Werden wir einen Aktiencrash erleben, Herr Halver?
Der Chefvolkswirt der Baader Bank, Robert Halver, über Chancen und Risiken für die Aktienmärkte. Er gibt zudem eine Einschätzung zu anderen Anlageklassen wie Anleihen, Immobilien und Edelmetallen ab.
von Benjamin Summa
Herr Halver, vor einigen Monaten waren sich die meisten Analysten darüber einig, dass der Weg in DAX und Co. aufgrund der enormen Liquidität im Markt nach oben frei sei. Nach Höhenflug sieht es derzeit aber nicht aus. Wie stark sind denn die zwei Unterstützungsfaktoren noch, die in der Vergangenheit massiv auf die Aktienmärkte eingewirkt haben: die extrem üppige Geldpolitik in den USA, Europa und Japan und die Anzeichen für eine Erholung der Weltkonjunktur?
Robert Halver: Ich habe nicht den Eindruck, dass wir es auf absehbare Zeit mit einer wirklich restriktiven weltweiten Geldpolitik zu tun haben werden. Die US-Notenbank wird zwar ab Oktober keinen US-Cent neue Liquidität in die Finanzmärkte einbringen, aber sie wird auch keinen abziehen. Und mit der geparkten Liquidität der US-Geschäftsbanken bei der Fed könnte man die gesamte US-Volkswirtschaft noch ca. fünf Mal finanzieren. Das ist keine Liquiditätsverknappung. Die USA "ersaufen" nach wie vor in Liquidität. Ohnehin werden Zinssteigerungen zum Kleinhalten von Irritationen an den Finanzmärkten nur homöopathisch erfolgen.
Im Übrigen haben die anderen zwei Notenbanken, die EZB und die Bank of Japan, den Gipfel der geldpolitischen Offensive noch gar nicht erreicht. Beide Notenbanken werden nach meiner Einschätzung noch umfangreiche Liquiditätsmaßnahmen ergreifen. Die Schuldenfinanzierung bzw. die Deflationsbekämpfung zwingt sie dazu.
Die Krise in der Ukraine und die Unsicherheiten in den Schwellenländern haben zuletzt die Frühindikatoren, gerade auch in Deutschland, das im Vergleich deutlich weltkonjunktur- und exportsensitiver ist als andere Industrieländer, negativ beeindruckt. Unter der Annahme jedoch, dass die Chancen für eine diplomatische Lösung der Ukraine-Krise noch gegeben sind und die Schwellenländer nach Einschätzung der Finanzmärkte den Übergang von einer export- und investitionsintensiven Wirtschaft zu einer stärker von der Binnennachfrage getragenen Konjunktur schaffen werden, sollte die aktuelle konjunkturelle Stimmungseintrübung eher eine Delle und keine Beule sein. Eine Eskalation der Krise in der Ukraine ist zwar nicht ausgeschlossen, aber bei jeder Krise werden die Notenbanken mit einer wieder offensiveren Geldpolitik gegensteuern, gemäß dem Motto: Wo die Not am größten ist, sind die Notenbanken am nächsten.
Sie haben bereits vor Monaten vor stärkeren Schwankungen an den Aktienmärkten in diesem Jahr gewarnt. Wo sehen Sie jetzt konkret Chancen, wo Risiken?
Der DAX sollte spätestens - abseits einer Kriseneskalation - bei etwa 9.000 Punkten Boden finden. Nach Konsolidierungen sind sukzessive Käufe von konjunktursensitiven Aktien - auch denen, die sich im MDAX finden - anzuraten. Daneben ist eine Höhergewichtung von euroländischen Substanzaktien aus den Bereichen Pharma, Konsum, Rückversicherer, Telekom und Versorgern ratsam, die sich in schwierigeren Marktphasen auch aufgrund ihrer hohen Dividenden stabiler verhalten. Zur allgemeinen Kursabsicherung gegen politische Börsen, die man nur schwer einschätzen kann, sind aber auch Teilschutzprodukte wie Bonuszertifikate oder auch Puts geeignet.
Eine gute Möglichkeit, den zurzeit hohen Kursschwankungen entgegenzuwirken, sind regelmäßige Aktiensparpläne. Grundsätzlich bleibe ich bei meiner Meinung, dass der DAX zum Jahresende bis auf 10.500 Punkte laufen wird.
Der als Dr. Doom bekannt gewordene Investor Marc Faber sagte vor einigen Tagen in einem Interview, es sei aus seiner Sicht sehr wahrscheinlich, dass wir in den kommenden Monaten einen Crash vom Typ 1987 sehen werden. Wie bewerten Sie dies?
