesondere der Unternehmenswelt. Gesamthaft nahmen die Schwellenländer mehr als 6000 Milliarden Dollar Schulden auf. Das sind zumindest die jüngsten Zahlen aus der Statistik der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Im Prinzip stellen diese Kredite eine "Short-Position" im Dollar dar. Denn als sich eine Stabilisierung der Konjunktur beziehungsweise der Beginn einer Normalisierung der Geldpolitik in den USA abzeichnete, tendierte der Dollar fester. Das wiederum drückte auf die Schuldenlast der Unternehmen in den Schwellenländern, die nun wiederum Dollar kauften, um ihr Schuldenrisiko abzudecken.

Das klingt nach einem Teufelskreis.
Ein festerer Dollar führt im Prinzip zu schlechterer Liquidität der gesamten Weltwirtschaft. Das ist traditionell so. Der Dollar ist das Herz der Liquiditätsschöpfung. Mit dem Erstarken des Dollars endete der Boom in den Schwellenländern.

Wie ordnen Sie den Boom in China ein?
Es ist der größte Investment- und Kreditboom, den die Geschichte je erlebt hat. Doch der ist inzwischen abgeflaut und auf einen Boom folgt immer eine Bereinigung. Wir stecken mitten in diesem mehrjährigen Prozess.

Wen wird diese Bereinigung besonders hart treffen?
Zuallererst China selbst, und das strahlt dann aus. Ich erwarte etwa in Singapur und Hongkong Bankenkrisen. Die Bilanzen der dortigen Banken haben sich in den vergangenen fünf Jahren dramatisch aufgebläht und spiegeln den Immobilien- und Kreditexzess in China und in jener Region wider.

Blickt man auf die offiziellen Statistiken, scheint der Boom noch nicht zu Ende zu sein ...
Die ausgewiesenen Wachstums­raten Chinas sind Unsinn. Chinas Volkswirtschaft kann nicht um sieben Prozent pro Jahr wachsen. Die Rate betrug einst zehn Prozent und heute sind wir bei rund zwei Prozent. Der Industriesektor befindet sich zudem in einer Rezession. Chinas Funktion als Wachstumsbringer für Asien und die übrige Welt dreht sich jetzt um. Gleichzeitig hat die eigentliche Anbindung des Yuan an den Dollar zu einer Überbewertung der chinesischen Währung geführt, die korrigiert werden muss.

Was sind die Konsequenzen aus diesem Prozess?
Ein gewaltiger Kapitalabfluss aus China. Dabei muss man wissen: Um Kapital auszuführen, braucht es eine Bewilligung der Regierung. Exporteure oder Importeure können jedoch auch mit falschen Rechnungen Kapital ins Ausland verschieben. Wir schätzen, dass in den vergangenen fünf Quartalen ein Abfluss zwischen 500 und 800 Milliarden Dollar stattgefunden hat. Damit ist die Zahlungsbilanz von China, die durch die großen Handels- und Ertragsbilanzüberschüsse seit langer Zeit immer positiv war, plötzlich negativ geworden.

Zur Stärkung der Exportwirtschaft wollten die Chinesen den Yuan wohl abwerten. Beschleunigt das nicht den unerwünschten Kapitalabfluss?
Die Abwertung des Yuan war kein freiwilliger Entscheid und es handelt sich auch nicht um einen einmaligen Schritt, sondern um einen Regimewechsel. Wenn die Zahlungsbilanz wegen Kapitalabflüssen negativ wird, fällt der Kurs der Währung. Die Chinesen wollen natürlich das Gesicht wahren und tun so, als hätten sie das Heft in der Hand. Die Interventionen sind so zu deuten. Aber mit den Interventionen entziehen sie dem eigenen Kreditsystem Liquidität, was Gift für die Konjunktur ist. Deshalb werden diese Maßnahmen zeitlich begrenzt sein.

Wie weit wird der Kurs des Yuan ­gegenüber dem Dollar (aktuell 6,35; Anm. d. Red.) noch abgewertet?
Ich veranschlage den nächsten Zwischenhalt auf 6,80. Später wird der Yuan wohl auf einen Kurs zwischen 7,00 und 8,00 sinken.

