Rating-Experte: Agenturen sollten für Ratings haften
Die europäische Ratingagentur als Gegengewicht zu den US-Platzhirschen geht in Kürze an den Start. Roland-Berger-Partner Markus Krall über das EU-geförderte Vorhaben.
von Wolfgang Ehrensberger, Euro am Sonntag
€uro am Sonntag: Wie schätzen Sie selbst die Arbeit der US-Ratingagenturen auch angesichts der jüngsten Herabstufungen von Euro-Ländern ein?
Markus Krall: Fairerweise muss man sagen, dass die US-Ratingagenturen speziell bei den Euro-Länder-Ratings in einer No-Win-Situation stecken. Wenn sie den Zeigefinger heben und auf Risiken hinweisen, werden sie heftig kritisiert. Wenn sie nichts tun, wird ihnen vorgeworfen, wenig glaubwürdig zu sein, weil die Risiken augenfällig sind. Egal was sie machen, sie werden immer kritisiert. Insofern halte ich mich da zurück.
Welche Handlungsmöglichkeiten haben die Agenturen überhaupt noch?
Die Agenturen haben relativ spät auf die Risikosituation einzelner Länder reagiert, so dass sie ihre Frühwarnfunktion nicht erfüllt haben. Dass die Agenturen jetzt die Risiken klarer benennen und zu Herabstufungen kommen, kann man im Einzelfall kritisieren. Eine grundsätzliche Kritik an diesem Vorgehen ist jedoch unangebracht, und völlig unangemessen sind irgendwelche Welt-Verschwörungstheorien.
Wie sieht vor diesem Hintergrund das Roland-Berger-Konzept einer europäischen Ratingagentur aus?
Der Ratingmarkt hat bestimmte institutionelle Schwachstellen: das Monopol, der Interessenkonflikt im Bezahlsystem, das Problem der mangelnden Produkthaftung. Das alles führt zu Qualitätsproblemen, zu monopolistischer Preisbildung. Zwei Dinge sind deshalb nötig: mehr Teilnehmer im Ratingmarkt - einer davon soll die neue europäische Ratingagentur sein. Und eine Regulierung, die das aktuelle Emittenten-basierte Bezahlsystem der Ratings in ein Investorenbasiertes System umwandelt.
Wie unterscheidet sich das Konzept organisatorisch?
Wir streben eine nicht gewinnorientierte, privatfinanzierte Stiftungslösung an. Diese soll über die maximale Unabhängigkeit und ein operatives Modell verfügen, dass an das Kreditmodell der Banken angelehnt ist. Denn das ist transparenter und kostengünstiger als das aktuelle Modell der Ratingagenturen. Damit können wir auch sehr schnell die nötige Reputation herstellen, die eine europäische Ratingagentur benötigt, um auf dem Markt akzeptiert zu werden. Außerdem sind die Markteintrittsbarrieren heute nicht mehr so groß, wie es oft dargestellt wird.
Wie sieht die Finanzierung aus?
Unser Ziel ist es, 300 Millionen Euro Stiftungskapital einzusammeln, einschließlich Risikopuffer. Die angestrebten 30 Teilnehmer am Stiftungsmodell zahlen zu gleichen Teilen und gleichberechtigt ein - niemand hat daher mehr als drei Prozent. Die Stiftungs-Investoren leihen auch kein direktes Eigenkapital, sondern stellen eine Mezzanine-Finanzierung zur Verfügung. Es geht also um eine Art Kredit mit Eigenkapitalcharakter, der nach drei bis fünf Jahren zurückgezahlt wird. In der Stiftung haben die Investoren kein Mitspracherecht, um Interessenkonflikte auszuschließen.
Wie weit sind Sie bei der Suche nach Teilnehmern?
Wir haben mittlerweile die Stufe eins abgeschlossen und vorläufige Teilnahmebereitschaft von 30 Investoren eingeholt - Banken, Versicherungen, Börsen und sonstige institutionelle Investoren aus ganz Europa: Wir sind also sehr breit aufgestellt.
Wann soll die Agentur gegründet werden?
Ziel ist es, bis Ende des ersten Quartals 2012 die Verträge zu unterzeichnen und im zweiten Quartal die Stiftung wahrscheinlich mit Sitz in Holland zu gründen. Die operative Tochtergesellschaft könnte dann die Rechtsform einer SA oder AG mit Sitz in Frankfurt und einer starken Präsenz in Paris haben.
Wann kommen die ersten Ratings?
Wir werden wahrscheinlich Ende des Jahres mit den ersten Länder-Ratings auf den Markt kommen und Anfang 2013 mit den ersten Banken-Ratings. Sukzessive sollen dann Unternehmens-Ratings dazukommen, strukturierte Finanzierungen und dergleichen, so dass die Agentur ein bis zwei Jahre nach ihrer Gründung in der ganzen Bandbreite einsatzfähig sein wird.
Was halten Sie von Vorstellungen, eine solche Ratingagentur praktisch an der Stiftung Warentest aufzuhängen wie von Außenminister Guido Westerwelle gefordert?
Grundsätzlich wäre das vorstellbar. Eine öffentlich-rechtlichen Stiftung würde aber sofort Zweifel an der Unabhängigkeit der Agentur hervorrufen, da sie zu nah am Staat angelehnt wäre. Außerdem hat die Stiftung Warentest zwar Erfahrung mit allen möglichen Produkten, aber nicht mit Ratings, müsste also bei Null anfangen. Wir glauben, dass eine privatfinanzierte, gewinnunabhängige Agentur die ideale Lösung ist: Sie ist vom Gewinnzielen unabhängig und kann sich auf die Qualität der Ratings konzentrieren. Außerdem ist der Haftungsaspekt dabei sehr wichtig. Denn Ratings sind Meinungen, aber auch Produkte mit Haftungsansprüchen. Sie sind ein öffentliches Gut, haben also erhebliche wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Auswirkungen. Dies alles sollte das wirtschaftliche Modell der Agentur adäquat abbilden.
Wie sehen diese Haftungs- bzw. Schadensersatzansprüche konkret aus?
Momentan sind Ratings juristisch reine Meinungen und unterliegen daher keiner Produkthaftung. Für jedes bezahlte Produkt sollte es aber eine Haftung geben, allerdings nur bei grober Fahrlässigkeit und bei Vorsatz. Wenn einer bei einem Triple-A-Rating Pleite geht, heißt das noch lange nicht, dass das Rating falsch war. Die Frage ist vielmehr, ob die Ratingagentur in ihrer Analyse grob fahrlässig oder vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat. Dann sollte Haftung eintreten, die sich im Fall von grober Fahrlässigkeit in einem bestimmten Prozentsatz der Ratinggebühr bewegen sollte und bei Vorsatz in einem bestimmten Prozentsatz des Eigenkapitals der Ratingagentur. Das setzt starke Anreize, korrekt zu arbeiten, ohne dass eine Agentur bei einem Fehler gleich vom Markt verschwindet und dort wieder ein Oligopol entsteht.