Wenn man schon die Aktien-Geschichte bemüht, sollte man sie nicht nur selektiv nach dem Motto heranziehen "Ich picke mir die Dinge heraus, die passen", sondern komplett betrachten. Im Vorfeld des Einbruchs des S&P 500 1987 hatte die US-Notenbank nämlich ihre lange Phase der Zinssenkungen beendet und die Zinswende nach oben angetreten. Die war schließlich der Beschleuniger für fallende Aktienkurse. Genau dies ist aber heute nicht zu befürchten. Im Hinblick auf die Probleme der Schwellenländer und der Ukraine-Krise wird eine US-Notenbank die Stimmung an den Finanzmärkten nicht weiter mit einer wirklich restriktiven Geld- und Zinspolitik verschärfen. Dann würde die Büchse der Pandora erst richtig geöffnet. Dann müssten wir eine Weltkonjunkturkrise befürchten, weil die weltweiten Anleger das Geld gerade aus den Schwellenländern abziehen würden. Das wäre vor allem für die westlichen Industrieländer und ihre Aktien schädlich, da die Emerging Markets für uns ja konjunkturelle Sorgenpausen sind. So dumm wird kein Geldpolitiker der USA sein. Und die anderen zwei großen Notenbanken EZB und Bank of Japan haben ohnehin ihr Pulver noch nicht verschossen.
In der Eurozone insgesamt steigen die Preise zwar noch - aber immer langsamer. Spanien ist bereits in der Deflation. Viele Medien malen deswegen ein Deflations-Gespenst an die Wand. Wie begründet ist diese Gefahr für Europa aus Ihrer Sicht?
Mit derzeit 0,5 Prozent ist die Inflationsentwicklung in der Eurozone insgesamt sehr schwach. Würde man Deutschland herausrechnen, würden wir uns wahrscheinlich schon an der Grenze zur Deflation befinden, in der Länder wie Griechenland und Spanien bereits angekommen sind.
Deflationsgefahren als Gespenst muss die EZB sehr ernst nehmen und wird sie auch ernst nehmen. Denn hat sich Deflation erst einmal eingenistet, kann man ihr - siehe das Beispiel Japan - kaum noch Herr werden. Deflation ist das Grundübel einer jeden Volkswirtschaft. Die Bürger kaufen heute nicht, weil es morgen billiger ist, und morgen kaufen sie auch nicht, weil es übermorgen noch günstiger ist. Damit investieren die Unternehmen nicht mehr, entlassen Mitarbeiter, und zum Schluss - im Extremfall - fällt die Volkswirtschaft der Eurozone in die Depression. Also: EZB-Auge, sei wachsam. Scheute man früher noch Inflation wie der Teufel das Weihwasser, so wird heute förmlich dafür gebetet.
Die EZB wird nach meiner Meinung zukünftig zur Fed 2.0 werden. Zur Beseitigung der ernsthaften Deflationsrisiken zeigt sich die EZB immer wieder offen, ein breit angelegtes Anleihenaufkaufprogramm von insgesamt einer Billion Euro - bei dem die EZB ähnlich wie die Fed umfassend Staatsanleihen aller Euroländer aufkauft, damit die Renditen weiter senkt und schließlich auch der Euroaufwertung entgegenwirkt - zu starten. Vermutlich aber erst nach der Europawahl, um keinem Stabilitätsanhänger Anreize zu geben, das Kreuzchen an der vermeintlich falschen Stelle zu machen. Damit würde das theoretische Rettungsversprechen Mario Draghis vom Juli 2012 praktische Bedeutung erlangen.
Offenbar nehmen die Rentenmärkte diese Entwicklung bereits vorweg. So hat sich der Renditeverfall zehnjähriger euroländischer Staatstitel insgesamt noch einmal beschleunigt, selbst in Griechenland: Die griechischen Renditen der sich im Umlauf befindenden zehnjährigen Staatstitel haben sich von rund 28 Prozent im Juli 2012 auf aktuell sechs Prozent verringert. So war es nur eine Frage der Zeit, dass auch Griechenland jetzt nach knapp vier Jahren an den Kapitalmarkt zurückkehren konnte und nicht die geringsten Probleme hatte, sich mit neuen Staatspapieren mit einer Laufzeit von fünf Jahren zu einer Rendite von knapp fünf Prozent zu refinanzieren. Aber nicht die Reformen Griechenlands, sondern das ausgeschlossene Ausfallrisiko durch das Rettungsversprechen Draghis vom Juli 2012, zur Not unbegrenzt Staatsanleihen prekärer Eurostaaten aufzukaufen, hat diese Kapitalmarktmaßnahme ermöglicht.