Wird China jetzt zum Deflations­exporteur?
Die global handelbaren Güterpreise werden weiter unter Druck kommen. In Dollar ausgedrückt sind sie bereits jetzt zehn Prozent niedriger als im Vorjahr. Das betrifft Rohstoffe, Halbleiterbestandteile, Textilien und so weiter. Da der Druck vom weltgrößten Exporteur ausgeht, müssen alle anderen Länder mitziehen. Es wird ähnlich sein, wie wenn ein Geschäft an einer Ladenstraße beginnt, die Preise zu senken.

Kann sich dem kein Land entziehen?
Dieser Prozess dauert vermutlich noch ein bis drei Jahre. Dann sollte der Yuan nicht mehr überbewertet sein und dadurch kommt die Zahlungsbilanz von China wieder ins Gleichgewicht. Dabei handelt es sich um ein zyklisches Phänomen. Exzesse schlagen eben auf beide Seiten aus.

Gibt es Profiteure der deflationären Tendenzen?
Während Produzenten die Verlierer sind, werden die Konsumenten zu Gewinnern - sofern sie ihren Job ­behalten können.

Welche Auswirkungen hat ein ­deflationäres Umfeld auf die USA und Europa?
Der deflationäre Druck bewirkt, dass die Zinsen am kurzen Ende tief bleiben werden und auch am langen Ende eigentlich nicht groß steigen können, also werden auch die Renditen von qualitativ erstklassigen Schuldnern tief bleiben. Es kann ­sogar sein, dass diese kommendes Jahr nochmals sinken.

Somit bleibt der Anlagenotstand ­bestehen. Gibt es keine Alternativen zu Aktien?
Doch. Bargeld zum Beispiel. Aber ich plädiere nicht dafür, 100 Prozent Bargeld zu halten. Cash ist heute eine attraktive Alternative zu Aktien, wenn Kurseinbrüche erwartet werden. Sie müssen unter dieser Annahme auch keine Opportunitätskosten bezahlen. Bargeld wirft zwar keinen Zins ab, ist aber wertbeständig. Wenn die Aktienkurse tatsächlich erneut fallen, können später zu tieferen Preisen Positionen aufgebaut werden. Anleger werden nicht um Aktienanlagen herumkommen. Selbst wenn diese zeitweise große Kurseinbrüche verzeichnen, sind sie wohl sehr langfristig noch immer die beste Anlage.

Aktien aus welchen Sektoren erwarten Sie unter den Gewinnern, falls sich die Börsen erneut aufbäumen?
Als Anleger sollten Sie nicht das kaufen, was schlecht lief, einfach nur, weil die Bewertung billiger geworden ist. Ein Bullenmarkt gleicht ­einem Ausscheidungsrennen - ein Segment nach dem anderen kippt. Man muss bis am Schluss bei den Gewinnern bleiben, weil diese am besten abschneiden. Dazu zählen nichtzyklische Sektoren wie Gesundheit und Nahrungsmittel, aber auch ausgewählte Unternehmen der Internetwirtschaft.

Wann wird der Bullenmarkt enden?
Für die meisten Titel ist er wohl schon zu Ende. Aber ich schließe nicht aus, dass Notenbanken wieder übertreiben und die Anleger, konditioniert durch die Vergangenheit, dazu animieren, erneut Aktien zu kaufen. Irgendwann wird der Markt aber erkennen, dass die Weltwirtschaft sich nicht so positiv wie erhofft entwickelt und Chinas Abwertung deflationär für die übrige Welt wirkt. Die Erwartungen für die Unternehmensgewinne werden spätestens dann deutlich gesenkt werden müssen. Eine Baisse gehört zu einer Hausse wie die Nacht zum Tag, das sind völlig normale Wechsel.

Gelingt es nicht, unsere Selbst­erneuerungskräfte zu aktivieren und neues Wachstum zu schaffen?
Die Frage ist, ob wir unsere Systeme jemals bereinigen können. Wir haben unsere Wirtschaftsgrundlagen kaputtgemacht mit einer überbordenden Verschuldung, einer Überregulierung, dem Abschieben von Verantwortung an den Staat. Sehen wir der Wahrheit ins Auge - unsere Systeme sind erschöpft.

