Wegweisende Zeiten für Europa
- Zarte Zinswende: Auf die Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) dürfte eine Pause folgen
- Geschäftiges Superwahljahr: Politische Karten werden neu gemischt
- Robuster Arbeitsmarkt: US-Notenbank Fed übt sich in Geduld
Es war eine bedeutende Woche für Europa: Die EZB läutete am Donnerstag die Zinswende ein, vor der US-Notenbank Fed. Außerdem stimmten die Wähler in 27 EU-Ländern von Donnerstag bis Sonntag über ein neues Europäisches Parlament für die folgenden fünf Jahre ab.
Die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Euroraum haben sich seit den letzten EU-Wahlen und der Zinssenkung der EZB im Jahr 2019 stark verändert. Damals hatte die EZB im September 2019 versucht, die Inflation im Euroraum anzukurbeln, indem sie den Einlagensatz um 10 Basispunkte auf einen historischen Tiefstand von -0,5% reduzierte (Datenquelle: EZB, 07.06.2024). Im Jahr 2024 bedeutet der zähe Inflationsdruck unseres Erachtens eine anhaltend straffe Geldpolitik.
Zarte Zinswende: Auf die EZB-Zinssenkung dürfte eine Pause folgen
Die Zinssenkung der EZB um 25 Basispunkte war keine Überraschung – der künftige Zinspfad bleibt jedoch ungewiss. Präsidentin Christine Lagarde bekräftigte, dass die EZB einen „datenabhängigen Ansatz von Sitzung zu Sitzung” verfolgen werde. Zugleich gab sie implizit zu verstehen, dass die nächste Senkung wahrscheinlich nicht vor September erfolgen dürfte. Die Kapitalmärkte waren bereits im Vorfeld skeptisch gegenüber aufeinanderfolgenden Zinsschritten gewesen und wurden entsprechend nicht „auf falschem Fuss“ erwischt.
Wir glauben nicht, dass die EZB umfangreiche und zügige Zinssenkungen vornehmen wird. Dies ist keine Rückkehr zu einer Welt, wie wir sie kannten, in der die Inflation konstant merklich unter dem 2%-Ziel lag. Denn die Arbeitsmärkte sind immer noch angespannt und die Produktivität schwach. Angesichts der Tatsache, dass die EZB die Zinsen auf ein deutlich straffes Niveau angehoben hat, würde selbst ein stetiges Zinslockerungstempo in den kommenden Quartalen die Konjunktur fortgesetzt dämpfen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des wahrscheinlich nun höheren neutralen Leitzinses.
Geschäftiges Superwahljahr: Politische Karten werden neu gemischt
Auch wenn rechte und populistische Parteien bei den EU-Wahlen auf Kosten der Liberalen und Grünen gut abschnitten, wird erwartet, dass die zentristischen Parteien die Mehrheit im Europäischen Parlament behalten werden (Datenquelle: EU, 09.06.2024). Der Rechtsruck wird jedoch voraussichtlich die politischen Prioritäten beeinflussen und könnte die Entscheidungsfindung der EU erschweren. Darüber hinaus werden die Ergebnisse der Regierungsparteien auf nationaler Ebene nicht ohne Folgen bleiben. In Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron nach einem Rückschlag seiner Partei vorgezogene Parlamentswahlen (am 30. Juni und 7. Juli) angekündigt. Mögliche Sitzverluste in der Nationalversammlung könnten Macrons Fähigkeit, Gesetze zu verabschieden, künftig einschränken.
Im Vereinigten Königreich sind ebenfalls Neuwahlen geplant, die Anfang Juli und nicht wie ursprünglich vorgesehen Ende 2024 stattfinden werden. Ein deutlicher Sieg könnte den politischen Handlungsspielraum erweitern, um sich mit den strukturellen Problemen Großbritanniens, wie dem schwachen Produktivitätswachstum, zu befassen. Abgesehen von potenziellen politischen Veränderungen könnte eine Wahl im Juli der Bank of England den Weg ebnen, um nach der Wahl mit Zinssenkungen zu beginnen – ein Grund, weshalb wir britische Anleihen bevorzugen.
In der Gruppe der Schwellenländer hat sich in Indien Premierminister Narendra Modi eine dritte Amtszeit als Regierungschef gesichert, wird aber die Unterstützung einer Koalition benötigen, nachdem er letzte Woche keine Mehrheit erringen konnte. Das könnte einige Reformen bremsen – ändert aber nichts an den langfristigen Chancen durch eine junge Bevölkerung und sich digitalisierenden Wirtschaft.
Bei den Wahlen in Mexiko erzielte die Regierungskoalition einen durchschlagenden Sieg, der auf Kontinuität hindeutet. Wir gehen davon aus, dass sowohl Indien als auch Mexiko von einer Neusortierung der globalen Lieferketten profitieren. In Mexiko könnten jedoch ein neuer Präsident und eine neue Regierung, die umfassende Reformen einführen, die institutionellen Kontrollmechanismen schwächen.
US-Notenbank: Fed übt sich in Geduld
Die EZB hat ihren Kurs angepasst, bevor klar ist, wie es mit der Geldpolitik in den USA weitergeht. Der Fed-Vorsitzende Jay Powell dürfte sich am Mittwoch erneut in Geduld üben müssen. Der Fortschritt beim Inflationsrückgang verlief in den USA zuletzt langsamer – auch eine weitere Zinserhöhung scheint nicht ganz ausgeschlossen.
Im Anschluss an die starken US-Beschäftigungszuwächse letzte Woche haben sich die Erwartungen an eine erste Zinssenkung an den Terminmärkten von September ins vierte Quartal 2024 verschoben (Datenquelle: LSEG, 07.06.2024). Marktteilnehmer sind sich dabei uneinig, ob die Fed in diesem Jahr ein- oder zweimal lockern wird. Der Stellenaufbau hatte im Mai mit 272.000 den Konsens von 180.000 deutlich übertroffen (Datenquelle: LSEG, 07.06.2024). Der durchschnittliche Stellenzuwachs über drei Monate beträgt nun 249.000 – deutlich über dem Durchschnitt vor der Pandemie, und deutlich über der Marke von etwa 200.000, die selbst unter Berücksichtigung von Einwanderungsströmen nicht die Teuerung anheizt. Die durchschnittlichen Stundenlöhne legten 0,4% im Monatsvergleich zu – ein Tempo, das unseres Erachtens mit einer Kernrate beim Deflator des privaten Verbrauchs (PCE – Personal Consumption Expenditure) von nahe 3% im Einklang stünde, oberhalb der Fed-Zielmarke (Datenquelle: LSEG, 07.06.2024).
Fazit: Die Märkte konzentrieren sich darauf, wie weit die Notenbanken die Zinsen senken können. Die Zinsen sollten strukturell höher ausfallen als vor der Pandemie, was die Attraktivität von Zinseinkommen weiterhin unterstützt. Sollten die US-Inflationsrate (Mittwoch) in der dieser Woche negativ überraschen, könnte dies allerdings sowohl den Rentenmarkt als auch den Aktienmarkt kurzfristig etwas unter Druck bringen.
Obwohl weniger marktbewegend richtet sich in Europa am Freitag zudem auf die startende Fußball-Europameisterschaft. Möglicherweise gelingt ja wieder einmal König Fußball, die Stimmung in Deutschland zu drehen.
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