Als nächste geldpolitische Sünde wäre der Aufkauf von besicherten Krediten an kleine und mittelständische Unternehmen - sogenannte Asset Backed Securities (ABS) - denkbar. Über das somit zumindest teilweise reduzierte Ausfallrisiko würde die EZB ein Kreditvergabehemmnis der Banken und insofern ein bedeutendes Konjunkturhemmnis entkräften.
Man sollte sich nicht irren: Wenn es sein muss, werden wir von der EZB noch Instrumente sehen, an die wir heute noch gar nicht denken.
Der Arbeitsmarkt in den USA zeigt sich robust, auch die Konjunkturaussichten dort stimmen optimistisch. Wie kann die US-Notenbank Fed die Gratwanderung meistern, Stück für Stück aus der expansiven Geldpolitik auszusteigen, ohne den Aufschwung über eine Zinserhöhung zu gefährden?
Um diesem Dilemma zu entgehen, betreibt die US-Notenbankpräsidentin Yellen keine Geldpolitik, sondern eher Gelddiplomatie. Sie wird zwar die Liquiditätszuführung bis Oktober beenden, aber eben auch keine Liquidität abziehen. Damit bleibt der Liquiditätspool für die US-Konjunktur prall gefüllt. Früher oder später wird auch die US-Notenbank die Zinsen erhöhen. Diese Zinssteigerungen werden aber meiner Meinung sehr vorsichtig und in der Höhe begrenzt ausfallen.
Insgesamt steigt die US-Notenbank nicht aus der expansiven Geldpolitik aus, sondern in die Konservierung einer üppigen Geldpolitik ein.
Wer kauft dann die Staatsanleihen, wenn die Fed ausgestiegen ist?
Die Fed steigt nicht aus ihrer üppigen Geldpolitik aus. Die Liquiditätsausstattung der US-Volks- und Finanzwirtschaft wird auch bei Beendigung neuer Liquiditätszuführungen im Oktober auf einem Allzeithoch verharren. Mehr Liquidität hat es dann nur bei der Sintflut gegeben. Und die US-Banken werden gerne weiter US-Staatspapiere kaufen. Denn sie verdienen sich damit weiter eine goldene Nase. Über die sogenannte Fristentransformation nehmen sie bei der Fed Geld zu niedrigen Notenbankzinsen auf und saugen sich wie ein Schwamm voll mit deutlich höher verzinslichen Staatsanleihen der USA, und das Ganze auch noch ohne Währungsrisiko. Vor diesem Hintergrund wird die US-Notenbank pingelig darauf achten, dass ihre Notenbankzinsen unter den Anleiherenditen von Staatspapieren liegen. Solange dies gewährleistet ist, müssten die Banken verrückt sein, auf diese Geldscheffelmaschine zu verzichten.
Die Aussicht auf eine Zinserhöhung in den USA hat viele Investoren veranlasst, den Emerging Markets den Rücken zu kehren. Das Ergebnis waren fallende Börsen und Währungen. Wie bedrohlich schätzen Sie die Wachstumsschwäche in den Schwellenländern für die Märkte ein?
Die US-Notenbankpräsidentin Janet Yellen betreibt nach meiner Einschätzung eine Geldpolitik schwerpunktmäßig für die Emerging Markets. Sie weiß aus der Erfahrung der letzten Asien-Krise ab 1997, dass eine restriktive US-Notenbankpolitik zu einem rasanten Kapitalabzug aus den Emerging Markets führt. Das Problem von Investitionen in den Emerging Markets ist nämlich, dass internationale Anleger ein doppeltes Verlustrisiko haben: das allgemeine Kursrisiko von Wertpapieren und das Währungsrisiko. Hier will kein großer Vermögensverwalter seine Kunden mit Negativ-Performance konfrontieren. Erschwerend kommt sicherlich hinzu, dass sich die Schwellenländer im Übergang von einer export- und investitionsgetriebenen Volkswirtschaft hin zu einer Stärkung der Binnenkonjunktur befinden. Bei diesem an sich gesunden Prozess kann es immer wieder zu Reibungsverlusten kommen. Insofern werden dort im Zeitablauf die Wachstumsraten zwar nachgeben, dafür sind sie aber stabiler und weniger durch ein Platzen von Blasen gefährdet. Vor diesem Hintergrund muss die US-Notenbank der empfindsamen Anlegerpsychologie mit einer grundsätzlich freizügigen Geldpolitik entgegentreten. Mit scharfen Zinserhöhungen würde Frau Yellen über die Emerging Markets auch der Weltkonjunktur einen Kollateralschaden beibringen. Ein gebranntes Fed-Kind scheut das Feuer. Mittlerweile verkaufen auch die USA ihre Produkte und Dienstleistungen in nennenswertem Umfang nach Asien und Co. Wer will darauf in Amerika verzichten?
