Börsenexperte Heller: Aktien sind noch nicht zu teuer
Gottfried Heller ist einer der bekanntesten Vermögensverwalter Deutschlands. €uro am Sonntag sprach mit dem Börsenurgestein über Schuldenkrise, Kursblasen und die Aussichten für die Börse.
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von Sven Parplies, Euro am Sonntag
Vor knapp 40 Jahren gründete Gottfried Heller mit Börsenlegende André Kostolany die Münchner Vermögensverwaltung Fiduka. Viele Kleinanleger kennen ihn aus Fernsehsendungen oder Börsenseminaren als geduldigen Ratgeber. Wie Heller aktuell die Chancen und Risiken für Anleger einschätzt.
€uro am Sonntag: Herr Heller, die Europäische Union hat einen Rettungsplan für Griechenland beschlossen. Wie stabil ist der Euro?
Gottfried Heller: Die Probleme, die wir in Griechenland sehen, werden ein immer wiederkehrendes Problem sein, weil die Währungsunion eine mangelhafte Konstruktion ist. Ein Mitgliedsstaat kann sich nicht mehr über die Abwertung seiner Währung konkurrenzfähig machen, er kann keine eigene Zinspolitik betreiben und er kann nur bis zu einer gewissen Grenze ein Haushaltsdefizit aufbauen. Die Währungsunion kann unter diesen Bedingungen nur funktionieren, wenn alle Staaten eine
einheitliche Finanz- und Wirtschaftspolitik betreiben und die Regeln strikt einhalten.
Warum ist das nicht möglich?
Die wirtschaftlichen Voraussetzungen, die Mentalitäten und die Lebensgewohnheiten in den Mitgliedsstaaten sind zu unterschiedlich. Die Realität sieht so aus, dass Deutschland zehn Jahre Lohnzurückhaltung geübt und damit seine Wettbewerbsfähigkeit verbessert hat, während Griechenland die niedrigen Zinsen, die ein Geschenk des Euro waren, verkonsumiert hat.
Gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma?
Ich halte einen europäischen Währungsfonds für keine gute Lösung. Der hätte in meinen Augen das Problem, dass hoch verschuldete Staaten sich darauf verlassen würden, dass ihnen im Notfall dieser Fonds aus der Patsche hilft. Der Internationale Währungsfonds, der, wie vorgesehen, als Kreditgeber fungieren soll, ist die bessere Lösung, weil er strenge Auflagen verhängen und deren Einhaltung eher gewährleisten kann.
Auch Spanien, Portugal und Irland gelten als Problemfälle. Ist ein Schuldenkollaps der Währungsunion vorgezeichnet?
So weit würde ich nicht gehen. Die Staatsschulden sind refinanzierbar. Die Frage ist nur, zu welchen Zinskonditionen. Die Liquidität im Markt ist gewaltig, und daran wird sich vorläufig auch nichts ändern. Ben Bernanke, der amerikanische Notenbank-Präsident, hat im Februar vor dem US-Kongress klar gesagt, dass die Niedrigzinspolitik für einen ausgedehnten Zeitraum bestehen bleibt. Vielleicht werden wir in diesem Jahr überhaupt keine Zinsanhebung der US-Notenbank sehen. Die Amerikaner waren sehr erfinderisch bei der Entwicklung dieser Kreditvehikel, die die Finanzkrise verursacht haben – aber sie sind auch ähnlich erfinderisch bei der Bewältigung der Krise.
Was heißt das für den Anleger?
Die niedrigen Zinsen haben einen Anlagenotstand geschaffen, wie es ihn in den vergangenen 40 Jahren nicht gegeben hat. Für Festgeld bekommen sie weniger als ein Prozent Zinsen, für Staatsanleihen im zehnjährigen Bereich drei bis dreieinhalb, für Industrieanleihen auch nicht viel mehr. Bei so niedrigen Zinsen wird der Druck nach Alternativen immer größer, und irgendwann werden Anleger sich ein Ventil suchen – wahrscheinlich in einer Aktienanlage.
Die nächste Blase?
Wir haben schon jetzt eine Blase im Bondbereich. Die mickrige Verzinsung haben die Staatsanleihen ja nur, weil die Notenbanken einen großen Teil der Emissionen aufkaufen.
Die Aktienkurse sind in den vergangenen zwölf Monaten dramatisch gestiegen. Sind auch Aktien überteuert?
Der Aktienmarkt ist der einzige Bereich, in dem wir keine Übertreibung haben. Das Kurs/Gewinn-Verhältnis liegt zwischen zehn und zwölf. Es gibt Schätzungen, dass die Gewinne aller weltweit börsennotierten Unternehmen bereits 2011 die Höchstmarke vor der Krise 2007 wieder erreichen. Beim DAX und den europäischen Börsen dürfte es erst ein Jahr später so weit sein.
Wie realistisch sind solche Schätzungen, wenn die Weltwirtschaft deutlich langsamer wächst als vor der Finanzkrise?