Wäre eine große Krise nicht auch eine Chance, dass die Marktkräfte eine Bereinigung erzwingen?
Ich befürchte eher das Gegenteil, nämlich ein massives Eingreifen des Staates im Fall einer neuen Krise. Falls das geschieht, würden wir uns wohl bald in einer Art "DDR light" wiederfinden. Damit würden wir auf eine Welt zusteuern, die nicht nur für die Wirtschaft viel weniger Freiheiten bieten würde, sondern auch für die Bürger. Bürokratie, Verwaltung und Regierung beschlössen dann, wie die Welt zu sein hat. ­Damit würde die Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt.

Dagegen würde sich doch bestimmt massiver Widerstand formieren?
Da bin ich nicht überzeugt. Dazu fehlt der politische Wille, weil die Bürger die Konsequenzen eines solchen Eingriffs nicht verstehen.

Der Staat übernimmt doch aber auch sehr wichtige und sinnvolle Aufgaben?
Ich bin nicht gegen den Staat, er soll nur auf ein vernünftiges Maß reduziert werden. Es würde wohl helfen, wenn für jedes neue Gesetz ein altes oder besser zwei gestrichen werden müssten.

Was schlagen Sie vor?
Eigenverantwortung muss wieder einen höheren Stellenwert erhalten. Der Privatsektor braucht mehr Raum zum Atmen, dann gedeiht auch das Unternehmertum. Machen wir das nicht, wird der Wohlstand sinken. Wir haben in der Schweiz ­insofern Glück, als wir die Dummheiten der Regierung über die direkte Demokratie teilweise korrigieren können. Verstehen sie das nicht falsch, ich halte Politiker nicht für schlechte Menschen. Nur glauben sie, eine von ihnen ersehnte Welt per Dekret oder Manipulation schaffen zu müssen.

Manipulation - was meinen Sie ­damit?
Wir haben selbst auf den internationalen Handelsplätzen keine freien Märkte mehr. Die Notenbanken haben in den vergangenen fünf, sechs Jahren neues Geld im Wert von 12 Billionen Franken geschöpft und mit diesem Geld Wertpapiere gekauft. Das ist die größte Manipulation in der Geschichte.

Gibt es überhaupt noch einen ­Ausweg aus der unkonventionellen Geldpolitik der Notenbanken?
Wenn man einmal mit Manipulieren begonnen hat, erzwingt das immer neue Eingriffe. Wenn es wirklich besser werden soll, dann müssen Unternehmen und auch Staaten bank­rottgehen dürfen.

Sie spielen auf den Fall Griechenland an?
Nicht nur. Die Griechen, die EU und alle Beobachter wissen, dass Griechenland nur Schulden zurückzahlen kann, wenn es immer wieder neues Geld bekommt. Dieses Spiel wird einfach weitergespielt, anstatt dass gesagt wird: Ihr seid pleite und wir bereinigen das jetzt.

Weshalb geschieht das Ihrer ­Meinung nach nicht?
Weil dann die deutsche Regierung ihren Bürgern erklären müsste, dass sie 150 Milliarden Euro veruntreut hat. Geld, das eigentlich der Bevölkerung gehört. Die deutsche Regierung hat keinen Anreiz, das zu tun. Unterstützung bekommt die Regierung Merkel von Frankreich, ebenfalls einem Schuldnerland, welches das Gläubigerland Deutschland braucht. Die Franzosen haben keinen Anreiz, einen Schuldner im ­Regen stehen zu lassen. Sonst droht ihnen eines Tages dasselbe Schicksal. Solange wir so wirtschaften - das ist die einzige Prognose, die ich mit 100 Prozent Garantie geben kann - wird es nicht besser.

Kurzvita

Orakel aus der Schweiz
Felix W. Zulauf, Jahrgang 1950, begann seine Karriere bei der Schweizer Großbank UBS, wo er zum globalen Anlagestrategen und Leiter des institutionellen Portfoliomanagements aufstieg. Die später gegründete Zulauf Asset Management verwaltet heute nur noch eigenes Geld. Gemeinsam mit seinem Sohn teilt er sich inzwischen bei der Investmentboutique Vicenda die Rolle des Chief Investment Officers (CIO). Seit mehr als 20 Jahren ist er zudem Mitglied des viel beachteten Barron’s Roundtable.

Das Interview wurde von der "Handelszeitung" (Schweiz) geführt.

Bildquellen: Tom Wang / Shutterstock.com, Axel Griesch fuer Finanzen Verlag