Eurokrise

Ratings: Deutschland verliert Topnote

aktualisiert 26.10.12 17:12 Uhr

Schon häufig war das Analysehaus Independent Credit View den großen US-Agenturen voraus. Nun haben die Schweizer der Bundesrepublik die Top-Bonitätsnote „AAA“ entzogen. Warum?

von Marc Hofmann, Euro am Sonntag

Die Ratingagentur Independent Credit View (ICV) mit Sitz in Zürich hat die Kreditwürdigkeit der Bundesrepublik von „AAA“ auf „AA“ gesenkt. Ein Schritt, den bislang kein großes Analysehaus wagte. Für die Branchengrößen Standard & Poor’s und Moody’s ist Deutschlands Bonität noch immer erstklassig. Nicht so für die Analysten von ICV, die Kunden wie Pensionskassen und Versicherungen mit Kreditanalysen versorgen. €uro am Sonntag sprach mit ICV-Partner René Hermann über die Gründe der Herabstufung.

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€uro am Sonntag: Herr Hermann, ­warum ist Deutschland für Sie kein ­erstklassiger Schuldner mehr?
René Hermann:
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einer ist die demografische Entwicklung. Die Bevölkerung wird stetig älter, sodass künftig mehr Menschen Rente beziehen als arbeiten werden. Die Kosten für Renten- und Gesundheitssysteme laufen ohne Reformen aus dem Ruder. Hinzu kommt die hohe Steuerquote, die dem Staat kaum Spielraum für neue Einnahmequellen lässt. Doch der wesentliche Faktor der letzten Zeit sind die steigenden Verpflichtungen für direkte und indirekte Garantien im Rahmen der Eurorettung. Die Staatsschulden der Bundes­republik sind bereits heute nicht mehr auf „AAA“-Niveau, und es ist davon auszugehen, dass sie in Zukunft weiter steigen werden. Das wirkt sich negativ auf die Kreditqualität Deutschlands aus.

Damit unterstellen Sie, dass der Bund die gegebenen Garantien auch tatsächlich leisten muss.
Ja, davon gehen wir aus. Garantien stellen Eventualverpflichtungen dar, welche wir in unserem konservativen Analyseansatz den Schulden zurechnen. Diese Annahme teilen im Übrigen auch andere Ratingagenturen.

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Und warum bekommt Deutschland von Ihren US-Kollegen immer noch ein „AAA“?
Die großen Agenturen stehen zweifellos unter enormem politischem Druck. Von ihrem Rating hängt ab, ob Versicherer oder Pensionskassen Staatsanleihen kaufen dürfen oder nicht. Würde das Rating eines großen Landes sinken, gäbe es auf einen Schlag weniger Käufer für dessen Staatsanleihen. Dadurch würden zum einen die Refinanzierungskosten des Landes steigen, zum anderen würde sich die Frage stellen, von wem sich der Staat in Zukunft Geld leihen könnte. Ein Problem, das keine Regierung der Welt haben möchte.

Welche Auswirkung hat die Herabstufung Deutschlands?
Die Auswirkungen halten sich aufgrund unserer Größe in Grenzen. Wir beraten ­einen exklusiven Kundenstamm von Versicherern, Pensionskassen und Family Offices, die zusammen rund 300 Milliarden Schweizer Franken verwalten. Die primäre Konsequenz für sie ist, dass die Risiken bei deutschen Anleihen steigen und die Rendite dieses Risiko nicht mehr angemessen kompensiert. Verschlechtert sich die Bonität, wie wir es erwarten, so werden die Kurse von Bundesanleihen unter Druck geraten und die Renditen steigen. Für investierte Anleger wird das Verluste bedeuten.

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Wann haben Sie mit den Länderratings begonnen, und wer kommt dafür auf?
Wir haben mit den Länderratings 2009 begonnen, da wir eine Verschiebung der ­Risiken von den Banken zu den Staaten konstatierten. Bezahlt werden wir direkt von den Investoren. Wenn unsere Kunden also eine Position eines bestimmten Landes halten, erstellen wir dazu ein Rating.

Halten Ihre Kunden denn auch US-Staatsanleihen?
Ja. Und um Ihre Frage vorwegzunehmen, wir bewerten die USA mit „Single-A“. Also rund fünf Stufen schlechter als die großen US-Agenturen. Was wir bei den USA besonders kritisch sehen, ist neben der negativen Wirtschaftsentwicklung vor allem die negative Schuldendynamik und die hohen Handels- und Ertragsbilanzdefizite. Zudem die Unentschlossenheit der Politik, die Probleme, welche mit dem drohenden Fiscal Cliff einhergehen, zu adressieren. Wer auch immer am 6. November Präsident wird ­— er steht vor großen Herausforderungen.