Max Otte: „Die Enteignung der Sparer ist eine Katastrophe“
Krisen-Prophet Max Otte kritisiert im Interview in scharfer Form die EZB-Politik. Auch den EU-Regierungen wirft er schwere Versäumnisse in der Finanzkrise vor. Der Star-Anleger nennt seine Aktien-Favoriten und beschreibt sein Muster-Portfolio.
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von Benjamin Summa
Das Bundesverfassungsgericht verhandelt derzeit unter anderem den Beschluss der EZB zum unbegrenzten Staatsanleihenkauf. Die Kläger werfen der Notenbank vor, ihr eigentliches Mandat, für stabile Preise zu sorgen, zu überschreiten und stattdessen direkte Staatsfinanzierung zu betreiben. Befürworter dieser Politik betonen hingegen, die Ankündigung von Anleihenkäufen ohne Limit habe die Spekulationen gegen den Euro und einzelne Mitgliedstaaten gestoppt. Welchem Lager sind Sie zuzurechnen?
Max Otte: Ich bin gegen diese Politik, denn bei den Staatsanleihenkäufen handelt es sich natürlich um direkte Staatsfinanzierung – dies ist in keinem EU-Vertrag vorgesehen. Der schlecht konstruierte Euro hat uns in die Probleme reingebracht. Wenn die Politik die Verteidigung der Eurozone in ihrer jetzigen Form aber unbedingt durchsetzen will, dann bleibt derzeit als Erfüllungsgehilfe tatsächlich nur die EZB. Wer nur einen Hammer hat, versteht jedes Problem als Nagel und dann wird fleißig gehämmert. Die EZB muss sich an dieser Stelle also als Ausputzer betätigen, hier wird das schwere Versagen der politischen Eliten in Europa nur allzu deutlich. Einer der Fehler ist das Versäumnis, vor Jahren ein geordnetes Insolvenzverfahren für Krisenstaaten beschlossen zu haben.
Bundesbank-Chef Jens Weidmann fühlt sich der stabilitätsorientierten Tradition seines Hauses verpflichtet. Er hat in der Vergangenheit immer wieder schärfste Kritik an der EZB-Politik geübt. Welche Auswirkungen hätte es Ihrer Meinung nach auf die Finanzmärkte, wenn die Bundesbank nach dem BVG-Urteil beispielsweise keine Anleihenkäufe im Auftrag der EZB mehr durchführen könnte?
Das Bundesverfassungsgericht prüft derzeit die Verfassungskonformität der Staatsanleihenkäufe. Wenn das Gericht diese Politik untersagen würde, gäbe es einen Crash. Der Euro würde dann tatsächlich auseinanderfliegen. Ich kann mir das aber nicht vorstellen. Wenn 80 bis 90 Prozent der deutschen Bundestagsabgeordneten die Anleihenkäufe durchwinken – was ich für eine Katastrophe halte –, wird sich das Verfassungsgericht nicht dagegenstellen können. Der Urteilsspruch wird die gängige Praxis also kaum verändern und die Märkte nicht stark durcheinanderbringen. Es geht aktuell um die Frage, für welches System wir uns entscheiden – für das deutsche System von 1948 bis 1998 oder für eine Verwässerung dieser Stabilitätspolitik. Ich würde viel lieber das stärkere System nach Europa exportieren und nicht das schwächere System des Südens importieren. Deutschland hat dabei schlechte Karten.
Die Europäische Zentralbank hat den Leitzins vor einigen Wochen auf 0,5 Prozent gesenkt. Begrüßen Sie diesen Schritt, weil er womöglich die Aktien-Hausse befeuert, oder gehören Sie zu den Kritikern, die auf eine zunehmende Enteignung der Sparer und das Risiko neuer Spekulationsblasen hinweisen?
Die Enteignung der Sparer ist eine Katastrophe. Niedrige Zinsen schaden beispielsweise meiner Tante: Ihr Mann war Walzer, hatte nach 40 Jahren an der Maschine ein ordentliches Sümmchen gespart. Dieses Ersparte kann man jetzt zu 0,5 Prozent anlegen. Im Klartext: Die einfachen Leute und der Mittelstand werden enteignet. Die Politik müsste grundsätzlich anders gemacht werden, es müsste Schuldenschnitte geben, manche Länder müssten raus aus dem Euro, aber dies alles ist versäumt worden, also müssen Investoren mit einer Fortsetzung der Politik der Enteignung rechnen.
Dax, Dow und Nikkei haben in den vergangenen Wochen neue Höchststände erreicht. Welchen Tipp haben Sie für Anleger parat: der Herde folgen und rein in Aktien oder vorsichtig sein, weil viele Top-Papiere schon überbewertet sind?
