27. August 2014
Japanische Verhältnisse in der Euro-Zone?
Die japanische Wirtschaft ist wieder einmal in der Presse. Oder besser gesagt, das Argument, dass der Euro-Zone japanische Verhältnisse drohen. Gemeint ist, dass die Euro-Zone in eine Deflations- und Stagnationsfalle rutschen könnte. Trotz expansiver Geldpolitik und steigender Schuldenquoten der Staaten würde die Wirtschaft dann langfristig nicht auf einen positiven Wachstumspfad zurückkehren. Tatsächlich besteht die Gefahr, dass sich der Privatsektor angesichts schwacher Wachstumsaussichten und sinkender Preise weiter entschuldet und diesen Kreislauf somit verstärkt. In welchem Maß, hängt unter anderem vom Offenheitsgrad der Volkswirtschaft ab. In einer offenen Volkswirtschaft sind Anpassungen eher möglich. Ein geschlossenes System hingegen ist eher stabil – im positiven wie im negativen Sinn. Der Offenheitsgrad von Wirtschaft (gemessen an Ein- und Ausfuhren in Relation zum BIP) und Gesellschaft (gemessen am Zuwanderungsgrad) ist denn auch ein wichtiger Unterschied zwischen Japan und der Euro-Zone.
Zuwanderung ist von wirtschaftlichen Umständen geprägt. Das wird heute in der Euro-Zone sehr deutlich an der Wanderung von Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit (Spanien, Griechenland) in Länder, die bessere Jobchancen versprechen (Deutschland). So kamen 2013 rund 20% aller Netto-Zuwanderer nach Deutschland aus den Krisen-Staaten der EU und waren entsprechend hoch qualifiziert. Grundsätzlich hat die Euro-Zone trotz unterschiedlicher kultureller Hintergründe durch ihr hohes Maß an Integration bessere Voraussetzungen als Japan, durch Migration und Umverteilung eine Dynamik und damit Veränderung des Arbeitsmarktes innerhalb der Euro-Zone sicherzustellen – selbst dann, wenn die meisten Migranten aus der Euro-Zone selbst kommen würden. Doch wegen der niedrigen Pro-Kopf-Einkommen in vielen osteuropäischen Ländern ist auch weiterhin mit einer hohen Auswanderungsrate von Ost- nach Westeuropa zu rechnen. Hier ist die europäische Politik gefordert, Anreize zu schaffen und die Migration soweit zu beeinflussen, dass volkswirtschaftliche Opportunitäten und nicht die sozialen Systeme den primären Anreiz darstellen.
Der Arbeitsmarkt in der Euro-Zone und damit die Gesellschaft Europas sind also einem ständigen Wandel ausgesetzt, wie er in Japan nicht stattfindet. So ist die Zuwanderungsquote in der Euro-Zone mit etwa 4 Personen pro 1000 Einwohnern über 10 mal so hoch wie in Japan – und diese Zahlen berücksichtigen nicht die Wanderungen innerhalb der Euro-Zone. Die Netto-Zuwanderung im Land der aufgehenden Sonne ist effektiv 0. Impulse für Wachstum und Veränderungen können somit nicht entstehen. Japan ist nicht nur volkswirtschaftlich relativ geschlossen, das Land ist auch gesellschaftlich ein geschlossener Club. In solch einem Umfeld ergeben sich nur begrenzt dynamische Impulse.
Der berühmte Volkswirt John Kenneth Galbraith hat in seinem Buch „The Nature of Mass Poverty“ die These aufgestellt, dass sich insbesondere ambitionierte Menschen auf die Reise begeben, also Menschen, die die aktuelle Situation (z.B. Unterdrückung, Feudalismus oder schwache Konjunktur) nicht akzeptieren wollen und sich stattdessen durch Verlagerung ihres Wohnortes eine bessere Zukunft versprechen. Zuwanderer sind also oftmals hochmotivierte und risikobereite Menschen, die das Wachstumspotenzial eines Landes deutlich erhöhen können. Die Auswanderungswelle von Irland in die USA ist hierfür ein gutes Beispiel, aber auch die oben beschriebene Entwicklung in der Euro-Zone.
Japanische Verhältnisse bedeuten auch, dass fiskalische Stimulierungsmaßnahmen die Schuldenquote deutlich erhöhen und lediglich einen überschaubaren Erfolg zeigen. Deshalb sollte die Euro-Zone nicht durch anhaltende Konjunkturprogramme versuchen, die Wirtschaft zu stützen. Auf der anderen Seite führt der Verzicht auf Stützungsmaßnahmen zu Einbrüchen, die wie 1929 katastrophale realwirtschaftliche Implikationen haben können. Eine Krise benötigt keynesianische Wirtschaftspolitik – aber eben nur in der Krise. Eine kurzfristige Stimulierungspolitik kann dazu beitragen, den Kreislauf von negativen Erwartungen und rückläufigen Investitionen zu durchbrechen. Hierfür muss das Konjunkturpaket ausreichend früh auf den Weg gebracht werden und groß sein – wie die Euroländer nach der Finanzkrise gezeigt haben. Ein alleiniges Festhalten an Strukturreformen trotz oder womöglich wegen konjunktureller Einbrüche kann hingegen zu einem negativen Kreislauf führen bzw. diesen verstärken (siehe IKB Kapitalmarkt-News vom 13. August 2014).
