Börse Frankfurt/Marktüberblick: China im Krisenjahr
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30. September 2009. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Früher waren es Landarbeiter und Straßenbauer, die für ihren Dienst am Volk zu Vorzeigearbeitern gekürt wurden. Nun zum 60. Geburtstag der Volksrepublik China wird zum ersten Mal ein Banker ausgezeichnet. Wang Hongmei, der Präsident der Linfen Branch der China Construction Bank wurde für seinen Einsatz für Kunden und deren Spar- und Anlagegelder geehrt. Kopfarbeit ist kein Makel mehr. Die "sozialistische Marktwirtschaft chinesischer Prägung" hat sich gefunden.
Der schrittweise Übergang zu einer immer stärkeren marktwirtschaftlichen Orientierung hat in der Volksrepublik China bereits in den 80er Jahren begonnen. Seither geht es mit dem Reich der Mitte steil bergauf. In den 90er Jahren etablierte China die Börsen in Shanghai und Shenzhen und das erste Unternehmen aus dem Mutterland - die China Merchants Holdings - wurde in Hongkong gelistet als so genannte H-Aktie oder Red Chip. Obwohl viele chinesische Staatsunternehmen folgten, sind die meisten immer noch in Staatshand und unter staatlicher Kontrolle.
Mit einer Einwohnerzahl von 1,32 Milliarden rangiert China auf Platz 1 gemessen an der Bevölkerungszahl und auf Platz 3 nach Wirtschaftskraft und Handelsvolumen. Die "sozialistische Marktwirtschaft chinesischer Prägung" befindet sich nach 30 Jahren einer Reformpolitik jedoch immer noch im Umbau von einer primär landwirtschaftlichen zu einer Industrie- und Dienstleistungswirtschaft. Die Kluft zwischen Land und industrialisierter Stadt ist immer noch groß. Das durchschnittliche Gehalt eines Städters beispielsweise liegt bei ca. 1.750 Euro, ein landwirtschaftlicher Arbeiter verdient etwa 530 Euro monatlich. 800 Millionen Chinesen leben auf dem Land und ihre Existenz hängt von der Landwirtschaft ab. "Die Landwirtschaft trägt aber nur noch zu 11 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei", meldet das Auswärtige Amt, während Industrie und Dienstleistung zusammen einen Anteil von 89 Prozent beisteuern.
Scheinbar ohne Blessuren aus der Krise
Während in den vergangenen zwölf Monaten die meisten Länder weltweit den Finanzmarktschock und die weltweite Rezension zu verdauen und zu bekämpfen hatten, konnte China eine Rezension komplett vermeiden.
Von einem chinesischen Wirtschaftswachstum von 6,1 Prozent im ersten Quartal 2009 können andere Länder nur träumen. Mit 7,9 Prozent im zweiten Quartal sei China schon wieder ganze nahe an der offiziellen Wohlfühlgrenze, wie Janis Hübner von der Deka-Bank sagt. Doch bekam die wichtigste Volkswirtschaft der Schwellenländer die globale Krise durchaus zu spüren. Die beeindruckende Zahl sei in erster Linie auf eine starke Inlandsnachfrage zurückzuführen und ein Ergebnis der gegensteuernden Maßnahmen der chinesischen Regierung. Die hohen Wachstumszahlen führten oberflächliche Betrachter in die Irre.
Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen wurden im Rahmen der globalen Wirtschaftskrise auch in China ausgesetzt. Nach einer Statistik des Auswärtigen Amtes fielen diese im ersten Halbjahr 2009 um 17 Prozent zurück. Durch die Finanzkrise und Rezession kamen Handelsfinanzierungen weitgehend zum Erliegen, der internationale Warenverkehr stagnierte. Die Exporte schrumpften in China in diesem Zeitraum um 21,8 Prozent. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat sich der Exportmarkt noch nicht erholt. "Man sieht zwar eine leichte Stabilisierung im August gegenüber dem Vormonat. Aber die Exporte liegen noch immer 23 Prozent unter dem Wert im August des Vorjahres", erzählt Hübner. Die größten Abnehmerländer Chinas sind USA, Europa und Japan, wohin zusammen beinahe die Hälfte des Exportvolumens fließt. Solange in diesen Regionen nicht eine deutliche Wirtschaftserholung einsetzt, sollte sich an den Zahlen wenig ändern.
Auswirkungen dieser Situation zeigen sich auch deutlich auf dem Arbeitsmarkt. Seit 2006 existiert ein Umfragemodell zur Messung der Arbeitslosigkeit, doch die Ergebnisse werden nicht komplett veröffentlicht. Laut Angaben der chinesischen Regierung sind 230 Millionen Menschen Wanderarbeiter. Durch die Krise haben rund 20 Millionen davon ihren Job verloren. Zahlreiche kleine und mittelständische Unternehmen, die von dem dynamischen Exportsektor profitierten, sind insolvent. Die asiatische Entwicklungsbank schätzt die städtische Arbeitslosenquote auf mindestens 8,5 Prozent, in der ländlichen Bevölkerung sollen 30 Prozent ohne Arbeit da stehen.
