Eurorettungsschirm

Eurokrise: Auch Spanien muss an den Tropf

aktualisiert 15.06.11 17:06 Uhr

Während heftig über eine mögliche Umschuldung in Griechenland gestritten wird, ist es um Spanien etwas ruhiger geworden. Das wird sich bald ändern, sagt Gastautor Markus Zschaber, der Spanien als nächsten Kandidaten für den Eurorettungsschirm ausgemacht hat.

von Markus Zschaber, Gastautor in der Euro am Sonntag

Nach Portugal, Irland, und Griechenland wird auch Spanien unter den Rettungsschirm schlüpfen müssen. Spanien wird sich nicht aus eigener Kraft retten können. Aus den PIG-Staaten werden also schon bald die PIGS-Staaten werden.

Spaniens Wirtschaft zeigt massive strukturelle Probleme, das Wachstumsmodell ist nicht länger intakt. In den vergangenen zehn Jahren haben der private Konsum, der Tourismus sowie der Immobilien- und der Bausektor mit den hierum gruppierten Dienstleistungsaktivitäten das Wachstum getragen. Noch bis Mitte 2008 hatten billige Kredite für einen beispiellosen Bauboom und steigende Konsumausgaben gesorgt, dann brach die Bautätigkeit erschreckend ein. Die Binnenkonjunktur kam unter Druck, Wachstumsimpulse gehen von ihr nicht mehr aus.

Spanien verabschiedet
sich aus dem Welthandel

Und das nicht erst seit 2008. Vergleicht man die Entwicklung der Handelsströme, so wird deutlich, dass Spanien immer mehr ausgegrenzt wird, die Handelsströme laufen um Spanien herum. Dies zeigt eindeutig auch die nach wie vor vorhandene Produktionslücke, welche die Krise aufgerissen hat.

Denn in der Finanzkrise versiegte der notwendige Kreditstrom, der bis dahin die spanische Wirtschaft befeuerte. Wie in den USA, wo die Finanzkrise ihren Ausgang nahm, brach auch in Spanien der Wirtschaftspfeiler „Immobilien und Bau“ ein. Dies verursachte einen Dominoeffekt, der sich auf nahezu alle Wirtschaftssparten ausbreitete. Mit der Folge, dass die Produkti­vität der spanischen Wirtschaft im internationalen Vergleich markant nachließ und auf sehr ­tiefem Niveau verharrt.


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Außerdem offenbaren die schwache Innovationskraft und mangelnde Investitionen in Forschung und Entwicklung im Zeit­alter nach der Weltwirtschaftskrise ein großes Loch in der Wettbewerbsfähigkeit der spanischen Produktionsgüter auf den weltweiten Absatzmärkten. Dies liegt unter anderem daran, dass die Unternehmensstrukturen in Spanien alles andere als auf dynamisches ­operatives, organisches Wachstum ausgerichtet sind. Mehr als 90 Prozent der Unternehmen in Spanien haben weniger als 20 Mitarbeiter, mehr als 50 Prozent der Unternehmen sind sogar nur Einzelunterneh­mungen. Diese Strukturen schwächen die Innovationstätigkeit sowie die Positionierung im internationalen Wettbewerb entscheidend.

Hinzu kommt die historisch ­höhere Inflationsrate, die die Produkte zusätzlich verteuert. Rund 25 Prozent der Exporte Spaniens kommen aus dem Automobilsektor. Eine große Gefahr, da kaum ein anderer Sektor einem so hohen Kostendruck ausgesetzt ist. Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und auch mangelnder Wettbewerb im Land aufgrund ineffizienter Produktionsstrukturen sowie die niedrige Produktivität werden im Zuge der Entwicklung der neuen Produk­tionsmärkte in den Schwellenländern dafür sorgen, dass Spaniens Automobilindustrie sowie die gesamte Exportwirtschaft weiter an Bedeutung auf den Absatzmärkten einbüßen wird.

Die Arbeitslosigkeit zwingt die
Spanier zu Konsumverzicht

Daraus ergibt sich eine ebenfalls sehr schwierige Situation am spanischen Arbeitsmarkt. Aktuell wird in Spanien eine Arbeitslosenquote von über 20 Prozent gemeldet. Und die Zahl steigt rasant: Allein in diesem Jahr wurden mehr als 230.000 zusätzliche Arbeitslose statistisch erfasst, 2.600 Menschen gehen in Spanien also täglich in die Arbeitslosigkeit.

Nach den jüngsten Daten des europäischen Statistikamts Euro­stat betrug im Februar 2011 die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien 43,5 Prozent. In keinem anderen Land in Europa ist die strukturelle Situation am Arbeitsmarkt so kritisch einzuschätzen wie in Spanien. In der Vergangenheit war in erster Linie der Bausektor verantwortlich dafür, dass ein Großteil der Geringqualifizierten aus allen Altersschichten, junge Menschen ohne Ausbildung sowie Arbeitskräfte mit Migrationshintergrund, eine Arbeitsstelle fanden. Durch das Platzen der Immobilienblase in Spanien wurden diese Einkommensstrukturen zerstört.