Die kurzfristigen Konjunkturzahlen sehen schlecht aus, aber die langfristige Entwicklung ist entscheidend. Viele Unternehmen sind jetzt immer noch billig. Hier zählt nicht die kurzfristige Stimmung, sondern die nackte Bewertung. Der DAX ist seit seinem Allzeithoch von 8000 Punkten vor 13 Jahren nicht mehr derselbe DAX, die Unternehmensumsätze sind gewachsen. Man könnte sagen: Vor 13 Jahren kostete der DAX etwa 8000 Punkte und war 4000 Punkte wert, heutzutage ist er fair bewertet. Und etliche Titel sind auch im DAX noch günstig, nirgendwo ist derzeit eine Überbewertung in Europa zu beobachten, vor allem nicht in Italien, Österreich, Holland. Der Dow Jones hingegen ist leicht überbewertet, der Nikkei dagegen noch deutlich unterbewertet.
Laut einer Analyse der Münchner DAB Bank sind die zehn Lieblingsaktien der Deutschen alle aus dem Dax – von BASF auf Rang 1 bis Bayer auf Rang 10. Welche Favoriten haben Sie persönlich?
Wir haben beispielsweise Microsoft im Blick, kaufen im Moment Barrick Gold, weil die Goldförderer massiv abgestürzt sind. Wir finden zudem die Axel Springer AG ganz interessant, daneben den belgischen Wert „Van de Velde“ und die spanische Aktie „Ebro Foods“. Außerdem bauen wir wieder vorsichtige Positionen bei den Versorgern auf, also E.ON und RWE.
Für die Banken gilt dasselbe wie für die Versorger – sie sind oft sehr niedrig bewertet, aber es ist auch ein schwieriges Umfeld. Die Versicherungen sind super gelaufen, die Allianz hat sich beispielsweise mehr als verdoppelt. Die meisten Versicherer haben sich mittlerweile auch gegen die Eurokrise gewappnet.
Die Rohstoffaktien hängen natürlich an der Weltkonjunktur. Wenn die schlecht läuft, können die Rohstoffaktien weiter einbrechen. Wenn die Weltkonjunktur an Dynamik gewinnt, kann man hier sehr viel Geld verdienen.
Die Emerging Markets gucke ich mir gar nicht an. Blue Chips sollte man haben, diese sind auch nicht zu teuer. Besondere Chancen sehe ich in den Euro-Peripheriestaaten und in Holland und Österreich.
Seit Mai haben die Kurse vieler Staatsanleihen deutlich gelitten. Für manchen Beobachter ist das ein Vorgeschmack auf das Platzen einer Mega-Blase. Wie bewerten Sie den Anleihenmarkt?
Es ist der Anfang einer Kurskorrektur, denn irgendwann müssen die Renditen steigen. Die Notenbanken wollen die Renditen drücken. Das können sie auch bis zu einem gewissen Grad, aber wenn die Anleihen nicht mehr gekauft werden platzt die Anleihenblase. Dort muss ja auch eine Korrektur stattfinden, es geht ja nicht umsonst seit drei Jahren das geflügelte Wort vom „völlig renditefreien Risiko“ um. Auch die Mittelstandsanleihen sind eine Mogelpackung, in Wirklichkeit sind sie „junk bonds“.
Wie ordnen Sie die starken Kursrückgänge bei Gold und Silber seit Mitte April ein – Ende einer Rallye oder günstige Einstiegskurse?
Tatsächlich wird Gold derzeit sehr negativ in der Presse besprochen. Das ist gut, denn so kann man jetzt gemütlich nachkaufen. Der aktuelle Wert von etwa 1400 Dollar ist eine natürliche Grenze, weil die Herstellungskosten auf diesem Niveau liegen. Wer Gold noch nicht hat, sollte es jetzt kaufen. Andere dürfen jetzt noch aufstocken.
Wie würden Sie derzeit 50.000 Euro konkret anlegen?
Es hängt davon ab, ob man bald an das Geld muss oder Vermögensaufbau betreiben möchte. Für den Vermögensaufbau würde ich 10.000 Euro in Cash halten, 10.000 Euro in Gold investieren und 30.000 Euro in attraktive Aktien anlegen. Wenn man kurzfristig an das Geld ran muss, sollte man 20.000 Euro in Cash zurückhalten, 15.000 bis 20.000 Euro in Gold und nur 10.000 bis 15.000 Euro in Aktien anlegen. Vor allem global aufgestellte Aktienfonds sowie europäische Aktienfonds sind meine Empfehlung.
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