Ohnehin weisen die Emerging Markets im Vergleich zu den Industrieländern eindeutig bessere Fundamentaldaten auf. Zur Konjunkturstabilisierung stehen den Schwellenländern auch größere Verschuldungsmöglichkeiten zur Verfügung: In China und Südkorea ist der Schuldenstand nur halb so hoch wie in den Industriestaaten, und Brasilien und Indien bewegen sich nur knapp über dem Maastricht-Verschuldungskriterium von 60 Prozent zum BIP. Diese positive Fundamentaleinschätzung werden mit einer vorsichtigen US-Geldpolitik auch die Finanzmärkte mehr und mehr teilen.
Die Sparrate der Deutschen ist deutlich gefallen. Geldwerte werden im gegenwärtigen Zinsumfeld gemieden, andererseits gibt es hierzulande aber auch keine ausgeprägte Aktienkultur. Zu welchem Portfoliomix raten Sie Anlegern?
Auf eine noch stärkere Gewichtung von renditeschwachem Zinsvermögen sollte grundsätzlich verzichtet werden. Denn Zinsvermögen hat schon jeder über die staatliche Rente, Versicherungen, Festgelder und Sparbücher bis Oberkante Unterlippe. Der Durchschnitt der deutschen Anleger investiert sein Geldvermögen zu 80 Prozent in Zinspapiere. Das ist verheerend hoch und ein massives Klumpenrisiko. Da muss niemand mehr nachlegen, sondern konsequent abbauen. 50 Prozent wären immer noch viel zu viel, aber es wäre immerhin ein Anfang.
Die aktuellen Aktienkursschwankungen irritieren sicherlich die Anleger. Eine für mich ebenso banale wie großartige Möglichkeit, davon zu profitieren, sind Sparpläne in Aktien, Fonds und ETFs, womit man im Auf und Ab der Aktienmärkte attraktive Durchschnittspreise erzielen kann. Im Einkauf liegt auch bei Aktien der Gewinn.
Persönlich bin ich immer erstaunt, wenn ich sehe, was längerfristig für Ausbildung oder Altersvorsorge zusammenkommt, wenn man z. B. das Kindergeld regelmäßig anlegt. Übrigens, den Zinseszinseffekt gibt es auch bei Dividenden, wenn sie wiederangelegt werden. Mit diesem fast schon banalen Instrument können Anleger nicht verhindern, längerfristig reich zu werden.
Mein ganz persönlicher Portfoliomix besteht aus 15 Prozent Liquidität, 50 Prozent Aktien, ca. 15 Prozent Edelmetallen und dem Rest in anderen sachkapitalistischen Anlageklassen wie Immobilien.
Wie bewerten Sie derzeit die Anlageklassen Anleihen, Immobilien und Gold?
Anleihen gefallen mir nicht, da nach Inflation nichts mehr übrig bleibt. Wenn es schon Zinsvermögen aus Liquiditätsgründen sein soll, dann eher ein Festgeld. Ich halte den Immobilienboom für noch nicht beendet, aber die Dynamik wird nachlassen.
Grundsätzlich bleibt Gold ein wichtiger Stabilitätsanker in der Vermögensaufteilung, unabhängig von Krisen wie in der Ukraine. Die Notenbanken werden Edelmetalle zwar weiter im Kurs drücken, denn sie können keine Ersatzwährung zu Geld zulassen, da ihre Rettung der Finanzwelt eben auf Geld basiert. Es würde ansonsten die geldpolitischen Rettungsmanöver im Extremfall zahnlos machen. Wenn ich mir aber anschaue, dass die Notenbanken zu den von ihnen selbst gedrückten Goldpreisen Gold physisch aufkaufen, kann ich nur sagen: Sie werden wissen, warum.
Früher oder später wird unsere immer mehr in Schuldenschönheit erstarrte Finanzwelt von geldpolitischen Gnaden einen hohen Preis zahlen müssen. Wenn die Staatswirtschaft die Privatwirtschaft verdrängt, ist früher oder später Schluss mit Wirtschaftswachstum. Dann nähern wir uns Zuständen wie in der DDR, die sozialpolitisch nicht zu halten sind. Dann schlägt die Stunde von Edelmetallen, denen dann die wichtige Werterhaltungsfunktion zukommt. Ich persönlich halte neben anderen sachkapitalistischen Anlageformen wie Aktien einen Vermögensanteil von bis zu 15 Prozent in Edelmetallen. Das muss aber jeder für sich selbst entscheiden.
Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist Unternehmenssprecher der pro aurum KG, München