Finanzmärkte zweifeln zunehmend am Willen zur Griechenland-Hilfe
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FRANKFURT (Dow Jones)--Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker hat sich zwar zuversichtlich gezeigt, "dass die Eurogruppe alle notwendigen Entscheidungen am Montag treffen kann", die Finanzmärkte glauben aber immer weniger daran, dass diese positiv für Griechenland ausfallen werden. Im Umfeld immer wieder neuer Vorbedingungen und permanent verschobener politischer Entscheidungen ist von den Akteuren an den Finanzmärkten immer öfter zu hören, dass ein Ende mit Schrecken, nämlich ein Zahlungsausfall Griechenlands, einem Schrecken ohne Ende inzwischen vorzuziehen wäre.
"Ohne Griechenland-Lösung bleiben wir erst einmal im Niemandsland", sagte Ben Taylor von CMC Markets. Technische Analysten meinen allerdings, der Rückschlag dürfte schnell zum Kauf genutzt werden. In diesem Stadium gehe es nur um den "Neueinstieg auf der Long-Seite", heißt es in den Mußler-Briefen.
Neuerliche Verschiebung verstimmt Finanzmärkte
Wie die Märkte letztlich reagieren werden ist jedoch offen. Die erste Reaktion auf die jüngste Verschiebung der Entscheidung über die Freigabe des 130 Milliarden Euro schweren zweiten Rettungspakets für Griechenland ist negativ. Der Euro rutscht am Donnerstag unter die Marke von 1,30 Dollar und an den Aktienmärkten geht es im Vormittagshandel deutlich abwärts. Auch an den Anleihemärkten ist die Reaktion eindeutig, die Renditen der Anleihen der Peripheriestaaten der Eurozone legen im Vergleich zum Vortag zu.
Die Societe Generale spricht vor diesem Hintergrund von einer "Atmosphäre des verschwindenden Vertrauens". Europa scheine gefährlich nahe an dem Punkt zu sein, eine "lehmanhafte Entscheidung" zu treffen. Die US-Regierung hatte 2008 entschieden, die Investmentbank pleite gehen zu lassen, was eine weltweite Kreditkrise auslöste.
In die gleiche Kerbe schlägt auch die Ratingagentur Moody's, die die Bonitätsbewertungen von Banken und Versicherungen auf Herabstufungen hin überprüft. Bei den 114 im Fokus stehenden Banken aus 16 europäischen Ländern wurden zwar noch keine Rating-Maßnahmen vollzogen, die Bonitätsbewertungen stehen aber unter verschärfter Beobachtung. Damit unterstreicht Moody's nach eigenen Angaben den widrigen und anhaltenden Einfluss der Euroschuldenkrise auf die Finanzunternehmen.
Wenig überraschend, dass vor diesem Hintergrund Banken und Versicherer an den Aktienmärkten die deutlichsten Verluste verzeichnen. "Möglicherweise ist ein Austritt aus der Eurozone und ein Default das Beste für alle Beteiligten", meinte ein Händler. Griechenland habe dann die Chance auf einen echten Neuanfang, und die Eurozone sei darauf vermutlich nun besser vorbereitet, als noch vor einem halben Jahr.
Genährt wird die zunehmende Skepsis der Finanzgemeinde von der Kakophonie der politischen Entscheidungsträger. So verlautete aus Verhandlungskreisen, einige Länder wollten zunächst die Auszahlung eines Überbrückungskredits, mit dem eine Insolvenz Griechenlands vermieden werden könnte.
Vertrauen gegenüber Griechenland auf dem Tiefpunkt
Das Misstrauen ist offenbar groß, dass sich Griechenland an die jetzt abgegebenen Versprechen nach der Wahl unter einer neuen Regierung nicht halten wird. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte am Mittwochmorgen vor den Folgen eines Machtwechsels in Griechenland gewarnt. "Wenn man sich die politische Situation anschaut, dann muss man sich schon die Frage stellen: Wer stellt sicher, dass nach den Neuwahlen Griechenland zu dem steht, was wir jetzt vereinbaren?"
Der niederländische Finanzminister Jan Kees de Jager hat unterdessen bestätigt, dass es Überlegungen gibt, das neue Rettungspaket für Griechenland erst nach den Parlamentswahlen im April zu verabschieden. "Das Vertrauen hat tatsächlich einen Tiefpunkt erreicht", sagte de Jager in einem Interview mit dem Financieele Dagblad. Griechenland befinde sich klar hinter dem Zeitplan bei der Umsetzung der versprochenen Reformen. Er brachte auch die Überlegung ins Spiel, wonach Griechenland den Weg Italiens folgen könnte und die schwierigen Sparbeschlüsse von einem Technokratenkabinett umgesetzt werden. Das sei aber alles Spekulation.
Die neuerliche Brüsseler Verzögerung verengt den bereits knappen Zeitplan für eine Rettung Griechenlands vor einem Staatsbankrott. Die Troika aus Europäischer Union, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank zahlt nämlich nur dann, wenn sie Griechenland attestieren kann, dass es seine Schulden langfristig zu tragen im Stande ist. Als Voraussetzung hierfür gilt ein Schuldenerlass über rund 100 Milliarden Euro durch die privaten Gläubiger, der dem Grundsatz nach wohl ausverhandelt ist.
Enger Zeitplan wird noch enger
Aber den privaten Gläubigern muss noch ein Umtauschangebot für die alten Staatsanleihen vorgelegt werden. Der Umtauschprozess wird mehrere Wochen in Anspruch nehmen, sodass der Zeitplan äußerst knapp ist. Experten sagen, das Umtauschangebot müsse spätestens am 20. Februar vorgelegt werden. Auch dieser Aspekt spricht für eine Art Zwischenlösung, beispielsweise einen Überbrückungskredit. Dieser würde sicherstellen, dass die Hellenen die am 20. März drohende Staatspleite verhindern können, wenn 14,5 Milliarden Euro an Schulden bedient werden müssen.
Eurogruppe-Leiter Juncker äußerte sich zu der Idee eines Überbrückungskredits übrigens nicht. Stattdessen hob er nach dreieinhalbstündigen Verhandlung vor allem die Verpflichtunsgerklärung der beiden großen griechischen Parteien hervor, auch nach der für April geplanten Wahl zu ihren Reformverpflichtungen zu stehen. Griechenland habe außerdem mit der Troika verabredet, wie es die fehlenden 325 Millionen Euro einsparen werde. Dazu habe das Land eine konkrete Liste mit Sparzielen und Terminen vorgelegt.
"Dennoch kann man sich des Eindrucks nicht entziehen, dass eine Pleite des Landes näherrückt", kommentierte ein Aktienhändler am Morgen mit Verweis auf die eskalierenden Verbalattacken zwischen Griechenland und Deutschland. Offenbar mehrten sich in der Bundesregierung die Stimmen, die eine Insolvenz des Landes für verkraftbar halten.
DJG/gos/apo (END) Dow Jones NewswiresFebruary 16, 2012 04:39 ET (09:39 GMT)
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