Aber auch andere spanische Sektoren wurden von der Krise hart getroffen. Die Angst vor Arbeitsplatzverlust und sozialem Abstieg treibt die sonst so spendierfreudigen Spanier zum Konsumverzicht. Dies schlägt sich im Einzelhandelsvolumen sowie in den jüngsten Absatzzahlen der großen Kaufhauskonzerne nieder.

Der nötige Sparkurs wird
die Probleme verschärfen

Sowohl die spanische Bevölkerung als auch der Staat haben zu lang über ihre Verhältnisse gelebt. Das Land hat das zweitgrößte Zahlungsbilanzdefizit der Welt hinter den USA. Den größten negativen Beitrag dazu liefert das Handelsbilanz­defizit, das längst nicht mehr durch den Tourismus kompensiert werden kann. Und auch die Finanzbranche hat zu kämpfen: Viele spanische Sparkassen drückt eine zunehmende Last fauler Kredite aus der geplatzten Immobilienblase. Eine ganze Reihe ist, um zu überleben, gezwungen zu fusionieren.

Was bedeutet das unterm Strich? Das Wachstumsmodell Spaniens liegt brach, die Situation am Arbeitsmarkt ist kritisch und erfordert massive Restrukturierungen. Reformen in den Bereichen Bildung und Qualifikation erfordern einen enormen Kostenaufwand. Dieses so dringend benötigte Investitions­kapital ist aber nicht vorhanden. Die jüngsten Defizite im Haushalt signalisieren eindeutig, dass Spanien ohne einschneidende Budgetkürzungen und Steuererhöhungen keinen Ausweg aus der drastischen Neuverschuldung finden wird. Spanien befindet sich in einem strukturellen Dilemma.

Spanische Anleihen geraten
in eine steile Abwärtsspirale

Allein im Jahr 2011 werden in Spanien Anleihen in Höhe von fast 120 Milliarden Euro, im Jahr 2012 von etwa 90 Milliarden Euro und 2013 rund 73 Milliarden Euro fällig und müssen refinanziert werden. Das zu schaffen, wird bereits in den kommenden Monaten zunehmend schwieriger werden, vor allem, da die Inflationserwartungen weiter ansteigen werden, wodurch der innere Wert der Anleihen zusätzlich belastet wird. Darüber hinaus ist eine Verschlechterung der aus­gewiesenen Bonität aufgrund weiterer Herabstufungen durch die Ratingagenturen zu erwarten.

Es ist also nicht mehr länger die Frage, was Spanien noch tun kann, um das Vertrauen der Marktteilnehmer zu steigern, sondern nur noch, wann sich das noch vorhandene Vertrauen in Misstrauen kehrt. Und das wird nicht mehr lang dauern. Die Märkte werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit rasch testen, welche Reaktionen sie bei der spanischen Regierung noch auslösen können, wenn der Druck auf die ausgegebenen Staatsanleihen erhöht wird. Bei gleichzeitiger Verschlechterung der Bonität aufgrund des maroden Wachstumsmodells sowie steigenden Inflationserwartungen ist ein Anstieg der Zinslasten unausweichlich, was wiederum zu weiter ansteigenden Refinanzierungskosten beiträgt.

Letztlich werden die marode fundamentale Basis des Landes und die horrenden wirtschaftlichen Probleme den Ausschlag geben, dass eine eigenständige Rettung und nachhaltige Refinanzierung ohne den EU-Rettungsschirm nicht möglich ist. Ohne ein funktionierendes und profitables Wachstumsmodell kann keine Volkswirtschaft lang überleben.

Großer Bedeutungsverlust
Im Zuge der Globalisierung und dem Zusammenwachsen des Euroraums sank die Exportquote überall im Euro­raum. Besonders drastisch ging sie allerdings in Spanien zurück. Und das, obwohl die Iberer bereits zur Jahrtausendwende nur wenig exportierten. Das rund 45 Millionen Einwohner starke Land führte im Jahr 2000 Waren im Wert von 123 Milliarden Euro aus. Die weniger als halb so großen Niederlande brachten es auf 232 Milliarden Euro, Deutschland mit seinen 80 Millionen Einwohnern sogar auf knapp 600 Milliarden Euro.

zur Person:

Markus C. Zschaber, Geschäftsführer
der V.M.Z Vermögensverwaltung

Der promovierte Volkswirt und Buchautor Zschaber ist Gründer und Namensgeber der V.M.Z Vermögensverwaltungsgesellschaft.
Die Kölner gehören seit knapp zwei Jahrzehnten zu den renommiertesten Vermögensverwaltern in Deutschland. Sie betreuen und verwalten sowohl Gelder von Privatanlegern als auch eine Vielzahl institutioneller Investoren.