Herdentrieb, Gruppendenken & Authority-Bias - so können sozialpsychologische Phänomene zu einem Börsencrash führen
• Emotionen haben an der Börse keinen Platz
• Denkfehler können Privatanleger bares Geld kosten
• Auch Experten wissen nicht, was morgen passiert
Über Jahrzehnte sahen Ökonomen den Menschen als ein rationales Wesen an, welches sein Handeln stets von Erwägungen der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit ableitet. Dieser sogenannte Homo oeconomicus existiert jedoch nur in den Theoriemodellen der Wirtschaftswissenschaften und hat mit dem eigentlichen Homo sapiens nur wenig Gemeinsamkeiten.
Der Homo oeconomicus hat ausgedient
Dass die Modell-Annahme des Homo oeconomicus allmählich zu Grabe getragen werden kann, ist dabei vor allem den neuesten Ergebnissen der Verhaltensökonomik zu verdanken. Dieses noch relativ junge Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaften beschäftigt sich mit dem menschlichen Verhalten in Bezug auf wirtschaftliche Situationen. Zu den wohl bekanntesten Vertretern dieser Disziplin gehören unter anderen die beiden Nobelpreisträger Daniel Kahneman und Richard Thaler.
Die Verhaltensökonomie gilt offiziell zwar als Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaften, in der Realität bedient sich diese Fachdisziplin jedoch eher der Psychologie, Soziologie und der Neurowissenschaft. Dementsprechend stellt die Verhaltensökonomie für viele Beobachter auch die Achillesferse der klassischen Ökonomie dar.
Zu den zentralen Erkenntnissen der Verhaltensökonomik zählt unter anderem die Feststellung, dass Menschen häufig nach vorhersagbaren Mustern handeln und so gerade in Situationen der Unsicherheit auf primitive Faustregeln und Denkabkürzungen, sogenannte Heuristiken, zurückgreifen. Ein solches Verhalten ist dabei keinesfalls rational und widerspricht somit unmittelbar den Grundannahmen des Homo oeconomicus.
Die Irrationalität des Menschen ist evolutionsbedingt
Irrationale Verhaltensmuster aufgrund von verschiedenen Emotionen wie Panik und Angst oder Gier und Lust sind keineswegs abnormal, sondern vielmehr die Regel. Denn das menschliche Gehirn ist nicht für schnelle und rationale Entscheidungen und Börsentransaktionen gemacht, sondern vielmehr für die Wildnis. Dementsprechend funktioniert das menschliche Gehirn auch heute noch fast nach den gleichen Mustern wie in der Steinzeit.
So war es zu dieser Zeit, beispielsweise bei einer möglichen Gefahrensituation, nicht gerade ratsam alle Vor- und Nachtteile einer Handlung abzuwägen, um dann allmählich zu einem Entschluss zu kommen. Denn im Zeitalter der Jäger und Sammler war es viel eher angebracht stets der eigenen Gruppe zu folgen - wenn plötzlich alle rannten, rannte man ohne große Nachfragen hinterher. Ein derartiges Verhaltensmuster war damals überlebenswichtig und hat sich somit sehr tief im menschlichen Gehirn verankert.
Ein Verhalten, welches in der Steinzeit noch einen Überlebensvorteil brachte, kann in unserer modernen Welt nun jedoch zum Totalverlust führen. Denn derartige Panikreaktionen, die im Zeitalter der Jäger und Sammler noch Leben retteten, können an der Börse ein Vermögen kosten. Sobald Euphorie oder Panik im Spiel sind, wird es oft gefährlich für das eigne Geld. Der Mensch überschätzt sich nämlich nicht nur selbst, er hat auch eine Vorliebe für emotionale Entscheidungen, diese haben an der Börse jedoch keinen Platz.
Der Herdentrieb und seine fatalen Folgen
Das Phänomen des Herdentriebs ist eine der wohl bekanntesten Heuristiken, die an der Börse zu beobachten sind. Gerade bei der Entstehung von Spekulationsblasen spielt diese Heuristik eine Schlüsselrolle. Denn in einer Phase voller Euphorie und Gier beginnen viele Menschen zu glauben, dass die optimistische und zuversichtliche Sicht der Dinge die einzig richtige ist, da diese auch von allen anderen Marktteilnehmern vertreten wird.
So lassen sich viele Investoren, gerade in euphorischen Boom-Phasen, von der allgemeinen Stimmung mitreißen und tätigen Investitionen, die sie unter rationalen Gesichtspunkten niemals getätigt hätten. Die gegenseitige Einflussnahme der einzelnen Akteure kann so kuriose Marktbewegungen hervorrufen, die in keinem Zusammenhang mit der fundamentalen Datenlage stehen.
Das wohl größte Problem des Herdentriebs ist dabei die Tatsache, dass der einzelne Anleger keine direkte Verantwortung für sein Handeln empfindet, da er diese Verantwortung im kollektiven Sinn auf die Masse der Anleger überträgt. Eine derartige Ignoranz der Realität geht jedoch früher oder später mit schwerwiegenden Folgen bzw. Verlusten einher, wie zum Beispiel im Fall der New-Economy-Krise. In der Konsequenz kann fast jede größere Spekulationsblase an der Börse auf die Heuristik des Herdentriebs zurückgeführt werden.
Gruppendenken - ein gefährlicher Konsens
Neben der klassischen Heuristik des Herdentriebs, gibt es noch weitere sozialpsychologische Phänomene, die gerade an der Börse verlustreiche Transaktionen begünstigen können. So kann das sogenannte Gruppendenken, als ein Spezialfall der Erscheinung des Social Proof, beispielsweise dazu führen, dass eine Gruppe hochintelligenter Menschen auffällig idiotische Entscheidungen trifft.