Die aktuelle konjunkturelle Entwicklung deutet auf nennenswerte Risiken für die wirtschaftliche Erholung der Euro-Zone hin und gefährdet deshalb letztendlich auch ihr Bestehen. Ein weiterer konjunktureller Einbruch würde die Wirtschaftslage vieler Länder noch einmal dramatisch verschlechtern, da der Handlungsspielraum der Wirtschaftspolitik eingeengt ist. Dies ist insbesondere deshalb der Fall, da die Zinspolitik der Notenbank effektiv keinen Einfluss auf die Realwirtschaft mehr hat, weil die Zinshöhe zum einen bei 0% verharrt; zum anderen aber auch, weil Unsicherheit die treibende Kraft von Investitionsentscheidungen geworden ist und nicht die Zinshöhe. Doch im Gegensatz zur japanischen Notenbank kann die EZB immer noch einen nennenswerten Einfluss auf die Preis- und Wachstumsentwicklung der Euro-Zone ausüben, nämlich über eine Veränderung des Wechselkurses. Während der Offenheitsgrad der Euro-Zone seit Ausbruch der Finanzkrise bei über 50% liegt, lag dieser für Japan Anfang der 90er Jahre bei nur 20% und ist danach sogar auf ca. 16% gefallen. Selbst aktuell befindet sich der Offenheitsgrad Japans mit rund 30% immer noch deutlich unter demjenigen der Euro-Zone, was den Einfluss des Wechselkurses und damit der Geldpolitik einschränkt.
Der Euro-Wechselkurs ist somit im aktuellen Umfeld ein wichtigstes Instrument der Geldpolitik und seine Anpassung deutlich effektiver, als dies bei Japan der Fall ist. Abbildung 1 zeigt den Verlauf des preisbereinigten effektiven Wechselkurses für Japan und die Euro-Zone seit dem Ausbruch der jeweiligen Krisen. Für Japan wurde als Startmonat Januar 1989, für die Euro-Zone Januar 2009 gewählt. Abbildung 1 veranschaulicht, dass mit Ausbruch der Krise der Yen nach kurzer Abwertung deutlich aufgewertet hatte (Index war angestiegen) und somit Deflationsdruck erzeugte (auch wenn der niedrige Offenheitsgrad den Einfluss begrenzte). Der reale effektive Wechselkurs der Euro-Zone ist hingegen seit Krisenausbruch 2009 schwächer. Insbesondere deutet der aktuelle Rand auf einen erneuten Abwertungstrend hin. Ein anhaltender Abwertungstrend in Verbindung mit einem hohen Offenheitsgrad stellt eine wichtige Barriere für japanische Verhältnisse in der Euro-Zone dar.

Die Geldpolitik der EZB und mit ihr EZB-Präsident Draghi scheinen in jüngsten Aussagen zu erkennen, dass eine erfolgreiche Geldpolitik expansive Fiskalpolitik braucht, um eine direkte und entscheidende Stabilisierung bzw. Stimulierung der Nachfrage zu betreiben. Sie benötigt allerdings auch eine expansive Geldpolitik, die effektiv nur durch Abwertung noch expansiver werden könnte. In diesem Zusammenhang ist ein Aufkaufprogramm nicht zu unterschätzen. Es würde das Angebot von Euro deutlich erhöhen, die Bilanzsumme der EZB ausweiten und somit Druck auf den Euro ausüben. In diesem Sinne wird mit steigenden Konjunkturunsicherheiten die Notwendigkeit einer deutlichen Abwertung des Euro bzw. eines Aufkaufprogramms zur Flutung der Finanzmärkte immer wichtiger.
Fazit: Es ist unwahrscheinlich, dass die Euro-Zone eine Deflation und Stagnation erfährt, wie es in Japan der Fall war bzw. strukturell immer noch der Fall ist. Denn die EZB hat mit dem Devisenkurs eine Steuergröße, die einen deutlich größeren Einfluss auf die Wirtschaft hat als in Japan. Der japanische Wechselkurs ist nach der Krise nicht nur deutlich aufgewertet, die relativ geschlossene Volkswirtschaft Japans verhinderte auch die effektive Nutzung dieses Instruments als Steuergröße gegen Deflation und Stagnation. Die Euro-Zone hingegen ist relativ offen, was die Einflussmöglichkeit des Wechselkurses deutlich erhöht. Somit benötigt die Euro-Zone ein Aufkaufprogramm; nicht nur, um die Zinsen zu senken, sondern primär, um eine deutliche Abwertung des Euro sicherzustellen. Mittelfristig sind es allerdings nicht nur die im Vergleich zu Japan global vernetzteren Volkswirtschaften, sondern auch die offenere Gesellschaft, die im Fall der Euro-Zone eine anhaltende Stagnation verhindern sollten.
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