Inlandsnachfrage federt ab
Den herben Einbruch beim Export kann China dennoch gut verdauen. China hat beinahe eine halbe Billion Euro an Konjunkturprogrammen in die Wirtschaft gepumpt. Die Zinsen wurden mehrfach gesenkt. Das Land verfügt über hohe Währungsreserven und hat geringe Staatsschulden. "Hierdurch hat die Regierung einen höheren finanzpolitischen Spielraum, das Finanzsystem ist stabil und Zinssenkungen können eher ihre Wirkung entfalten als in Europa und den USA", weiß Hübner. Investitionsprogramme für die Großindustrie und Infrastrukturprogramme haben die Inlandsnachfrage stimuliert und den Einbruch am Arbeitsmarkt abgefedert. Zum Programm der vergangenen Monate gehört auch, dass die Kreditneuvergabe erleichtert wurde sowohl für private Haushalte wie auch für Unternehmen. In den ländlichen Regionen soll der Konsum gefördert werden. Von der staatlichen Anschubhilfe profitieren kleinere und mittelständische Unternehmen, die als Zulieferer für die Großindustrie fungieren. Ergebnisse des Konjunkturprogramm: In den Städten wurden 6 Prozent mehr Arbeitsplätze im ersten Halbjahr 2009 geschaffen. Im August kletterte die chinesische Industrieproduktion um 12,3 Prozent.
Doch wie lange kann bleibt die Wirtschaft aus eigener Kraft noch auf Kurs? "Die chinesische Regierung muss die wirtschaftliche Dynamik aufrecht erhalten", sagt Hübner. Allerdings fehle ein gesunder Wachstumsmix. Viel hänge am privaten Konsum, der in China jedoch schwierig anzukurbeln sei. Die Sozialsysteme bleiben mangelhaft, die Menschen müssen selbst vorsorgen für Alter, im Falle einer Krankheit oder für die Ausbildung der Kinder. "Noch wird lieber gespart als Geld ausgegeben", meint Hübner. Die Sparquote der privaten Haushalte, des Staates und der Industrie liegt bei 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Und eine Gefahr droht bereits am Horizont: Durch die gewaltige Kreditexpansion - allein im August ist die Kreditneuvergabe um 41 Milliarden Euro angestiegen - könnte sich eine Aktienmarkt- und Immobilienblase bilden.
Um einen Gang heruntergeschaltet
Trotz der beeindruckenden Wachstumszahlen scheint das Zeitalter eines zweistelligen Wirtschaftswachstums aus den Jahren 2003 bis 2007 vorerst vorbei. Staatliche chinesische Konjunkturforscher gehen zwar von einem zweistelligen Wachstum im vierten Quartal 2009 aus und rechnen mit 9 Prozent fürs Gesamtjahr, doch Marktbeobachter hierzulande sehen dies vorsichtiger. "Trotz aller Anstrengungen der Regierung sollte die Wachstumsdynamik im kommenden Jahr nachlassen", prognostiziert Hübner. Dafür sprächen in erster Linie die anhaltende Wirtschaftsschwäche der G3-Staaten, bestehende Überkapazitäten sowie die Probleme am Arbeitsmarkt, der von dem kapitalintensiven Konjunkturprogramm nur unterproportional profitiere.
Investieren in China
Der chinesische Aktienmarkt ist ausländischen Investoren nicht über die Heimatbörsen in Shanghai oder Shenzhen zugänglich. Ausländern ist untersagt, die so genannten A-Aktien in Festlandchina zu handeln. Doch an der Börse Hongkong sind neben ausländischen oder in Hongkong ansässigen auch chinesische Unternehmen mit Firmensitz in Festland-China als H-Aktien gelistet.
Das gigantische chinesische Wirtschaftswachstum führte bis zum Beginn der Finanzkrise zu einem wahren Kursfeuerwerk. Der Hang Seng Index (HSI), der Aktienindex der Börse Hongkong, bildet die Wertentwicklung von 42 Unternehmen ab, die zusammen etwa 70 Prozent der Marktkapitalisierung ausmachen. Der Hang Seng China Enterprise Index (HSCE) zeichnet die Wertentwicklung der Unternehmen ab, die ihren Firmensitz im chinesischen Mutterland haben, enthält also ausschließlich H-Aktien.
Der Hang Seng hat sich von 2005 bis zum Beginn der globalen Wirtschaftskrise mehr als verdoppelt. In den vergangenen sechs Monaten erreichte der Index einen Zuwachs von mehr als 60 Prozent. Europäische oder US-amerikanische Bluechip-Indizes konnten bei diesem Indexanstieg nicht mithalten.
© 30. September 2009/Dorothee Liebing
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September 30, 2009 07:00 ET (11:00 GMT)- - 07 00 AM EDT 09-30-09