Der Einwand ist berechtigt. Die Zeit der großen Hebelanwendung zur Steigerung der Wirtschaftsleistung ist vorbei. Die Industrienationen, vor allem die USA, sind in einer wahrscheinlich jahrzehntelangen Phase der Entschuldung. Das führt zu schwächerem Wachstum und einer Arbeitslosigkeit, die für längere Zeit weltweit relativ hoch bleiben wird. Man darf aber annehmen, dass die Konzerne trotzdem Gewinne machen, weil sie sowohl beim Maschinenpark als auch beim Personal ihre Kapazitäten anpassen. Niedrigeres Wachstum ist ein volkswirtschaftliches Problem, nicht unbedingt ein betriebswirtschaftliches.
Können die Schwellenländer wirklich das niedrige Wachstum der Industrieländer ausgleichen?
Dafür müsste der Anteil des privaten Konsums am Bruttosozialprodukt in den Schwellenländern deutlich steigen. In China liegt er bei 30 Prozent, in Europa und den USA bei 60 bis 70 Prozent. Auch wenn die Mittelschicht in China schnell wächst, wird es zehn bis 15 Jahre dauern, bis sich die Lücke schließt. So lange sind fünf Prozent Wirtschaftswachstum weltweit nicht realistisch, eher drei Prozent. Man darf nicht vergessen, dass die große Mehrheit der Chinesen in der Landwirtschaft oder in Infrastrukturprojekten arbeitet und damit nur das Nötigste zum Leben hat.
Sie favorisieren Aktien aus Schwellenländern?
In einem langfristigen globalen Portfolio würde ich sie auf jeden Fall stärker gewichten, als es der aktuellen Marktkapitalisierung entspricht. Ein Viertel in Aktien der Schwellenländer und drei Viertel in den Industrieländern wäre eine sinnvolle Verteilung. Bei Aktien aus Industrieländern sollte man auch nach Unternehmen schauen, die stark in Schwellenländern präsent sind.
Bei China sind sie skeptisch. Warum?
Die nur für Chinesen käuflichen A-Shares in Shanghai sind völlig überteuert. Die Chinesen sind noch ungeübt im Geldanlegen. Bilanzen oder fundamentale Kennziffern sind den meisten fremd oder gar nicht zugänglich. Außerdem glaube ich, dass wir in China, ähnlich wie in den 1980er-Jahren in Japan, eine Überspekulation im Immobilienmarkt haben. Ein Warnsignal ist auch, dass China Mobile jetzt 5,9 Milliarden Dollar in die Pudong-Bank investiert hat. Weshalb sollte eine Telefongesellschaft einen Anteil von 20 Prozent an einer Bank erwerben? Der Verdacht liegt nahe, dass das unter Zwang der Regierung geschehen ist, weil die Bank ein Problem hat. Und sie könnte nicht die einzige sein. China ist eine Wachstumsregion, aber auch ein extrem spekulativer Platz.
Viele Anleger sehen Gold als Zuflucht.
Es gibt einige Vermögensverwalter, die glauben, dass die Staaten zum Goldstandard als Währungsgrundlage zurückkehren. Das halte ich für absoluten Blödsinn. Gold ist ein begrenztes Gut, wie will man damit weltweit eine wachsende Geldnachfrage befriedigen? Außerdem sollte man nicht vergessen, dass der Goldstandard mitverantwortlich war für die Wirtschaftskatastrophe von 1929 und die anschließende, verheerende Depression.
Gold vermittelt dennoch das Gefühl von Sicherheit.
Wenn Sie generell der Meinung sind, dass alle Währungen morbid sind und durch die Verschuldungspolitik der Regierungen ausgehöhlt werden, dann könnten Sie in Edelmetalle investieren, aber nicht nur in Gold oder Goldmünzen. Ich würde in Edelmetalle investieren, die auch eine industrielle Nachfrage haben, also Platin, Nickel oder Palladium. Man muss aber wissen, dass diese Anlagen keine Zinsen bringen. Daher würde ich darin kein großes Geld investieren.
André Kostolany empfahl, dass Anleger nach dem Aktienkauf Schlaftabletten nehmen sollen. Ist das angesichts der extremen Ausschläge noch zeitgemäß?
Die Metapher der Schlaftabletten wird oft missverstanden. Kostolany hat nie ein striktes „buy und hold“, also „Kaufen und Halten“ propagiert. Es ging ihm darum, dass Anleger – im übertragenen Sinne – „schlafen“ und gar nicht wahrnehmen, wenn es an den Börsen stürmisch zugeht und sie so vor Fehlreaktionen bewahrt bleiben.
Was wäre die richtige Interpretation?
Ein Langfristinvestor sollte auf keinen Fall täglich oder gar stündlich die Kurse verfolgen. In losen Abständen, sei es monatlich oder vierteljährlich, sollte er überprüfen, welche Titel noch günstig bewertet und welche nicht mehr attraktiv sind. Ein solides, gut diversifiziertes Aktiendepot sollte umschlagarm sein, aber nicht umschlaglos.
Vita Gottfried Heller
Der 1935 in Baden-Württemberg geborene Heller ist Senior-Partner der Fiduka-Depotverwaltung, einer der ältesten unabhängigen Vermögensverwaltungen in Deutschland, die er einst mit André Kostolany gründete. 1974 startete Heller das erste Börsenseminar in Deutschland, das einmal jährlich als „Kostolany Börsenseminar“
veranstaltet wird. Nebenbei ist Heller als Kolumnist tätig.