Das Phänomen des Gruppendenkens ist ein spezieller Fall, welcher sich von dem massenpsychologischen Effekt des Social Proof ableiten lässt. Unter Social Proof versteht man in der Regel einen informativen sozialen Einfluss, welcher Menschen dazu verleitet, Handlungen anderer unter der Annahme zu übernehmen, dass deren Handlungen der Situation angemessen sind.
Wie auch schon beim Herdentrieb liegt auch der Grund für das Phänomen des Social Proof und des Gruppendenkens in der evolutionären Vergangenheit des Menschen. So hat es ich zur Zeit der Jäger und Sammler durchaus gelohnt, wenn man das Verhalten seiner Gruppe adaptiert hat.
An der Börse zahlt es sich jedoch nicht unbedingt aus, wenn Investoren immer nur der Masse folgen und jedem aktuellen Trend hinterhereilen. Im Gegenteil, an den Kapitalmärkten zahlt sich gerade konträres Handeln aus. So lohnt es sich erst richtig, wenn Anleger nach dem Leitspruch von Rothschild handeln: "Kaufen, wenn die Kanonen donnern, verkaufen, wenn die Violinen spielen."
Sobald innerhalb einer bestimmten Gruppe jedoch Floskeln, wie zum Beispiel: "Diesmal ist alles anderes" fallen und häufig genug wiederholt werden, kann eine gewisse Illusion aufgebaut werden, welche die Mitglieder einer Gruppe fest an die eigene Überlegenheit glauben lässt.
Einer derartigen Illusion unterlagen auch die Investoren der Deutschen Telekom, die mit ihrem Börsengang vom 18. November 1996 eine regelrechte Masseneuphorie unter deutschen Privatanlegern entfachte. Da die Euphorie vieler Anleger zu diesem Zeitpunkt keine Grenzen mehr kannte, kletterte die Aktie, welche für einen umgerechneten Preis von 14,57 Euro emittiert wurde, bis zum März 2000 auf ein Niveau von über 100 Euro. Und selbst auf diesem Preisniveau glaubten noch viele an eine weitere Verdopplung der Aktie. Schlussendlich löste sich die Phantasie der Investoren jedoch in Luft auf und die Aktie erreichte am 30. September 2002, bei einem Preis von 8,42 Euro, ihr vorläufiges Allzeittief.
Der Aufstieg und Fall der T-Aktie zeigt somit bilderbuchartig, welche verheerenden Folgen massenpsychologische Phänomene wie der Herdentrieb bzw. das Gruppendenken an der Börse haben können.
Autority-Bias - unheilvolle Einschätzungen von Experten
Der Autority-Bias beschreibt die menschliche Tendenz, den Einschätzungen von Experten zu folgen bzw. den Meinungen von Autoritäten ein hohes Gewicht beizumessen. Diese sogenannte Autoritätsgläubigkeit bzw. Obrigkeitshörigkeit ist dabei eine Eigenschaft, die schon im Zuge der menschlichen Entwicklung und Sozialisation erlernt wird. Schon kleinen Kinder wird nämlich antrainiert, dass sie die Anweisungen ihrer Eltern und Lehrer stets befolgen müssen.
Eine solch antrainierter Denkfehler kann jedoch gerade an der Börse schnell zu schmerzhaften Verlusten führen. Denn gerade Privatanleger lassen sich in ihrer Meinung oft von scheinbaren Börsenexperten und Börsenprofis beeinflussen, die selbst häufig nur eine sehr ernüchternde Erfolgsbilanz vorzeigen können.
So gab es beispielsweise zur Zeit des Telekom-Aktien-Hypes im Jahr 2000, kurz vor dem spektakulären Crash der Aktien, noch genügend Analysten, die Kursziele von bis zu 200 Euro für die Anteilsscheine prophezeiten. Anleger, die zu dieser Zeit dem Rat der Analysten folgten, handelten sich somit teilweise Buchverluste von bis zu 90 Prozent ein. Dieses Beispiel zeigt deutlich, was passieren kann, wenn Investoren das selbstständige Denken aufgrund einer Expertenmeinung vernachlässigen.
In diesem Zusammenhang kann es sogar passieren, dass einzelne Experten und Analysten selbst unter der Heuristik des Gruppendenkens leiden und sich so gegenseitig mit falschen Annahmen beeinflussen. Denn gerade unter Analysten ist des durchaus üblich, dass nicht nur die fundamentalen Daten des jeweiligen Unternehmens betrachtet werden, sondern auch die Einschätzungen und Meinungen anderer Experten und Analysten. So kann es durchaus vorkommen, dass sich diese den Einschätzungen ihrer Kollegen anpassen und sich somit womöglich gegen ihre eigene Haltung entscheiden.
Vorsicht vor Denkfehlern!
Der Herdentrieb, das Gruppendenken und der Authority-Bias sind nur drei Heuristiken aus einem fast unendlichen Universum an Denkfehlern und kognitiven Verzerrungen, auf die der Mensch tagtäglich hereinfällt. Folglich sollten sich Investoren im Vorfeld jeder Kauf- oder Verkaufsorder an der Börse ausreichend Zeit nehmen, um die eigenen Gedankengänge und Überlegungen gründlich zu überprüfen. Denn langfristig erzielen nur die Anleger hohe Renditen, die stets kalkuliert, emotionslos und wohlüberlegt agieren.
Pierre Bonnet / finanzen.net
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