Euro am Sonntag

USA und Europa außergewöhnlich immun

03.10.15 16:00 Uhr

USA und Europa außergewöhnlich immun | finanzen.net

Der Wachstumsrückgang in China schlägt auf die Börsen durch. Doch die Fundamentaldaten zeigen, dass Europa und die USA recht gut gewappnet sind.

von Björn Jesch, Gastautor von Euro am Sonntag

Wenn China hustet, bekommt die Weltwirtschaft eine Erkältung" - diesen Satz hört man derzeit relativ häufig. Das stimmt Investoren nachdenklich, schließlich hustet China relativ häufig und laut. Und mit tiefgreifenden Folgen: Die Turbulenzen an den Börsen im Reich der Mitte gingen einher mit Sorgen, dass das Wachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt kleiner ausfallen könnte als bislang erwartet und von der Regierung angepeilt. Dass Peking zudem die chinesische Währung abgewertet hat, rief Ängste vor einem weltweiten Währungskrieg hervor. Schlechte Zeiten für die Weltwirtschaft, möchte man meinen - und dementsprechend ging es auch an den Märkten der Industrieländer erst einmal steil bergab.

Aber halt: Die westliche Welt ist bislang von der Grippe ganz offenbar verschont geblieben. Wenn man den Blick von den Märkten auf die volkswirtschaftlichen Daten lenkt, dann wird klar: Sowohl in den USA als auch in der Eurozone ist die Lage relativ entspannt - das gilt sowohl beim Blick in den ökonomischen Rückspiegel als auch für die Frühindikatoren. Im Euroraum ist die Industrieproduktion im Juli erneut angestiegen und hat seit Jahresbeginn um fast zwei Prozent zugelegt. Getrieben wurde die Entwicklung von Deutschland, Spanien, Italien und erfreulicherweise auch von Griechenland, das erstmals seit März ein Plus verzeichnete. Überdies konnte Deutschland für den August außergewöhnlich gute Exportdaten ausweisen - ein weiteres Anzeichen dafür, dass die Lage in China für die Exportnationen zwar wichtig, aber eben auch nicht allein entscheidend ist.

Der vom Finanzdienstleiser Markit ermittelte Einkaufsmanagerindex erreichte im August mit 54,3 Punkten sogar das höchste Niveau seit Mai 2011. Wir rechnen für das laufende Jahr mit einer Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,3 Prozent. Die wirtschaftliche Dynamik in den USA, die verglichen mit dem Alten Kontinent wesentlich weniger Handel mit China treiben, sollte um 2,5 Prozent zunehmen.

Bei alldem sollte auch nicht vergessen werden, dass das chinesische Wachstum nicht von sieben auf null Prozent fällt, auch wenn die Berichterstattung hier und da eben diesen Eindruck erweckt. Derzeit sieht der Volkswirte­konsens Chinas Wachstum für das kommende Jahr bei 6,7 Prozent. Für die Weltwirtschaft würde das eine Zunahme um 3,7 Prozent bedeuten. Würde die chinesische Konjunktur einbrechen und das BIP nur noch um zwei bis drei Prozent zulegen, so wäre mit einem Rückgang des globalen Wachstums auf 2,8 Prozent zu rechnen. Das bedeutet: Selbst im unrealistischen Fall eines sehr starken Rückgangs im Reich der Mitte läge die Einbuße unter der Ein-Prozentpunkt-Marke.

Schwellen- und Rohstoffländer
wesentlich stärker betroffen

Alles prima also? Sicher nicht. Natürlich ist China auch für die Eurozone ein wichtiger Handelspartner und hat immerhin einen Anteil am globalen Wirtschaftswachstum von mehr als 13 Prozent, wie die Weltbank berechnet hat.

Wichtiger als für den europäischen Währungsraum oder die USA ist die Rolle Chinas für Staaten, die in großem Maße vom Rohstoffexport abhängig sind. Dazu zählen beispielsweise Brasilien und Russland, aber auch Australien und Südafrika. Schließlich ist das Reich der Mitte mit einem Anteil von rund 50 Prozent der weltweit größte Nachfrager nach Industriemetallen. Anfällig sind überdies jene Schwellenländer, die wirtschaftlich eng mit China verbunden sind. Das gilt beispielsweise für Süd­korea oder Taiwan. Daher ist das Chance-­Risiko-Verhältnis derzeit in den Industrieländern attraktiver als in den Emerging Markets.

Man sollte die Folgen einer Schwäche im Reich der Mitte also nicht kleinreden. Ebenso falsch aber ist es, wegen des chinesischen Hustens gleich zu fiebersenkenden Mitteln zu greifen. Es gilt, quer durch alle Staaten und Branchen die Auswirkungen der chinesischen Umstellung zu analysieren. Mit Sicherheit wird man dabei auf einige Namen treffen, die auch in den kommenden Monaten lieber das Bett hüten sollten. Es werden aber auch echte Investmentchancen darunter sein.

Kurzvita

Björn Jesch, Leiter Portfolio­management
bei Union Investment

Jesch ist seit 2012 Leiter des Portfoliomanagements von Union Invest­ment und führt das Fondsmanagementteam mit rund 240 Mitarbei­tern. Er ist ­ausgebildeter Bankkaufmann und Devisen­händ­ler. Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken und managt aktuell rund 230 Milliarden Euro für private und ­institutionelle Anleger.

Bildquellen: Fritz Philipp/Union Investment, JOHANNES EISELE/AFP/Getty Images